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Montag, 14. März 2022

Der erste König der Ukraine

Übrigens, wußten Sie, daß die Ukraine für einige Wochen sogar von einem Habsburger "regiert" worden ist? Die Rede ist von Wilhelm von Habsburg, dem "Roten Prinzen", wie einer seiner Spitznamen lautete. Ihm wurde schon im Herbst 1914 sowohl von den Kaisern in Wien wie Berlin der Auftrag erteilt, die damals zum Zarenreich gehörigen westrussischen, von Moskau nicht so wirklich geliebten Gebiete (in denen es so viele kleine Völker mit je eigenen Sprachen, und zudem noch so viele Juden gab) sowie für Galizien und der Bukowina, die damals habsburgischer waren als man es sich vorstellen kann (ich erzähle später, warum das sogar in ganz eigentlichstem Sinn so war), zu studieren. 

Und zu schauen, ob sich dort (und welche) politische Strukturen für "Länder" aufbauen ließen. Zu einer verantwortlichen Regentschaft gehören eben auch Überlegungen um Dinge, die theoretisch sein könnten, und auch träumen darf man da einmal. Weh dem, der keine Träume hat, er hat keine Zukunft. Und wer keine Zukunft hat, der hat bereits die Gegenwart verloren.

Auf jeden Fall war es im Sinne beider Kaiser, zwischen ihren  Reichen und dem Zarenreich einen gewissen Puffer zu schaffen. Es braucht nicht viel an Einsicht um zu erkennen, daß eine direkte Nachbarschaft deutlich rascher Probleme schafft, als ein gewisser Abstand. Es ist eine uralte politische Weisheit, daß Feindschaften zwischen Nachbarn oft blitzschnell entstehen, viel seltener aber zwischen "übernächsten" Völkern.

   Wilhelm von Habsburg, evtl. König der Ukraine
Erzherzog Wilhelm von Habsburg liebte bald das abgelegene, so ganz eigene, archaische Leben in Ostgalizien und weiter östlich und südlich. Er war fasziniert von dieser komplexen, vielsprachigen, vielkulturellen Urlandschaft, der er immer mehr zugehören wollte, und lernte deshalb ukrainisch. In diesen Zeiten entwickelte er gar zu mancher Frau leidenschaftliche Gefühle.

Im Zuge des Kriegsverlaufs wurde Ostgalizien von Österreich und Deutschland besetzt. Schon in dieser Zeit setzte Wilhelm durch, daß Galizien gewisse Autonomie zugestanden bekam. 

Nach dem Frieden von Brest-Litowsk 1917 kamen umfangreiche weitere Gebiete unter deutsch-österreichische Fuchtel, sodaß die besetzten Länder bis zum Schwarzen Meer reichten. Daraus wollte Wilhelm nun sein Königreich gestalten. Und für einige Momente schien sein Traum auch in Erfüllung zu gehen. 

Ganz aus der Luft gegriffen war das alles ja nicht. Denn Österreich und Deutschland planten schon vor 1914 für die Zeit nach dem (siegreich beendeten) Krieg (und 1916 war ein Sieg in Reichweite, 1917 dachte man in Europa sogar, daß er erreicht war - da traten die USA in den Krieg ein ... der Rest ist bekannt) ein Königreich Polen. Und einer der angedachten Kandidaten für diese Herrschaft war Wilhelms Vater, Karl Stephan von Habsburg, Admiral der k.u.k-Marine und über viele Ecken Cousin zu Kaiser Franz Joseph und zum nachfolgenden Kaiser Karl. Karl Stephan, Admiral der k.u.k.-Marine, sprach selber polnisch, und hatte zwei seiner Töchter in polnischen Hochadel verheiratet. Die Verbindung der Habsburger zu diesen europäischen Raum war also gut vorbereitet.

Insgesamt aber ist das nur einer der vielen Widersprüche beim "Roten Prinzen". Denn er, aufgewachsen auf der Insel Losinj (k.u.k-Adria) in einer großen Villa mit Park, unterrichtet von Hauslehrern, gab sich als Vertreter marxistischer Ideen, stellte sich stets als Freund des einfachen Volkes und des Proletariats dar, und las die Werke der Austro-Marxisten. Vor allem aber wollte er erreichen, daß die Ukrainer ihn "liebten". Vielleicht klitterte er damit das Unvereinbare, und sah hier den König, dort die Liebe des Volkes, das ihn zurückliebte - und somit seine Herrschaft legitimierte weil zu einer neuen Form des Regierens hob. So mag er es sich vorgestellt haben, der von Kindheit an davon träumte, ein Volk zu regieren - und sich (mangels Alternative) für die Ukrainer entschied.

Es ist schon auffällig, daß die späteren Vorstellungen Adolf Hitlers für den "Raum im Osten" sich ziemlich genau mit jenen österreichisch-deutschen Plänen decken, die bereits vor 1914 entworfen worden, und in den Jahren bis 1918 durchaus realistisch waren. Als das Zarenreich zusammenbrach, und viele der westlichen Gebiete des Zarenreiches ohne staatliche Gefügtheit waren, mußte ja etwas geschehen, mußte ja eine Ordnung errichtet werden, die neu war.

Der Kaiser ermunterte Wilhelm schon Jahre zuvor, sich mit der ukrainischen Frage zu befassen. Und man gab ihm 1915 sogar ein Regiment (4.000 Mann) mit ukrainischen Freiwilligen, die gegen Rußland kämpften. Und denen man als Motivation einen ukrainischen Staat an den Himmel gemalt hatte. Noch heute gelten diese jungen Männer, zumeist gefallene Helden, als Vorkämpfer für eine selbständige Ukraine. Und tatsächlich bildet sich in Galizien das erste Ukrainien, das aber gleich wieder 1919 von dem gerade entstandenen Polen erobert wird. Zur selben Zeit bildet sich im Osten ebenfalls eine Ukraine.

Wilhelm sah früh den Nationalismus in den Monarchien, und schloß folgerichtig, daß es über kurz oder lang zu Staatenbildungen kommen würde. Und wo es Staaten gab, gab es Bedarf nach Herrschen. Also versuchte er, in den beiden Teilen West und Ost-Ukraine Spuren zu finden, die man dann zu einem Staat verknüpfen konnte. 

Aber im Mai 1918 gab der Habsburger, der sich bis zum Krieg wegen seines dandyhaften Lebens (in dem er sich sexuell mit Männern aus Vergnügen, mit Frauen nur aus Notwendigkeit abgab) nicht gerade mit Ruhm bedeckt hatte, sein Vorhaben schon wieder auf. Es war ihm nicht gelungen, zu der als Staat Ukraine imaginierten Vision eine reale Ordnung zu finden. In der er sich dann als König etablieren hätte können. Immerhin aber knüpfte er ein Netz von Männern, die sich allmählich zu einer Struktur finden konnten, und tatsächlich fanden. Aber ... ohne einen König Wilhelm

Im Zuge der fast gleichzeitigen Auflösung der k.u.k.-Monarchie sowie des Zarenreiches in die Einzelvölker, hatte Zentral-Osteuropa ein wahres Selbständigkeitsfieber erfaßt. Die Entstehungsgeschichte der Ukraine ist dabei eines der verworrensten Kapitel. Sie war schließlich in der uns bekannten Form aus den verschiedensten Gebieten und Völkerschaften zusammengesetzt. Auf die aber auch sämtliche angrenzenden Staaten Ansprüche erhoben, und immer wieder auch kriegerisch durchsetzen wollten. Polen mit Litauen, die Tschechoslowakei, Rumänien, Rußland, und die Türken darf man auch nicht vergessen. Die mit dem aus jahrhundertelangen Kriegen mit Rußland erfolgten Verlust der turkvölkischen Steppen nie so recht fertiggeworden sind. Was auch in Erdogans heutiger Haltung zu Rußland nicht vergessen werden sollte.  

Als vielleicht tragendste historische Rudimente einer Ukraine könnte man vielleicht das Kosakenland sehen, das sogar Katharina die Große respektiert hatte, aber als Teil Rußlands beanspruchte. Dazu "Kleinrußland", das Kiew umschloß, und "russisch" war. Sowie der Westen, das ehemalige k.u.k-Galizien und die k.u.k.-Bukowina.

Die Ansätze einer Ordnung zum Staat nach dem Krieg hielten vorerst nicht lange. Im November 1918 wurde zwar eine Ukraina gegründet, aber schon im April 1919 und endgültig 1922 löste sie sich als souveräner Staat wieder auf, und ging als Ukrainische SSR in die Sowjetunion ein. 

Zu Hitler war Wilhelm erst freundlich eingestellt, und machte sich aus der so raschen Eroberung der Ukraine durch die Deutschen Hoffnungen. Aber als er bemerkte, daß Hitler die Habsburger verachtete, er also keine Chance hatte, wurde er oppositionell. Noch nach dem 2. Weltkrieg galt er als Kandidat eines möglichen ukrainischen Staates und informeller Ansprechpartner für russische und ukrainische Angelegenheiten, Man kann nur mutmaßen, ob ihn tatsächlich Frankreich und England immer wieder kontaktiert hatten, um von ihm Informationen zu erhalten.  

Nicht zuletzt aber deshalb wurde er vom NKWD Stalins als feindlicher Agent gesehen und schon in Wien beobachtet, wo er sich nun aufhielt. Im August 1947 wird er dort auf offener Straße verhaftet, und in die Sowjetunion gebracht. 

Er war den Sowjets insofern eine Bedrohung, als er sich stets als Verfechter einer ukrainischen Selbständigkeit sah. Somit war Wilhelm von Habsburg ein nicht unbedeutender ukrainischer Nationalist. Und ein Habsburger Erzherzog, der so viele Kontakte wie dieser hatte, sollte in den Augen der Sowjets sowieso nicht frei herumlaufen. 

Bald erkrankte er in dem kalten NKWD-Gefängnis Kiews an TBC, wurde aber ohne medizinische Betreuung gelassen. Den Akten nach starb er schon ein Jahr später, 1948. Immerhin also konnte er in dem Land sterben, in dem er sich als König gesehen hatte, in seinem Traumland Ukraine. 

 QR Snider zu "The Red Prince"

Ich bringe hier einen Film über ihn. Wie schlecht er auch sein mag, er gibt einen ersten Eindruck dieser problematischen, aber durchaus interessanten Figur. Bei der ich zahlreiche Parallelen zum Bayernkönig Ludwig II. sehe. Auch in den Bezügen zum Archaischem. Ansonsten beziehe ich mich auf die meines Wissens einzige existierende Biographie Wilhelms, auf "The Red Prince" von Timothy Snider Das Buch steht in meiner Bibliothek, Abteilung Monarchiegeschichte, Ecke rechts unten. Sie können ja kommen, um es hier zu lesen.


Erstellung 01. März 2022 - Ein Beitrag zur