Es klingt fast unglaublich, aber man muß zu dem Schluß kommen - daß es "Religion" gibt, ohne Religiosität. Versteht man nämlich Religiosität als jenes Verhältnis zum Leben selbst, als Brennpunkt des Lebens, ist die Abnahme der Fertilität besonders im mit "christlich" gleichgesetzten Westen ein sicheres Zeichen dafür, daß sich Religion von ihrem eigentlichen Wesen entfernt hat.
Das ist der eigentliche Knackpunkt aller Kritik an Kirche und Religion. Und er hat mit dem Lebensvollzug zu tun, mit dem alltäglichen praktischen Leben. Das der Westen sogar im buchstäblichen Sinn sterilisiert und unfruchtbar gemacht hat.
Wenn islamische Staaten sich - als einzige mittlerweile - diesem Trend der niedrigen Fertilitätsrate widersetzen, so zeigt das möglicherweise zwar AUCH ideologisierte Motive. Aber es zeigt dennoch eine Unmittelbarkeit zum Leben selbst, die Fragen aufwirft. Die nicht einmal direkt mit dem Islam in Verbindung stehen müssen, der viele Züge zeigt, die ihn als "Religion der Verweichlichung" ausweisen.
Aber jede Religion hat unmittelbare Religiosität zum Ursprung, die mit dem offiziellen Religionsbild gar nicht wirklich etwas zu tun haben müssen. So ist es ja bekannt, daß der Buddhismus - als Mönchsreligion, wenn nicht -philosophie - in Ländern dominiert, deren Bevölkerung im Grunde eine kaum differenzierbare Naturreligion praktiziert. Nicht viel anders ist es im Islam. Und schon gar nicht anders ist es am naturrechtlich verankerten Christentum.
Was aber ist eine Religion, der die Religiosität abhanden gekommen ist? Was ist eine Kultur, die nicht mehr auf Religiosität aufbaut (denn NUR darauf kann sie überhaupt aufbauen)? Ein ... Computerprogramm? Ein technisches Konzept der Einheitsschaffung?
Wer aber seine Religiosität verliert (was nicht dasselbe ist wie: seine Religion, der er nominell noch angehören kann, ja zu der er sich "bekennen" kann), der verliert seine eigentliche Menschlichkeit, der betritt das Land der Dämonen. Man braucht deshalb auch über eine "Neuchristianisierung" gar nicht reden, wenn der Boden der Religiosität fehlt. Dann wird selbst das "Christentum" zur Dämonie heruntergebrochen. Genau hier beginnt also das Feld der "Erneuerungsbewegungen." Denn das Christentum ist aus seinem Wesen her keine "Bekenntnisreligion", so sehr man sich dazu "bekennen" muß. Die Frage der Zukunft ist nicht, ob es einen Gott gibt. Das gehört zum Bereich des Wissens. Jeder Mensch "weiß" das, im eigentlichen Sinn, ob er es abstreitet oder nicht, und jede Polemik dagegen ist leer. Und selbst die nihlistischesten der heutigen Konzepte (und deren gibt es heute jede Menge, nicht zufällig) reden von "Gott".
Die Frage ist, ob man religiös ist. Und das führt sich nicht über Diskussionen ab. Es erwächst aus Kriterien der Lebensform, die mit "Bekenntnis" rein gar nichts zu tun haben.
Die Frage ist, ob man religiös ist. Und das führt sich nicht über Diskussionen ab. Es erwächst aus Kriterien der Lebensform, die mit "Bekenntnis" rein gar nichts zu tun haben.
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