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Mittwoch, 22. September 2021

Die Figur des Urgroßvaters

Ich werde W in XXX (über einen endgültigen Titel habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, und der Arbeitstitel tut hier nichts zur Sache) einen Antagonisten haben. Der Elias mit seinen Schriften nährt, mit denen er eine Bibliothek gefüllt hat, die er aber nie zu Lebzeiten anders herausgegeben hat als in der Auflage von wenigen Stück, die E in der Bibliothek seines Oheims findet.

Wahrscheinlich heißt er W; ich muß erst sehen, ob W-"original" das Material zum Vorbild hergibt; was bei geistig so flachen, ja primitiven Personen schwer auszuloten ist; wegen der Geschäftsverbindungen aber wahrscheinlich doch; es bliebe aber noch H, der den Betrugsaspekt einerseits, den Geltungsaspekt anderseits besser hätte; mal sehen.

Ich sehe das Bild noch nicht so stark vor mir, weiß noch nicht genau, wie er aussieht. Es wechselt, mal wie der eine, dann wie der andere. Bisher hatte ich ihn klassischer gedacht, dafür noch dümmer als die originalen W oder H, der seine Stellung seiner Servilität verdankt, ohne daß ihn jemals jemand geachtet hat; das wäre nämlich der Grund gewesen, warum er seinem Neffen hilft - Elias. 

Der überläßt sie ihm, weil er ihr keinen Wert beimißt. Denn Wissen wird für alle Zukunft elektronisch gespeichert, und das allermeiste, was in dieser Bibliothek (die vom Urgroßvater stammt; bei diesem laufen ja die genetischen Fäden zusammen) vorliegt, ist in seinen Augen bedeutungslos weil hoffnungslos veraltet und überholt. 

Als Elias, der sich damit seine eigene kleine Wohnung ausstattet, in den dicken Bänden des Urgroßvaters zu lesen beginnt, entdeckt er nach und nach dessen Geheimnis.

Dieser hatte angesichts dessen, was er bereits realisiert sah und was nun heraufziehen würde, jeden Schritt an die Öffentlichkeit abgelehnt. Und sorgfältig Band für Band geschrieben und für einige wenige Freunde herstellen lassen, die ihn finanziert und versorgt haben (heute würde man sagen: Gefördert.) Weshalb G ja ziemlich verächtlich über diesen spricht, weil er kein Erbe hinterlassen hat als diese wertlose Bibliothek, die sich nie dem Wettbewerb gestellt hat. Wohl mit Grund. Obwohl er (sagt der Onkel, in einer Mischung aus Stolz und Verachtung, immer wieder) diese Chance gehabt hätte. Er hätte ihm alle Wege öffnen können, er hätte nur zustimmen müssen.

Elias wird später W diese Werke zugängig machen, der daraus dann seine geheime "Bibel" macht, aus der heraus er die Sprüche holt, die er, der Leiter dieser Gruppe, als die seinen ausgibt. Womit er ihn ja bestätigt.

Aber warum hat der Urgroßvater das gemacht? Elias findet die Stellen, irgendwo in den "Analysen der Tage und Stunden". Er sah mit immer größerem Bangen die allgemeine "Ausbreitung des Wissens", die als "Bildung und Aufklärung bezeichnet wird. Darin erblickte er nämlich die Gefahr, daß die Zeit immer träger werden wird, bis sie stockt. Die Träger dieses Stockens aber sind die Frauen. Denn sie sind auch die Diebe, und ihre Söhne, die Verweibischten.

Denn dieses Wissen, dieses Bildungs- oder Informationsgut, das jedem quasi nachgeworfen wird, hat zur Folge, daß die Menschen sich mehr und mehr danach "ausstaffieren". und nominell auf keine Überlegenheit mehr treffen, nicht mehr "widerlegbar" sind: Sie kennen somit keine Schuld mehr. 

Sie ziehen sich also dieses Wissen wie ein Kostüm an, um dann einen Bildungsstand und Wissenstand, aber auch einen Heiligkeitsstand zu imitieren (den sie zwar zitieren können, aber nicht verstehen) der ihrem wirklichen Reifegrad gar nicht entspricht. 

Noch bedeutsamer aber ist der Zukunftsaspekt: Indem der Urgroßvater mit seiner Scharfsicht die Entwicklungen vorhersagt, hat er gleich mit den ersten Veröffentlichungen erlebt, daß die Menschen begonnen haben, seine Sichtweisen zu "stehlen", sich also damit zu schmücken, es als ihre Identität auszugeben. Damit haben sie sich mit Federn geschmückt, die sie dem Urgroßvater damit gestohlen haben, während sie die Zukunft aber erst recht verhindert haben. Bis alles so zäh war, daß es gestanden ist. (Ob ich so ins Metaphorische, Phantastische gehe? Ich bin mir nicht sicher, denn ich meine, ich muß dann auf die dramaturgische Spannung verzichten, bei der ich mir aber ohnehin nicht mehr sicher bin, ob sie nicht "profan" ist.)

Er will sich also vor Identitätsdiebstahl schützen, der ihm sich selbst aus der Hand ringt. Aber nicht nur das: Dieser Identitätsdiebstahl, so sieht er voraus, nimmt der Welt ihre eigene Zukunft und baut sie noch fester zu (sodaß alles noch verzweifelter wird; und Verzweiflung ist es in der Tat, die über der Stadt liegt).

Wenn man den Menschen ihren Ort verwehrt, weil die gesellschaftlichen Imperative das tun - und sich auf die Bewältigung von technischen Funktionen verlegen, die aber keine Identität konstituieren können, weil sie genau diese Leistung, auf die sich angeblich der Rang als Ort des Menschen beziehen soll, sofort wieder vergessen, sobald sie einmal erbracht ist: der nächste Tag bringt neue Leistungen anderer etc.  Die Hierarchien und Eliten sind also total fluid, und die Schichte derer, die sich gedemütigt sehen, die dem nächsten "Leistungsfähigeren" den Erfolg neiden, wird immer größer und größer.

Ich habe den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, aber es fühlt sich richtig an wenn ich als ganz wichtigen Antrieb der Gegenwart, daß noch viel zu wenig, ja der noch gar nicht berücksichtigt worden ist, sehe, daß sich alles in eine Gesellschaft von Dieben verwandelt hat. Wobei mir nun einfällt, daß ich schon vor Jahren dazu geschrieben habe, es aber nicht so direkt auf diesen Aspekt zu beziehen wagte. Diebe. Identitätsdiebe und Vampire.

Der Urgroßvater wollte sich nicht leersaugen lassen. Lieber ist er mit wehenden Fahnen untergegangen. Dann blieb ihm nämlich noch die Ehre. Und die Unsterblichkeit im Ruhm, also der Ewigkeit (Synonyme; darüber muß ich auch noch etwas schreiben, da steckt Substanz dahinter, das ist keine bloße Metapher). Denn die Geheimpolizei beobachtet Elias genau deswegen immer genauer. Sie weiß nur erst ganz zum Schluß, ja vielleicht überhaupt nie, was sie "vorhaben".  

Ich "höre und sehe" schon das Gespräch auf den letzten Seiten. In dem sich zeigt, daß sie es noch immer nicht begriffen haben. Damit könnte ich den Leser innerlich zufrieden machen: Er kann nach so viel düsterem Stoff aus Schadenfreude lachen. Die Gemeinschaft ist entkommen, weil man nach dem Falschen gesucht hat, nach dem "Aktivistischen und Politischen". 

Der versuchte (und selbstverständlich gescheiterte) Putsch war nämlich nur eine Deckoperation, damit der Rest der Gemeinschaft, die Familien etc., die W (und der "Kreis") nach geheim entwickeltem Plan ganz systematisch herausgehalten und sogar herausmanövriert haben, fliehen konnte. 

Ja, so könnte dieser Strang aufgehen.



*300821*