Peter Scholl-Latour definierte im Jahre 2010, was "Weißsein" überhaupt sein könnte.
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Scholl-Latour anzuhören ist natürlich alleine seines freien Wortes wegen immer ein Vergnügen. Man bemerkt bei ihm nicht nur die jesuitische Erziehung, aus der ein gediegener Überblick über unsere Kulturgeschichte erwachsen ist, sondern daß er wahrlich Weltbürger ist. Und das heißt, daß sein Gegenüber die Grenzen unseres Sprach- und damit Geistesraumes nur beiläufig und sehr distanziert zur Kenntnis nimmt, weil sich sein Publikum aus Bürgern der ganzen Welt zusammensetzt.
Publikum sei hier metaphorisch verstanden. Es ist für einen Menschen der Sprache, des Geistes, einfach das Gegenüber, DEM man erzählt, ZU DEM man spricht, und wegen dessen Problemen und Grammatik man überhaupt etwas so und so formuliert, deretwegen man jene und diese Aspekte wählt. So, wie sich der König aus dem Handeln seiner Umgebung erkennt, so erkennt man die geistige Landschaft eines Schriftstellers (und das ist Scholl-Latour ja im Wesentlichen) aus dem Publikum, das er vor seinem geistigen Auge hat.
Denn das Ich ist nicht nur dynamisch, und festigt sich durch Gewöhnung und Zeit dann zu einer dauerhaften bis unveränderlich gewordenen Gestalt, sondern seine Grammatik entsteht aus dem Dialog mit einem Du, einem Gegenüber.
Leider geht Peter Scholl-Latour, der so schwungvoll angerissenen Frage, was denn "Weißsein" überhaupt ist, nicht mehr weiter nach, sondern sein Verstehen erschließt sich erst im Laufe des Vortrags und bleibt implizit. Und daraus erkennen wir, daß er die europäisch-abendländische Kultur (samt seiner Ausweitungen nach Amerika, Russisch-Asien und Australien) und deren Wirkung auf die gesamte übrige Welt.
Darin rückt er so manches Fehlurteil zurecht, das wir uns angeeignet haben, weil der Sprachgebrauch es mit der Zeit (und der kräftigen Mithilfe der Sprachmedien) und geht dann Brennpunkt um Brennpunkt der Welt durch. Um an der dortigen jüngeren Geschichte das Erwachen sämtlicher (!) Lokalkulturen samt deren neu erstehenden Ansprüchen vor Augen zu führen. Das er zum überwiegenden Teil aus eigener Anschauung kennt. Sodaß Peter Scholl-Latour zu den großen Erzählern gehört, wie sie jede Kultur hat und braucht, die den Deutungsrahmen liefern, in den dann die Menschen aus dem Volk die Ereignisse eingliedern und damit ihren Sinn erkennen.
Denn jede Deutung ist immer nur ein Konstruieren von Sinn, eine Weltemanation des logos. Dem sie im Maß ihrer Wahrheit mehr oder weniger entspricht, und deshalb widerspruchslos bleibt - oder nicht. Auch hier hat die abendländische Kultur, die die Kultur des Christentums ist, den unschätzbaren Vorteil, aus dem Gottesbild, das Gott selbst geoffenbart hat, die Widerspruchslosigkeit abzuleiten, in der die Welt erst zu einem Sinn zu führen ist.
Das ist keineswegs selbstverständlich, im Gegenteil. Denn die tatsächliche Unterlegenheit sämtlicher übriger Kulturen, die die historisch einzigartige Überlegenheit und Einbußkraft des Abendlandes ausmacht, stammt aus dieser "Logik". Die ein Übereinstimmen des weltwerdenden, inkarnierten Denkens und Handelns (das Haltungen formiert), mit der tiefsten Weltgrammatik bedeutet. Und deshalb (!) allen Menschen gleichermaßen zugängig ist, aber von sämtlichen übrigen Kulturen nur mehr oder weniger fragmentarisch erfaßt wird. Man denke nur an den Umstand, daß (beim Islam erleben wir es sehr deutlich, denn diese Religion bekümmert uns seit Jahren neuerlich bzw. nach dem Zurückdrängen zu Ende des Mittelalters wieder sehr intensiv) in allen übrigen Religionen Gott ein Gott der Willkür ist, und deshalb das Bewegen der Welt nicht wirklich wissenschaftlich abstrahiert werden kann.
Sondern alles Studieren in Vergangenheit (man denke nur an die Rolle von Mythen und Erzählungen) und Gegenwart verbleibt, nie zukünftig ableitbar ist, weil alles immer irgendwie sein kann, Gott der Welt keine an sich fixierbaren "Gesetze" gegeben hat, es sei denn es seien direkte Verhaltensgebote (wieder wie beim Islam durch seine Hadithen, wo der moralisch zu entscheidende Einzelfall direkt aus dem in Schriften überlieferten Handlungen "des ähnlichen Einzelfalls" abgeleitet wird).
Wenn wir aber wieder zum Thema zurückkehren, was denn "weiß" ist, dann ist die vielleicht erhellendste Definition für "weiß", es aus der archetypisch formierten Zuordnung von "Weiß" zu "Gut", Göttlich, Richtig/Rechts und erhaben/vollkommen im Sinne eines voll erfüllten Menschseins zu sehen. Dem das "schwarz" als das Dunkel, das undefinierte amorphe, nicht konkrete, irrationale und nicht widerspruchsfrei Logische und damit sogar Dämonische und Unvollkommene gegenübersteht.
Erst aus diesem uralten Gegensatz von "Hell - Dunkel", "Chaos - Ordnung", wie es sich schon mit den ersten Sätzen der Genesis als Wesen der Schöpfung darstellt, wird das "Weißsein" begreifbar. Und damit auch in seinem Zusammenhang mit der christlich-abendländischen Kultur.
Wer sich mit dem Aufkommen von China befaßt, kann darin deshalb nicht nur leicht das Wesen chinesischer Weltmachtstrebens als Struktur und innerem Geist sämtlicher übriger Kulturen erkennen, das dem einer mehr oder weniger heimlichen Penetration der "anderen" (also der abendländischen) Welt und Kultur entspricht. Also ganz anders auftritt als das offene Visier der Europäer wie es sich im Mittelalters (wo die Welteroberung so richtig begonnen hat), die mit Freimut und gezücktem Panier jede Auseinandersetzung annahmen und durchfochten.
Wir kommen damit auch aus diesem Blickwinkel zu der Charakteristik, die der deutsche Indologe Paul Hacker* als "Inklusivismus" bezeichnet hat. Er bezeichnete damit ein Phänomen, das ihm in Indien aufgefallen war, und das er dann zu beschreiben und zu analysieren begonnen hat. Es gründet im Erfahren der Unterlegenheit! Als Reaktion wird die eigene Position, die der begegnenden Logik (und Macht) nicht gewachsen ist, so "flexibel" gestaltet sowie auf okkulte (bzw. verdeckt gehaltene) und vor allem von anderen nur schwer erreichbare Grundlagen (man denke hier etwa ans Yoga, mit seinen Übungen, die nur einzelnen Lehrern abzunehmen ist, und deren Übungen als geistige Leistung verstanden, dabei in einer körperlichen Verfaßtheit gründet, die dem Europäer aufgrund seines Knochenbaus, seiner kulturellen und vererbten Prägung, seiner Lebensweise, und nicht zuletzt seiner tiefsten geistigen Prägung durch Kindheit, Denkweise und Muttersprache, kaum zugängig ist).
Es ist dieselbe Haltung, aus der eine Kriegführung erwächst, die tyipsch für diese Situation der Unterlegenheit ist. Die keine ethisch-geistigen Prinzipien - Ästhetik! Kultiviertheit des Krieges! Ethische Grundlagen! - mehr akzeptiert, weil sie sich sonst in dieser Unterlegenheit festgenagelt weiß, sondern die ohne Regeln kämpft. Wir nennen das heute "asymmetrischen Krieg", dessen kaum faßbare Kampfkraft, die in Europa die Schweizer und dann vor allem die Franzosen unter Napoleon praktiziert und "hoffähig gemacht" haben, das Gewinnen eines Krieges herkömmlicher Definition unmöglich macht. Es ist die Kultivierung des Unkultivierten, des Destruktiven als Mittel, alles Konstruktive (des abendländisch geprägten Feindes) aufzulösen.
Interessanterweise findet sich diese Art der Kriegsphilosophie sogar schon beim Chinesen SunTsu! Was damit zu erklären ist, daß die Chinesen dem Logos, also der schöpfungsbedingten Seinsverfaßtheit der Welt, durch ihre selbstentwickelten Lehren (auch nur in Fragmenten durch den Taoismus, dort aber tatsächlich, was den großen Einfluß dieser Philosophie einer kleinen Minderheit in Asien erklärt).
Morgen Teil 2) Wollen wir unsere Kultur retten, indem wir sie negieren, und uns die Kulturlosigkeit der Schwachen aneignen? Wir sind nicht weiß, weil wir zufällig blasser Hautfarbe sind, sondern es ist ganz anders: Jeder, der stark ist, wird von den Schwachen für "weiß" erklärt. Denn es ist anthropologische Tatsache: Alles Nicht-Weiße ist das Untere.
*230821*