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Dienstag, 9. Oktober 2012

Selbstauflösendes Verkaufen

Der Verkaufsakt ist an sich ein philosophisch hoch interessantes Geschehen, und kaum ein Bereich der Wirtschaft wird deshalb so konzentriert von Theorien und Methoden beherrscht. Aber nicht aus seiner metaphysischen Tiefe her, sondern weil sich darin die heutige Lebens- und Seinsungewißheit der Menschen ausdrückt, durchaus also "mangelndes Gottvertrauen". Aber warum? Weil Gott es schon so macht, daß wir auch "Erfolg" haben? So weit wollen wir nicht gehen, aber es hat indirekt damit zu tun, direkt aber mit dem Auseinanderfallen der gesellschaftlichen Strukturen, die sich auf die Identitäten der Menschen auswirkt, also auf deren passiven Teil - den, den man nicht bewußt-willentlich erreicht.

Wobei wir das Thema natürlich hier nur streifen können*. Aber wir tun es, weil es sehr Prinzipielles anzeigt, das die häufigsten Denkweisen über Verkauf und Erfolg auf den Kopf stellt, als prinzipiell - nicht graduell - falsch darstellt. (Und daß etwas mit ihnen nicht stimmen kann zeigt sich schon darin, daß die "Schulen" des Verkaufs pausenlos wechseln.) Und wir tun es, weil es in diesen Zeiten der Wirtschaftskrise immer häufiger zu beobachten ist, und Grund zur Sorge bietet. Denn es ist keine Reaktion, die Besserung bringen oder das Überleben auch in Krisenzeiten sichern wird, man muß es nur übertauchen, sondern die bestehende Wirtschaftspartner regelrecht aus dem Spiel nimmt, dauerhaft, auch wenn die Zusammenhänge meist nicht erkannt werden.

Aber klarer werden auch die folgenden Thesen, die im übrigen die Essenz aus langjähriger Erfahrung in Verkauf wie Verkaufsleitung darstellen, wenn wir den Verkaufsakt als "Akt der Zustimmung zweier Seiten zu einem Seinszustand im veränderten Seienden" definieren. Eigentum hat ja mit Persönlichkeit zu tun, und deshalb mit Integration in eines persönlicher Sphäre. Auf dieser Ebene setzen beide Partner eines Verkaufsaktes ihr Leben fort, beide: bereichert, also mit gesteigertem Lebensvollzug.

Daraus folgern "merkwürdige" Eigenheiten. So das Paradigma des "gerechten Preises". Denn es ist ein Trugschluß - der tatsächlcih unter "Vorurteil" und "Massenpsychose" fällt - zu meinen, daß ein Käufer möglichst "wenig" bezahlen, ein Verkäufer möglichst "viel" erzielen möchte. Der aus dem Verkennen von Wirtschaftsprozessen "als" mathematische Akte erfolgt. Die es niemals sind. Es sind immer reale Akte des Lebensvollzugs. Somit gibt es im Verkaufsakt ein Aufeinandertreffen zweier Bedürfnisse (schon das zeigt die Mißverständnisse, die auf dem Gebiet vielfach herrschen) - dem des Produzierenden, der im Produkt (!) seinen Bedarf gestillt hat - sein Leben zu vollziehen - und den des das Produkt Bedürfenden und deshalb Wollenden.

Die Einigung auf ein Äquivalent in Geld, das beiden (!) Bedürfnissen gerecht wird, heißt, daß zur Herstellung von Zufriedenheit, die über dem ganzen Akt liegt und liegen muß (sonst bleibt er immer Quelle von Unruhe, wie immer die sich äußert, und sie äußert sich, das ist keine Frage), der Akt auch mit einer bestimmten Summe Geldes in eins fällt. Er ist davon nicht zu trennen. Im Akt der Lieferung UND der Zahlung ist ein Verkauf also in sich abgeschlossen, was nur auf den ersten Blick "banal" klingt.

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit, wie heute, ist nun zu beobachten, daß die Preise für bestimmte Dinge fallen, weil (angeblich, und auch das wäre mit Ausrufezeichen zu versehen**) Preisdruck entsteht. Das hat gegen alle Behauptungen aber nicht mit wirtschaftlichem Druck zu tun, sondern mit Angst. Und nur mit Angst. Und so brechen auch in Bereichen die Preise ein, oder sind in Gefahr das zu tun, die bislang noch unberührt blieben, wo es etwas wie allgemein akzeptierte "Branchenpreise" gab. In der Meinung, daß solch ein Verhalten die aufrechterhaltung des Verkaufs ermögliche, ja notwendig sein. In Unternehmen heißt es dann: ja, der Kunde X möchte nur noch so viel zahlen, nicht mehr so viel, sonst kauft er bei der Konkurrenz.

Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wer so handelt, handelt von Angst getrieben, und viel zu kurzfristig, denn mittelfristig wird er dieses Geschäft, das er zu retten versuchte, erst recht verlieren. Warum?

Wird ein bestehender, etablierter Preis gesenkt, löst sich auch der Akt des Identitätseintritts auf. Das heißt, daß sich für den Kunden die Festigkeit des Kaufs aufzulösen beginnt. Seine Entscheidung diffundiert regelrecht. Aus diesem einen Akt der Preissenkung folgt in immer kürzeren Abständen ein nächster, und zwar eben WEIL der Verlust der Seinsdichte dies durch Häufkigkeit zu kompensieren sucht, bis nichts mehr bleibt, und der Kunde den Lieferanten wechselt, der Verkäufer aber pleite ist.

Löst sich die Kontur eines Aktes auf - und dazu gehört wesentlich der Preis - fehlt dem ganzen Akt der Eros, ihm beizutreten, auf diese einfache Formel kann man es bringen. Den Preis eines bestehenden Vertragsverhältnisses zu lösen heißt also, das Kaufverhältnis an sich aufzulösen, es wird ihm also kein neuer folgen, sondern gar keiner. Weil die Festigkeit, mit der an einem solchen Akt festgehalten wird, nachläßt, und damit überhaupt aufhört zu bestehen. Daß es meist noch einige Zeit braucht, bis sich auch solche Verträge definitiv auflösen, hat mit simplen Trägheitsgesetzen zu tun. Nicht aber mit dem Verkauf selbst. Nichts anderes also als bei "Produktanpassungen" an angeblich geänderte Kundenwünsche passiert (solange es sich nicht um ein "anderes" Produkt handelt).

Greift in einer Wirtschaft, in einer Branche als Teilbereich, die Angst um sich, ist es genau diese Angst - nicht "reale Gründe", die sind nur Rechtfertigung - die allmählich alles apriorisch zu zersetzen beginnt. Und nicht, wie praktisch ausnahmslos, aber in völliger Verkennung der wahren Vorgänge, argumentiert wird, umgekehrt. Denn das Wesen des Preises ist eben nicht "möglichst hoch/möglichst niedrig" zu sein, wie der Rationalismus fälschlich meint, sondern  Adäquatheit als ontologisches Pprinzip. Nur so bilden sich dauerhafte Geschäftsverhältnisse, Verträge die auch halten, und für die an Wirtschaftsprozessen beteiligte Menschen wirklichen Lebensvollzug bringen, der sie nicht zu Synapsen von mechanischen Vorgängen degradiert, für die Zufriedenheit oder Glück aus ihrer Arbeit immer ein Fremdwort oder unerreichbarer Sehnsuchtshafen bleiben wird.




*Der Verfasser dieser Zeilen fasst hier einige Ansätze aus dem unvollendet gebliebenen Manuskript "Verkauf und Identität - Eine Philosophie des Verkaufs" von E. Wagner zusammen.

**Es gibt nicht zufällig in JEDER Krise die seltsame Erscheinung, daß ganze Branchen nie von ihr berührt werden. In denen auch die Preise für ihre Produkte stabil bzw. im Äquivalent bleiben, was jeder landläufigen Krisentheorie schon alleine widerspricht. Und das sind schon oft auf den ersten Blick Branchen, die in der Stellung, dem Bestand ihrer Leistung - ich rechne da natürlich auch die Kundenseite dazu - selbstgewiß sind. Es ist ein Irrtum, das mit "Nachfrage" oder "Ersatzlosigkeit" zu bezeichnen - das erklärt es nicht wirklich, sondern die Begründung muß in der Stellung des zweiseitigen "Seinsaktes" gesucht werden. Während Branchen, die in sich unsicher in ihrem Sein sind, ganz besonders rasch einbrechen.



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