Die Problematik des Kain gehört trotz (oder wegen?) kaum verstanden. Dabei ist sie so populär! Wie gut kennen wir die Konstellation, den Neid, der das Böse evoziert, die Flucht, sogar der Kommissar paßt zu einer schönen, dicken Kriminalgeschichte, in der der Täter dann gebrandmarkt und in die böse, chaotische Welt verbannt wird. Raus aus dem väterlichen Landgut, raus aus der familiären Tradition, und gezwungen, ein neues Leben "im Hafen" - wurzellos, und unter ebensolchen Gesellen - zu führen.
Hat das nicht alles seine hinlängliche Logik? Was soll es dabei also noch weiter zu verstehen geben? Naja ... da ist zuerst einmal von Interesse, was weiter mit Kain geschieht. Er wird davongejagt und gründet eine Stadt. Warum eine Stadt? Oder ist sie nicht der Ausdruck der Unruhe des Kain?
Heinz Flügel schreibt, daß "die von Abels Blut getränkte Erde" die Erinnyen, die mit Schlangenhaar bekrönten Rachegöttinnen, die nun beginnen, den Täter in unlösbare Unruhe zu versetzen. Das ganze Leben eines Mörders wird zu einem Zustand der Gehetztheit und Flucht.
Und wir wollen gleich fortführen, daß der Mörder, den das 5. Gebot sich keineswegs auf das schlichte Abmurksen eines anderen Menschen bezieht. Die meisten Morde sind ganz anderer, aber noch effizienterer Natur, und schädigen das Opfer weit mehr. Allen voran ist die Ignoranz gemeint, die als Verneinung der Liebe (dem zweithöchsten Gebot überhaupt, das Gott und Mensch, als Abbild Gottes, einschließt) eine Auslöschung des anderen "als Hölle bei lebendigem Leib" ist.
Und nahe dabei ist die Verleumdung, also die Veränderung der Umwelt des anderen, sodaß dieser einer völlig inadäquaten Umgebung begegnet, die ihm Antworten gibt, die ihn auf eine Weise rezipiert, die gar nicht von ihm ausgeht. Sodaß nichts mehr stimmt, was ihm getan und gesagt wird, was in der Folge der Annihilierung ähnelt - es löscht langfristig den anderen aus und ist oft gar nicht mehr reparabel, wirkt also auch in allfälligen nächsten Generationen fort. Das 5. Gebot hebt sich damit tief ins Kulturelle hinein.
Weil sie, wenn es in einer Gesellschaft weit verbreitete Untat oder gar Gewohnheit ist, die gar nicht mehr als Sünde angesprochen wird, eine ganze Kultur so vergiften kann, daß diese binnen kurzer Frist vertrocknet. Vom Verleumdungsopfer, noch mehr aber vom Täter ausgehend (der sich in eine andere, höherere Position schiebt, also einen Ort als Beziehungsknotenpunkt okkupiert, den er gar nicht ausfüllen kann, dessen Wesen darzustellen und wahrzunehmen, um seine Vorteile zu lukrieren, er hinkünftig also simulieren, vortäuschen muß) verschiebt die Verleumdung (ebenso wie die Ignoranz) das gesamte Rezeptionsgefüge einer Gesellschaft. Und führt nicht zuletzt zur Herausbildung einer völlig inkompetenten Elite.
Denn dieser (anstelle des Verleumdeten) anzugehören ist ja das Ziel des Verleumders. Wenn aber die Elite einer Gesellschaft krank ist, geht deren vornehmste Aufgabe - die Heran- weil Heraufziehung der für die immer konkreter werdenden Aufgabenstellungen der Kultur geeigneten, "talentierten" Menschen - verloren. Womit die gesamten Strukturen einer Gesellschaft von den Folgen der ungerechtfertigten Anerkennung vergiftet werden. Neid, Mißgunst, Haß und das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden (weil alles das die Bereitschaft für eine Revolution in einer Gesellschaft gebiert) werden zur Gesamtstimmung.
Deshalb kommt das 5. Gebot, gegen das sich Kain versündigte, gleich nach dem ersten auf die Welt bezogenen Gebot, dem 4. Gebot. Das als erste und oberste Pflicht des Menschen der Welt gegenüber das Gebot der Wahrung der Tradition ist. Eines das zur Ehre den Eltern und Vorfahren gegenüber verpflichtet. Was so viel wie die Pflicht heißt, deren Erbe zu pflegen, also mehr als zu bewahren noch weiter zu vermehren und zu entfalten. Damit fällt also sogar mit der Erzählung von den drei Männern in eins. Die bei der Abreise des Herrn 5, 2 und 1 Talent mit dem Auftrag erhalten, sich während seiner Abwesenheit darum zu kümmern.
Seine besondere Bedeutung ergibt sich aber nicht nur "innerhalb einer Familie", sozusagen, sondern in gleicher Weise aus der gesellschaftlichen Rezeption der Familie. Das gibt der Gesellschaft den in der Ordnung Gottes für die Welt (siehe Einschub*) beheimateten Auftrag, auch strukturell (also durch den bloßen Rahmen der Gesetze und Verordnungen) die Integrität der Familie über alles zu stellen. Darin gründet das Subsidiaritätsgesetz, das ebenfalls eine Grundlage jedes Staates ist, der durch seine Bildung und Erhaltung sogar lediglich eine abstrahierte, übergelagerte Ebene der Familie ist.
Wenn wir das nun auseinandergelegt haben, so deshalb, weil im Fall Kains diese beiden Gebote auf besondere Weise zusammenfließen. Der Verstoß gegen das vierte erzeugt den Verstoß gegen das fünfte Gebot. Warum?
Flügel legt es in seinem Aufsatz "Mensch und Menschensohn" auseinander. Dort schreibt er, daß Kain der Fall eines Sohnes ist, der - als Älterer! - in alle Vorrechte und Privilegien des Ältesten und Nachfolgers des Herren des Hauses (Adam) alleine kraft Geburt eingesetzt ist. Er ist also dem jüngeren Bruder Abel gegenüber in einer Position der Macht, und der Glanz des Hauses ist mehr oder weniger dann sein Erbe, also sein Glanz.
Deshalb ist es auch Abel, der die unedlere der Aufgaben übernimmt, den Ackerbau. Während sich Kain um Glanz und Reichtum des Hauses, also das Vieh kümmert. Der Begriff Geld, aber auch das Geld selbst stammt ja in den allermeisten Sprachen aus der Bedeutung der Tiere, des Viehs. (Siehe Einschub**)
Morgen Teil 2) Technik, Geld und Liebe