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Mittwoch, 29. September 2021

Warum der starke Kain den schwachen Abel schlug (2)

Technik, Geld und Liebe. Kain der Eisenschmied, Kain der Hephaistos, Kain der Prometheus. - Damit sind wir bereits bei der Bedeutung von Technik. Denn Geld ist eine Technik, kein "Ding", wie es schließlich auch heute bereits (in dem Gequatsche um dessen "Erhaltung", "Mehrung oder Minderung in der Krise", "Absicherung" etc.) weil im Zeitalter der pathologisch gewordenen Verdinglichung geistiger, rationaler Gedankendinge, Begriffe, Ideen, im Allgemeingebrauch verstanden wird. 

Dabei ist Geld der Begriff für eine Dynamik der menschlichen Beziehung, die sich aus der Weltdarstellung (Darstellung, noch vor Nutzung oder Bewältigung) dem Wesen sozialer Beziehungen gemäß - die Verbindlichkeiten sind: "Schulden", "Ansprüche" - konstituiert. (Also nicht "erfunden wurde, um ...". Darin bestand höchstens in der einen oder anderen konkreten Ausgestaltung Spielraum.)

Wer solcherart aus jeder Ordnung herausgefallen ist, wer wurzellos wurde, der hat nur noch einen Ort, den er betreten kann, und das ist - die Stadt. In ihr ist es möglich, die menschlichen Beziehungen aus der Ordnung des göttlichen Ideenmosaiks, ja des ganzen in der Welt-seins in bloße Nützlichkeiten, Willkürlichkeiten, Wünsche und Funktionen aufzulösen. In der Stadt "funktioniert" alles, der Raum weicht dem Symbol. 

Dort werden die Eigenschaften und Notwendigkeiten von den Dingen gelöst, abstrahiert, zum für sich stehenden Ziel. Es gibt dann "einen Spengler", "einen Schuhmacher", für Tätigkeiten, die der Nicht-Stadt-Mensch noch alle selber erledigte und beherrschte, erst in die Arbeitsteiligkeit gestellt, bis sie die Dinglichkeit überhaupt verlieren, die Tätigkeit von jedem Ding lösen. Man nennt dieses Stadium dann schönsprecherisch "Dienstleistungsgesellschaft. 

Aus dieser Spezialisierung heraus erfolgt eine Ablösung der einzelnen Handlung vom konkreten Fall. Auch die Bedürfnisse werden abstrahiert, und das nie abgrenzbare Bündel des mitmenschlichen Dienstes in rational erfaßte und geregelte Vorgänge reduziert. Normen und Gesetze, Richter und Polizei ersetzen soziale "weiche" Regulierungen wie Ehre oder Scham, die letztlich durch die Liebe, die Gnade, die Barmherzigkeit angesichts menschlicher Unzulänglichkeit aufgefangen werden. In einer Normengesellschaft gibt es nichts mehr, das auffängt, das die Ecken rundet.

Der Lieferant von Rohren, die er zu ziehen vermag, interessiert sich (ich vereinfache natürlich) nicht weiter, ob diese in Altersheimen oder Atomraketen verbaut werden, ja er weiß es oft nicht einmal mehr. Aber die Folgen sind dramatisch. Denn nun entwickeln diese abstrahierten Dinge ein Eigenleben. Es beginnt "die Mode", es beginnt "Angebot und Nachfrage", es beginnt die Unternehmensplanung nach Kapazität, die Vermehrung von Geld als Separataufgabe, losgelöst vom eigentlichen Tätigkeitsbereich eines Unternehmens. (Siehe Einschub***

Mit einem Wort: Es beginnt der Kapitalismus in jener Art, die Mammonismus genannt werden muß. Denn Geld - ein "Drittes" in jeder Art des menschlichen Verbindlichkeitensystems, selbst auf eine Weise "nicht vorhanden", nicht "ding-schwer" - wird zum Ziel für sich, das in der Lage ist, die Welt (der Dinge und Menschen) aus völliger, dem Leben in einem Bunker immer vergleichbareren Isolation heraus zu beherrschen, zu bewegen und zu verbrauchen. 

Der Kapitalismus ist somit Hervorbringnis einer Gesellschaft, in der das Leben zu einer Summe von Funktionen wurde, die von den Menschen dahinter losgelöst werden können, ja im Sinne der Konkurrenztüchtigkeit sogar losgelöst werden müssen. Wer brutaler, skrupelloser denkt, ist im Vorteil. Philanthropie, "Nächstenliebe" wird dann das Hobby nach Feierabend, am Sonntag, im "Wohltätigkeitsverein 1865", oder in der NGO gegen Umweltzerstörung, Walesterben, CO2-Ausstoß und Ungleichbehandlung der Frauen wie der afghanischen minderjährigen Unbegleiteten. 

Die Nähe zum Protestantismus, der keine Metaphysik kennt (als der Befassung mit dem tieferen Wesen, der prioritären aber unsichtbaren Wirklichkeit der Dinge der Welt, die in einer Idee gründen, und die deshalb vor Gott heilig sein sollen), hat nicht nur Max Weber gesehen. Es geht um die Auflösung der Gestaltbedeutung, hin zu einer (immer) reduzierten Betrachtungsweise unter den Gesichtspunkten (bereits bekannter) Nutzenabwägungen. 

Da ist dann der Pfau schön, WEIL er damit die Konkurrenzmännchen aussticht, WEIL er damit als Stärkerer, Cleverer seine GEME weitergibt. Obwohl sich seltsamerweise die Weibchen bei den meisten Tierarten eher wenig um das, was wir für wichtig halten, zu kümmern scheinen. Denn sie lassen auch "Looser" ran, wenn sie die nicht gar bevorzugen. (Aber was kümmert einen Evolutionisten eine seinen Theorien widersprechende Realität.)

Das alles verbindet sich mit Kain. Es ist sein Sein, seine realisierte Wirklichkeit, in der er sich nicht nur von Gott entfernt hat, sondern in der er sich in der Welt "aus sich selbst stabilisiert" hat. Das ist somit in ihm enthalten, und es wird mit seinem Hinausgehen in die Welt deren bestimmende, gewaltvollere, mächtigere Realität. Es ist die Trennung von Gott, die (vorderhand) in dieser Welt, die von Gott getrennt ist, die nur im Menschen wieder in Gottes Vorsehung hineingestellt wird (das ist sie dann, die Kirche) mehr Macht haben.
 
Die in einem unlösbaren Widerspruch zu jener Welt steht, die Gott für den Menschen vorgesehen und die im Paradies ihre vollkommene Gestalt erreicht hatte. Es ist eine Macht der Technik, als prinzipielle Funktionsweise einer Welt ohne Gott, einer "Pseudologie", einer Zweitwirklichkeit.

Aber gehen wir nun noch einmal an den Gedanken zurück, den wir ganz am Anfang eingeführt haben. Nämlich den, daß es KAIN ist, der DIE BERECHTIGUNGEN UND MACHT IM HAUSE hat. Abel, der jüngere der Brüder, ist somit dem älteren Bruder unterstellt. 

Im Opfer erlebt nun aber Kain, daß Gott sich darum keinen Deut schert. Gottes Haltung der Welt gegenüber ist nämlich keine der Pflicht, der völligen Berechenbarkeit seines Handelns (wenngleich nicht irrational und widersprüchlich, wie sich die islamischen Theologen schließlich entschieden). Kain hat die Macht, das Rechtssystem auf seiner Seite. Aber für Gott zählen andere Parameter - die des Sterbens, der Selbsthingabe, des Selbstvergehens, damit er in der Welt wandeln kann. Das Jahr in seinem Ablauf zeugt davon: Die Natur stirbt im Winter, das Eis, das Gott in Brocken herabwirft (Psalm 147) Er erfüllt die Wünsche derer, die ihn fürchten (Psalm 145)

Kain repräsentiert eine Weltordnung, die sich von Gott gelöst hat. Die somit seine Weisheit und Liebe, in der er alles in- und füreinander gestellt hat, in der alles allem dient, mißbraucht und als Funktion ablöst, die ihm selbst die Macht über die Welt gibt. Die er als Hausherr mit Blut und Jagd als Weltenkönig beherrschte.

Damit stehen wir vor der Frage, die Sophokles in der Antigone aufgeworfen hat: Was ist höher, was ist wichtiger, den Gesetzen der Menschen zu folgen, oder denen Gottes? 

Nun sind die Trauben reif, die wir zu Kain pflücken wollen. Suchen wir noch einmal die Heilige Schrift auf. Als der von Gott verstoßen wurde und "in die Welt" floh, schreibt sie nämlich etwas Eigenartiges. Er habe eine Stadt, die Stadt Enoch gegründet. Und das ist es dann auch: Es ist die Stadt, die das Imperium gründet. Es ist die Stadt, in der Erwerb und Gewinn, Erfindungen und die Kunst des Lebensverzehrs gedeiht. So wird Kain sogar zum Ahnherrn des Flöten- und des Saitenspiels, dieser gefühligen Beduseler der Gemüter, in der sich die Menschen durch Baudenkmäler und Schmiedekunst (Kain ist auch Ahnherr der Kupfer- und Eisenschmiede) bis zur Unsterblichkeit heben wollen. Alle diese Künste haben kainitischen Stammbaum. Aber alle menschliche Kultur wird nur in Rauch aufgehen, der in dichten Schwaden den Erdboden bedeckt, wie Heinz Flügel schreibt. Nichts steigt mehr auf bis zum Angesicht Gottes. Aber nur das, was aus Liebe geschieht ist aufgezeichnet in den Geschichtsbüchern Gottes: Nicht die Taten Kains, sondern das Leiden des gerechten Abel. 

Aber immer, schreibt Flügel schließlich, wenn Wälder verkohlen und Riesenfeuer die Städte verzehren, schlängelt sich hier und da der reine Opferrauch frommer Patriarchen und Propheten empor. Und immer wieder hat Gott auch einen nächsten Abel geschickt, der wie in Noah und dessen Söhnen noch einmal Kulturgründer und wahre Beter und Opferer wurde. Als Zeichen der Hoffnung auf ein Ende der kainitischen Zeit.  

Denn wenn wir auch zu gerne glauben, daß die Zeit wie ein ununterbrochener Faden verläuft - so ist es nicht, oder nur für den, der drinsteckt und sich nicht in die Höhe der Rauchschwaden hebt. Wo er dann sieht: Es ist alles nur die Wiederholung von Heiligen Bedingungen, von "Archetypen". Sodaß auch wir hoffen dürfen, daß nach langen kainitischen Bedrückungen eine Periode klarer Lüfte und gelber Sonnen kommen wird.


*040921*