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Mittwoch, 17. Oktober 2012

Das Übliche ist nicht normal

Es ist interessant, daß der (in seiner Relevanz weit unterschätzte) Diskurs über Normalität auch in der Psychiatrie in dem Maß zunahm, in dem die Selbstentfremdung in den Gesellschaften zunahm. Denn das gesellschaftlich "Übliche" ist längst nicht mehr einfachhin das "Normale."* Ausgehend von einer Entfremdung in den Arbeitsprozessen (die mit dem lebendigen Selbstvollzug der Individuen immer weniger zu tun haben, sondern sogar verlangen, daß die autochthonen Selbstkräfte in den Dienst der Geldproduktion gestellt werden, ein Maß an Entfremdung, wie es historisch wohl noch nie bestanden hat), ausgehend von politischen Prozessen, die von wirtschaftlichen Vorgängen zutiefst abhängig wurden, auf der Grundlage von wissenschaftlichem Technizismus, der in der Objektivierung gesellschaftlich per se immanenter Prozesse längst bis in die hintersten Winkel der menschlichen Existenz kriecht, um sie dem originären Menschsein zu entreißen.

So steht der Mensch gesellschaftlichen Prozessen gegenüber, die ihn einerseits zwingen, denen er sich nach wie vor integrieren muß (weil nur so Menschsein möglich ist), die ihn anderseits aber sich selbst entfremden. Weil sie sein originäres Wollen (das nicht apriori in Bildern feststellbar ist, sondern das Hineinüberschreiten in das Begegnende hervorbringt**) nicht mehr aufnehmen, es sogar mißbrauchen.





*Es gibt also eine Gesellschaft, die entartet ist, sodaß ihren Konventionen zu folgen Selbstverlust zur Folge hat.
**Wenn heute oft die Rede davon ist, daß die Menschen nicht mehr wüßten, was sie wollten (oder: wollen sollten), so stimmt das keineswegs. Vielmehr ist die natürliche Haltung, KEINE Bilder vom Gewollten zu besitzen, dafür die Bereitschaft zu haben, sich jeden Augenblick dem Begegnenden ganz zuzuwenden, um damit zu interagieren - WORIN sich (posthoc) ein Wille ablesen läßt. Wenn diese Selbstüberschreitung nicht mehr funktioniert, sollen positivistische Willensbilder diesen originären Willen ersetzen. Welcher Selbstmißbrauch dann fälschlich übersetzt wird mir: jemand wisse, was er wolle.


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