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Sonntag, 12. September 2021

Vom Verborgenen des Geistes (2)

Erst wenn alles Bekannte durchlaufen ist, erst wenn man es besitzt, kann jener Überhang wirksam werden, der empfangend Neues schafft, als Teilhabe am Schöpferischen Geist Gottes. Deshalb muß der Begabte seinen Weg im Kampf erringen. - Aber zurück: Das oben Gesagte trifft umso mehr zu, je herausragender eine Begabung ist. Die immer nur aus einem gesellschaftlichen Insgesamt heraus zu verstehen ist. Dem jeder Mensch als Träger einer Antwort und als Erfüller einer zukünftigen Aufgabe zugewiesen ist. Auch wenn dieser Platz sehr lange nicht, also etwa erst im hohen Alter und im Zuge einer endlich willensbefreiten Betrachtung der eigenen Vergangenheit als Panoptikum des Seins gefunden wird, also der Sinn allen Durchleidens der Nicht-Akzeptanz, die man erlebt hat, erkannt wird. Wo das Er- und Durchlebte zu einem permanenten Prozeß des Ausscheidens geworden ist, bis alles Bekannte durchlaufen wurde, sodaß nur noch die schöpferische Totenstille des "Nichts" (als "nichts bereits Vorhandenes") übrigbleibt. Dann ist er sozusagen weichgekocht, dann ist er bereit, das aus der göttlichen Vorsehung hereinstehende wirklich "Neue" zuzulassen. Das nicht machbar, sondern immer Gnade ist.

Umso mehr, als nun klar wird, daß jede Stellung, jeder Ort auf ein gesellschaftliches Ganzes (egal wie groß es ist, egal welche Ebenen es umfaßt, egal wie weit es auch räumlich, also in den Dimensionen der Beziehungen, ausgreift, ob an den Dorfgrenzen endet, oder die Welt umspannt und ans Ohnendliche grenzt) ausgerichtet ist - und umgekehrt. 

Ein Aspekt, der bei der Migrationsfrage völlig auf groteske Weise unter den Tisch fällt. Die Migranten nämlich, die in ein Zielland kommen, leiden dort unter einem fundamentalen Defizit. Das mit Sinnverfehlung zu tun hat, und schlimme Folgewirkungen vor allem in der Identitätsfrage hat. Sie werden jene Schlafwandler, die Hermann Broch meinte, aber vorschnell (weil ideologisch) verortete.

Dann, am Ende des Sicheren und bereits Welthaften angelangt, wird erst Platz für jenen Überhang, der das Besondere ausmacht. Und erst dann, nachdem alles ihm mögliche und deshalb angemessene Leiden durchschritten ist, wird die noch immer drängende, notwendige Hinausstreckung des Selbst, um sich zu verwirklichen, kräftig und brennend genug. Und somit fähig zu jener Gewalt, die jedem Neuen als Geburtshelfer zur Seite stehen muß. 

Wer zu dieser Gewalt nicht fähig ist, ist auch nicht reif genug, um die Folgen einer (erst jetzt "wirklichen") Selbstverwirklichung zu tragen. Nur dem gebührt es also, nur dem wird es aber auch gelingen. Als ein "gegen alle", als ein "trotz allem". Es braucht also die Sittlichkeit, die von keiner Förderung und Beihilfe durch Mütter zu erringen ist. Die nur selbst errungen und durchkämpft werden kann. (Sie kann also nicht - zumindest nicht direkt - gefördert, aber sie kann durch bösen Willen durchaus be- oder im schlimmsten Fall verhindert werden.)

Denn erst dann kann man von Mut sprechen, wenn er jener Schritt in die Tollkühnheit ist, in dem jedes Rechnen aufgehört hat³. Das ist nicht machbar, das muß als Substanz reifen und wohnt dem bewußten, willentlichen Streben wie eine verborgene Kraft inne.****

Anmerkungen


*240821*