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Montag, 8. Oktober 2012

Selbstentfremdungsarroganz

Als "getragen von einer unverschämten Arroganz der Akademiker" bezeichnet der FAZ-Kommentar von Jürgen Kaube die Ergebnisse einer Studie, die in diesen Tagen durch die Medien geisterte. Denn die präsentierten Aussagen, die den Milieukonservativismus der Bildungswahl der Deutschen (und Österreicher) anprangern sollte, dabei zu einem ideologischen Mahnruf der "Ungerechtigkeit einer Klassengesellschaft" mißbraucht wurde, seien alles andere als schlüssig und wissenschaftlich seriös zu bezeichnen.

Zwar sei richtig, daß ein höherer Prozentsatz der jungen Menschen als noch vor 30 Jahren einerseits durch Abitur/Matura Hochschulreife erlange, aber die Aussage, daß "weniger" ein Studium begönnen oder gar abschlössen sage vielleicht nur, daß diese Menschen mehr überlegen würden. Denn viele der Studienbeginner wählten Studien eindeutig aus "Verlegenheit", sodaß einem Studienabschluß oft eine ernüchternde Bilanz gegenüberstehe: daß viele Studienabsolventen zwar studiert hätten, aber keinesfalls ein Berufsbild dagegenstünde, das ein erfüllteres Leben brächte. Die Zuwachsraten von Studien in den Bereichen "Medien", Pädagogik/Psychologie etc. sprächen Bände. 

Während die Wirtschaft (und den sozialen Bereich will man da noch gar nicht ansprechen, denn er wird DER Mangelbereich der nächsten Zukunft!) mehr denn je unter Facharbeitermangel klage! Wo könne also der Sinn einer Bildungspolitik liegen, die das Ziel "mehr Akademiker" zum Prüfstein einer gelungenen Gesellschaft mache? 

Steckt, so Kaub, dahinter nicht jene Arroganz, die im alten Preußen den Menschen erst ab einem Leutnant anfangen ließ? Was mache Menschen in Lehrberufen weniger wünschenswert, weniger wertvoll? Wo man doch genau solche brauche? Was läßt diese Menschen zu "Opfern" werden? Vielleicht nur die Arrognaz der Akademiker, die doch tatsächlich vielfach zu glauben scheinen, daß die Welt erst mit ihnen anfange?

Wer definiere "bildungsfern", noch dazu wo die Kinder der Kinder von "bildungsfernen Eltern" nun bereits als aus "bildungsnahen Schichten" kommend gezählt würden? Die Zunahme der Hochschulberechtigungen hat doch auch einfach mit gezielter Bildungspolitik zu tun, die sogar Jugendlichen mit Lehrabschlüssen oft schon parallel mit Abitur/Matura ausstatteten - dabei wollten diese Menschen nie etwas anderes als - einen Lehrberuf ergreifen? (Wobei hier gar nicht die Rede davon sein soll, daß Auszubildende mit Abitur ein ganz eigenes Problem der Identitätsverwirrung und damit Lernbereitschaft darstellen, Unternehmer können davon ein buntes Lied singen! Hier kann der Verfasser dieser Zielen der Aussage Kaubs nicht zustimmen, daß Abitur/Matura für einen Lehrberuf besser geeignet mache - das Gegenteil ist der Fall.)

So aber werden Personen, die eine Wahl getroffen haben, so Kaub, zu Opfern der sozialen Umstände deklariert, als seien sie "Objekt einer andernorts getroffenen Wahl" (cit.). Es steige "die soziale Selektion" mit dem Lauf der Jahre. 

Wer selektiert denn da? Oder ist diese Ausdifferenzierung nicht Ergebnis einer je individuellen Wahl? Warum soll diese Wahl plötzlich erzwungen gewesen sein?

Wenn es also heißt, daß Menschen mit Hochschulreife "viel zu selten" die Universität wählten, versteckt sich dahinter vielleicht nur ein von den beurteilenden Soziologen gehegtes Ideologem, eine motivierte Wunschvorstellung, in der alles unter dem eigenen Stand als "Fehler" deklassiert wird, wenn es heißt, daß Jugendliche, die trotz Abitur/Matura einen Lehrberuf ergriffen, "dem Universitätsbetrieb verloren gingen"? 

Wer geht da verloren? Muß denn ein Bauzeichner weniger können, als ein Bachelor der Soziologie? Ist ein Betriebswirt mehr wert als ein Feinmechaniker, ein Erziehungswissenschafter mehr als ein Elektroniker? 

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Zeigt sich darin nicht eine ganz andere Geisteshaltung: die einer Schichte, die um ihre Macht weiß, der zuzugehören ihr alles bedeutet hat - auch um den Preis, eine falsche Lebenswahl getroffen zu haben. Und der Verfasser dieser Zeilen kennt nicht wenige Akademiker, vor allem Frauen, die Mitte dreißig in der für sie nun schon fast unlösbaren und regelrecht tragischen Bredouille stecken zu erkennen, daß sie ein Lebensziel gehabt hätten oder nun entdecken, das in ihren früher deklarierten, angestrebten Zielen und Wertesystemen gar nicht vorkam oder abqualifiziert wurde, und deshalb vermieden und nicht erreicht wurde, ja bei gleichbleibender Lebensführung nicht mehr erreicht werden kann.

Die steigende Akademikerarbeitslosigkeit, die zunehmende "Praktikanten-Praxis", die Tatsache daß schon auf niedrigen betrieblichen Ebenen "Akademiker" (oder Abiturienten) eingesetzt werden, weil sie in Massen zur Verfügung stehen, ist nur ein müder Hinweis darauf, daß der "Akademikerwahn" nichts sonst sein könnte als eine weitere Rechnung die nach Bezahlung schreit.  Von denen nicht zu reden, die immer noch fast panisch Ausbildung um Ausbildung absolvieren, weil sie dem Mythos glauben, daß das ihre "Chancen auf Lebenszufriedenheit" durch objektiven Anspruch auf Aufstieg in der gesellschaftlichen Hierarchie steigern könnte. Denn genau das wird Universitätsabsolventen, immer häufiger Musterbeispiele an Selbstentfremdung, suggeriert.

Eine Negativrechnung, die der Aberwitz widersprüchlicher, unausgegorener, und jeder Vernunft Hohn sprechender Gesellschaftsveränderer, die seit Jahrzehnten die "Politik" beherrschen, angerichtet hat. DAS nämlich - das Auseinanderklaffen von getroffener Wahl und erfahrener Lebenszufriedenheit - ist ein Grundschema, das sich mittlerweile durch sämtliche Gesellschaftsschichten zieht. 

Es zeigt, daß Paradigmen und Kriterien eingeführt wurden, die der Lebenswirklichkeit der Individuen nie entsprochen haben. Daß Bewertungsmaßstäbe in mittlerweile fast allen Lebensbereichen (auch den allerpersönlichsten, ob in Sexualität, Partnerwahl, Familienwunsch, etc. etc.) buchstäblich herrschen, die dem wirklichen Wollen der Menschen gar nicht entsprechen. Es aber als "minderwertig" und unerwünscht abqualifizieren. Deutlicher läßt sich das Wesen der Gesellschaftspolitik der letzten Jahrzehnte, die den Menschen schlicht und ergreifend umdefiniert und willentlich verkannt hat, die utopisch bis zur Irrelevanz war, einfach nicht mehr charakterisieren. 

Aber um das zu ändern, ja überhaupt einmal zu erkennen, müßte mittlerweile eine ganze Funktionärselite, mit einem Wall von "Akademikern" in Massen umgeben, die an diesen Irrtümern mit allen Mitteln festhält weil ihr ganzer dünner Lebensentwurf nur noch daran hängt*, erschüttert werden. Was zuerst heißen müßte, die schizoid mißbrauchten Begriffe zu reformieren. Solche Reform KANN aber nicht von Akademikern in heutiger Form kommen, denn Reform kann nur von den Wurzeln des wirklichen individuellen Lebens ausgehen, aus denen sich auch der Akademiker-Begriff neu mit Inhalt füllen  müßte. Und diese Quellen aber wurden - vorsorglich, aber Teil der Strategie - längst ... verleumdet.






*(Welche Aussage alleine durch die Beobachtung erhärtet wird, daß seit dem EU-Beitritt im besonderen Akademiker in Österreich schon durch  nachträgliche Zuerkennung von Titel (als Initiation der Klassenzugehörigkeit), durch neue Titel auch für mindere Bildungsgrade (Bachelor!), für Titel in Bereichen (Kunst!), die diesem Klassenwesen naturaliter widerstreben würden, geschaffen wurden. Es ging also nie um die Bildung - es ging um die Klassenzugehörigkeit. Übrigens: jene Klasse, die die eigentliche Zielgruppe wirklicher Propaganda ist. Die sich ja auf die Persönlichkeitsstruktur bezieht, deren Grundlage Gruppenzugehörigkeit bildet - diese muß man beherrschen, die Menschen identitär besitzen weil existentiell abhängig wissen! Nicht "Meinungen", die folgen dann automatisch, werden völlig überbewertet, sind aus dem Lebensvollzug fast beliebig bildbar.)



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