Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 23. März 2022

Wenn alte Nebenwirkung neues Wissen schafft (1)

Ich habe - wie so oft, wenn ich die Statistik der Zugriffe überfliege, bleibe ich an einem Titel hängen, öffne die Datei, und bin schon mitten in der Textarbeit - auch diesen Text nun überarbeitet. Denn er gefiel mit schon, und ich habe nun einiges noch präziser formuliert, und noch mehr Inhalte herausgeschält. Sodaß ich es doppelt schade fände, wenn er wieder in der Kiste "es war einmal" verschwände. Also lasse ich ihn heraußen, und präsentiere ihn, werter Leser, als wäre er neu und noch nie präsentiert worden. 

So umfassend ist er aber nun geworden, daß ich ihn auf zwei Teile aufteile. Und sogar die Anmerkungen (auch sie sind erweitert) auf eine eigene Seite packe, damit sie dann leichter verfügbar und lesbar sind. Erstens sind die vorgetragenen Gedanken doch recht komplex, sodaß darüber ein bißchen nachgedacht müssen könnte, und zweitens ist es dann in kürzeren Abschnitten leichter und streßfreier zu lesen. Streßfreier, weil man nicht immer vor sich hat, daß man immer noch nicht weiter durch die dichtgesetzten Pflanzen des Textes vorangekommen ist. 

Ich hoffe, Sie genießen auch die erweiterte Gedankenführung, und lassen sich noch mehr zu einem luftigeren, spielerischeren, um ein ganz klein wenig erhobeneren Leben inspirieren - also "vom Geist durchströmen". Der hoffentlich nicht mein Geist, sondern ein weniger ähnlicher dem Geist des Geistes ist, sozusagen. Sie wissen, was ich sagen will. (Und erlaube mir da gleich noch einen Verweis auf einen Artikel aus dem Februar 2015, den ich ebenfalls vorhin überarbeitet und aufgefrischt habe (und an einem anderen Tag erneut präsentiere.) Er behandelt m. e. sehr präzise (aber damit natürlich auch recht komplex) das Problem des Denkens und Wissens selber. Und in DIESEM Artikel aus 2019 geht es ja auch um Wissen.

Den Artikel nannte ich an jenem 17. März 2019, an dem ich ihn erstmals verfaßt hatte, "Fragen Sie wegen Nebenwirkungen besser nicht die Wissenschaft". Den neuen titel (siehe oben) halte ich natürlich für ausgesprochen originell ... Der Beitrag aber sieht nun so aus:

Als der VdZ 1980 in Russisch (recht locker, das darf er mit einem Augenzwinkern erzählen) maturierte, erhielt er einen Aufsatz aus einer damals noch sowjetischen Zeitung (man hat ja im Unterricht sehr klar zwischen russisch und sowjetisch unterschieden: sowjetisch war immer auch russisch, aber russisch nicht immer sowjetisch) zur Übersetzung. 

Dieser feierte - typisch sowjetisch, und wer wie der VdZ sowjetische Zeitungen regelmäßig las, oder Radio Moskau hörte, kannte den Ton - die Errungenschaft der sowjetischen Gesellschaft. Die, wovon der Artikel handelte, nun in einem nächsten Megaprojekt im Oblast Bratsk (Teilrepublik Irkutsk) in Mittelrußland (Republik Sibirien) tausende Hektar Wald abholzte. Als eine nächste "Großtat des vom wissenschaftlichen Materialismus zur mutigen Weltgestaltung befähigten Menschen."

Natürlich unter Einsatz "modernster Maschinen". Dieser Hinweis durfte neben Meldungen über den Ausstattungsgrad sowjetischer Haushalte mit Waschmaschinen oder Klosettbecken in keinem Bericht damals fehlen. Alles war also ein nächster Sieg der Planwirtschaft, und der nächste Fünf-Jahres-Plan enthielt noch ehrgeizigere Ziele. Aus welcher völligen Selbstüberschätzung heraus ja die bekannten und gigantischen Umweltschäden in Form der Zerstörung riesiger Gebiete und früher funktionierender Landschaften, die wie als Folge der gigantischen Bewässerungsprojekte in Zentralasien (siehe Kirgisistan oder Kasachstan) zwar für einige Jahre große Ernten - etwa an Baumwolle, oder Weizen - einfuhr. Was die sowjetischen Medien natürlich zum nächsten "Sieg!" und "Beweis!" ausriefen.

Aber sie mußten sich beeilen. Denn es dauerte nicht lange, bis Halbwüsten und Wüsten daraus wurden, in die diese hunderttausenden Quadratkilometer einst grüner, völlig flacher (also "unendlicher") Grassteppe sich verwandelten. Das zur Bewässerung "genutzte" Wasser verdunstete einfach, und die Bodeninhaltsstoffe wurden mit der Baumwolle oder den Weizenkörnern abtransportiert. Die Erde vertrocknete und wurde sandig, während die Grundwasserpegel erbarmungslos und rasch sanken. Als vorläufiger Höhepunkt trocknete schließlich der Aralsee, seit je her als einer der größten Seen der Erde Lebensgrundlage und Mittelpunkt einer auch wirtschaftlich blühenden Kleinkultur, bis auf winzige Reste aus. 

Bratsk beziehungsweise Irkutsk liegt nicht fern von der Teilrepublik Jakutsk. Und dessen Leitung stand natürlich den Bruderrepubliken in der Erbringung von Mehrwert für die sozialistische Gesellschaft nicht nach. Also wurde auch in Jakutsk eifrig abgeholzt. Denn für Planübererfüllung (Stichwort "Stachanow-Bewegung") gab es ja schöne und vor allem schön bunte Blechmedaillen am Gedenktag zur Oktoberrevolution. Und recht sicher brachte dann Radio Kumbritskij für seine mindestens dreitausend Zuhörer ein vierstündiges Interview mit dem gerade zum Helden der Arbeit ernannten Leiter der Ruschinowsker Arbeitsbrigade "Roter November", mit dem Dritten Forstoberingenieur Wassilij Kirilenko. Denn auch die Arbeiter mußten sich in einem großen Krieg mit dem kapitalistischen Ausbeuterfeind begreifen, und ihren Beitrag zum Endsieg des Kommunismus an der Arbeitsfront leisten.

So. 

Was aber niemand bedachte waren eben Nebenwirkungen. Der Mensch kann sich eben nur entscheiden: Entweder er versenkt alle seine Kräfte in ein Teilprojekt, in ein Spezialfach, oder er widmet ich dem Übergeordneten, dem Übergreifenden, den Systemen und Ebenen der Ordnung, in der alles steht. Wir stehen aber heute im Bann eines Wissenschaftsbegrffs, der keinen Millimeter mehr von seinem Objekt abweichen will. Weil alles Denken, das sich in den Geist erhebt - angeblich - ihres Gegenstands entbehrt, und damit gar kein zulässiges, schon gar kein wissenschaftliches Denken mehr sein soll. Seit dem Siegeszug des Ratioanlismus, wie er von Wien ausgehend über Gestalten wie Sir Karl Popper einen kaum faßbaren Einfluß auf die gesamte, vor allem westliche Welt ausübte, ist ein positives Denken nicht mehr möglich, will man Wissenschaft betreiben. Sondern nur noch ein deduktives Ableiten, dem der übergeordnete Rahmen immer fehlt, weshalb Wissenschaft überhaupt nur "widerlegen" kann - nicht postulieren. Unter Berufung auf Kant, wird somit die Mathematik zur ersten Grundlage der Wissenschaft überhaupt. Diese wäre nämlich "frei von Postulaten" zu halten, und das heißt: Die Leere der Sinnlosigkeit muß männlich durchgehalten werden. DANN kann man Wissenschaftler sein. Eine übergeordnete und absolute Wahrheit und Gewißheit und damit ein sicheres Wissen aber gibt es nicht, nur die "Wahrheit" eines völlig beherrschten, mechanischen Teilprozesses.

Damit sind natürlich auch die Ansätze des wissenschaftlichen Materialismus erfüllt weil in ihrer Grundlegung getroffen. So ist der Ring frei für alle nur möglichen Megaprojekte geworden, mit denen auf total wissenschaftlicher Basis die Überlegenheit des sowjetischen Menschen über die Materie (von der er ja nur ein Teil ist), in Wahrheit aber über den kapitalistischen Playboy wieder und wieder bewiesen wird. (Siehe Anmerkung*

Denn eine übergeordnete Geisteswelt - Geist ist ja nur eine Täuschugn, eine Emanation physikalisch-chemischer Prozesse im Gehirn, in der etwas nur subjektiv wie etwas Anderes aussieht, aber doch nur Materie und Mechanismus ist. Diese Welt ist endlich, das ist Gegenstand der Erfahrung, und Wesen der Materie. Und als endliche Welt ist die beherrschbar. Wenn nicht gleich, dann in der Folge.

Oder doch nicht? Denn wie sich nun herausstellt, waren oder sind die überraschenden und nie geplanten Nebenwirkungen menschlicher Handlungen, die in diesem Geist ausgeführt wurden, vor allem deren Übergreifen auf nie vorhergesehene weitere Bereiche, beträchtlich. Fast ist es so, als wäre die Welt ein in Ebenen geschichtetes System einer Ordnung! Die sogar die Eigenschaften hben könnte, daß sie, wenn sie nicht eingehalten wird, furchtbar "zurückschlägt."

Der Batagaika-Krater in Mittelsibirien
Und so verhält es sich auch in diesem Fall, der ehrgeizigen Abholzung. Denn die Teilrepublik Jakutsk hat anders als Irkutsk große Gebiete mit Permafrostböden. Das Land liegt ja schon um Einiges nördlicher. Die Hauptstadt Jakutsk gilt überhaupt als kälteste Großstadt der Welt. (Und selbst wenn jemand weitergedacht hatte: Damals dachte man ja noch so primitiv, und meinte, wenn es in Sibirien ein wenig wärmer würde, würde das sicher nicht schaden. So viel Ackerboden, und niemand kann ihn richtig nutzen! Sagen Sie DAS einmal jemandem, der überzheugt ist, daß die Erde zerstört wird, wenn sie sich um eineinhalb Grad oder deren zwei "erwärmt" - soferne das überhaupt möglich weil wirklich zu Ende gedacht ist. Zumalen von einem wirklichen Begreifen der klimatischen und meteorologischen Großprozesse der Atmosphäre ja keine Rede sein kann. Dies ist lediglich ein ... eiderdautz! ... nützliches weil Handlungen entfesselndes Postulat.) 

Prompt ist auch in diesem Landstrich seit den 1980er Jahren etwas nie Vorhergesehenes und nie Gewünschtes - Unvorhergesehenes bei wissenschaftlichen Großtaten hat in der Regel die unangenehme Eigenschaft, nicht gewünscht zu sein - eingetreten: Der nunmehr seiner schattengebenden Wälder (und Wälder sind so faszinierende Gebilde, daß man fast meinen könnte, sie leben, und mancher Aberglaube sieht dieses Phänomen auch als "selbständigen Geist") und damit seiner zahllosen Räume mit je neuerlich fast autonomen, selbst regulierenden und damit wechselweise interagierenden Kleinklimata (alles wiederum in engster, harmonischer, fast organismischer Abstimmung mit den Böden, dem Wasser und so weiter, alle swiederum in Unterordnung unter den Lauf der Jahreszeiten, wie ihn die Sonne vorgibt) beraubte Tundraboden war fortan ungeschützt der Sonne ausgesetzt. Also hat er sich erwärmt. (Siehe Anmerkung²)

Morgen weiter mit: Russische Phantasie von Hölle. Das nennt man dann in seiner vollen Ausgestaltung "Welt". Eine Welt, in der sich alles in Rauch und Wärme auflöst, um nach oben zu steigen. Bis es im universalen Sein des All(e)s GANZ NAHE BEI DEM EINEN GEWORDEN ist