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Sonntag, 21. Oktober 2012

Erst einmal leben

Das langweilige, dabei so frustrierende an so gut wie allen neuen politischen Bewegungen ist, daß sie zwar mit viel Schwung oft den Einzug in Parlamente und Verantwortungspositionen schaffen, dann aber die für sie überraschende Entdeckung machen, daß die Abläufe der Politik, die sie zuvor kritisiert haben, DOCH in sich sehr logisch und folgerichtig sind. An den deutschen und österreichischen Grünen hat man beispielhaft erlebt, was dann passiert: Sie spalten sich in "Realos" und "Fundis", und die Realos siegen. Und unversehens werden die, die angetreten sind, alles umzubrechen, zu den verbissensten Kämpfern für die Erhaltung des status quo. Natürlich, mit gewissen Behübschungen, die ihren Anhängern das befriedigende Gefühl geben, doch ihre grundsätzlichen Ziele weiter treu zu verfolgen. Billiger Jahreskarten für Öffis zum Beispiel, oder Fahrradkennzeichen.

Es ist das Problem vieler, gerade durchs Internet: allzu vieler, Vorgänge zu kritisieren, die sie im Grunde nicht verstehen, ja die sich gar ihrer Vorstellungswelt völlig entziehen. Weshalb sie mit Feindbildern arbeiten, die sich schon bei erstem Kontakt mit der Wirklichkeit als leer herausstellen, nicht haltbar sind.

Keiner der "Bösen" läuft nämlich mit Teufelsfratze herum und verströmt pestilenzartigen Atem. Keiner trifft sich in Hinterzimmern und verhandelt über Mechanismen der Machterhaltung und Ausbeutung. Und auf keiner Stirn klebt die Haftnotiz "Ich bin ein Böser."

Es ist aber genau diese "Logik der Vernünftigkeit", die uns das Leben kostet. Aber nicht, weil sie vernünftig wäre, sondern weil Vernunft zugunsten einer entwurzelten Logik (Rationalismus) aufgegeben wurde. Der heutigen Politik, ja der gesamten Funktionärselite, mangelt es also mitnichten an "Logik". Es mangelt an Vernunft, die sich an den Quellen des Lebens nährt, und nur so zur Vernunft wird. Innerhalb der derzeitigen Systemlogik zu operieren bedeutet, eine Vernunft zu verbreiten, deren Voraussetzungen aber, deren zugrundeliegende Weltanschauungen und -sichten das Problem sind.

Dafür aber reichen dumpfe Unzufriedenheitsgefühle nicht aus. Denn die Dinge sind tatsächlich komplexer, als es für die meisten aussieht. Zu komplex, um das Grundproblem dieser Unzufriedenen zu umgehen: den grundsätzlichen Mangel an Lebenseinsicht. Und dazu reicht es nicht, sich zu Höherem berufen zu fühlen - wenn das Erleben der eigenen "Wichtigkeit" mit aller Wucht den Geist vernebelt. Dazu reicht es nicht, breitmaulig zu grinsen, wenn man plötzlich mitten unter berühmten Namen sitzt, Hände schüttelt, und auf Regierungsphotos aufscheint. Dazu reicht es nicht, endlich das Grundproblem der meisten dieser Bewegungen gelöst zu bekommen: endlich anerkannt zu werden. Auch ohne Lebensmühe.

Der Einzug vieler solcher Bewegungen in Parlamente verwandelt diese daher in Spielwiesen überhaupt erster Lebenserfahrungen, in Kindergärten und Schulen. In denen diese Neuen überhaupt einmal erfahren, was es heißen könnte, zu führen, Verantwortung zu tragen, wichtig zu sein, ohne sich wichtig zu nehmen. Daß sie den Regierenden so gut wie immer Vorwürfe mangels simpler menschlicher Reife unberechtigt gemacht haben, Unlogik vorwarfen, wiewohl diese sehr gut innerhalb ihrer Logik handelten, die sie aber nicht einmal kannten. 

Dann sind sie überwältigt, "wieviel" an Logik denn doch dahintersteckt, so wie ein (sich selbst als Linker deklarierender) Robert Menasse unlängst in Brüssel, der nach monatelanger Recherche nun "glühender Europäer" ist und nach Zentralismus schreit. Der draufkam, daß diese momentane Logik der Politik ja genau seinen weltanschaulichen Zielen in die Hände spielt, daß er "dazugehört", nicht "dagegensteht". So wie alle die Grünen und Linken, die nach Brüssel zogen, und auf Kosten der Steuerzahler einmal überhaupt mit der Wirklichkeit in Berührung kamen, die sich aber - na sieh einer an! - ganz anders darstellt, als sie dachten. Vor allem so in sich logisch ist.

Überwältigt ist aber nur ihre bisherige "Logik", die von Wirklichkeiten unbeleckt war. Und mit diesem Erlebnis sind sie in der Regel bereits vollauf beschäftigt. Nur selten erheben sie sich dann über diese Beeindruckung, und kommen nach vielen Jahren dazu, wenn überhaupt, wieder Politik zu machen. So gut wie nie kommen sie damit über Ablaufprobleme hinaus.

Erst aber wenn sie diese pubertäre Phase überwinden würden, dann erst würden sie auch draufkommen, daß es in der Politik tatsächlich um Grundsätzliches geht, und daß die Logik des Geschäfts der Politik nur ein Instrument ist, nicht die Politik selbst, das es zu begreifen gilt. Daß Politik nicht in erster Linie "Einfälle" braucht, sondern daß ihr Tagesgeschäft Grundsätze enthält, die ihr eigentlicher Inhalt sind.

Damit aber würde auch ersichtlich, daß das Problem dieser Bewegungen seit Jahrzehnten das Problem der etablierten Politik generell ist. Denn was diese Bewegungen erfahren, ist das Ablaufbild so gut wie jeden parteilich gebundenen "Nachwuchspolitikers", für den Politik nie etwas anderes war als das Bedienen der Systemmechanismen.

Während neue Politik nur so aussehen kann, daß sie wieder grundsätzlich wird, und aus diesen Grundsätzen heraus die Tagespolitik durchdringt. Denn die Logik, in der sie sich heute bewegt, ist parteiübergreifend. Sie ist es aber, die Weltanschauung enthält, die den Streit um Methoden und Maßnahmen zur lächerlichen Scheingefechten verkommen läßt. Weil gar niemandem mehr klar ist, daß sie allesamt mit ihrer Logik auch Weltanschauung transportieren. Der aus dem leben heraus begriffen hätte, daß die Alltagsprobleme Probleme von Prinzipien darstellen. Daß das Leben heilig ist, und Politik SEINER Logik zu dienen hat, die Logik parlamentarischer Prozesse nicht die Logik von Politik sein darf.

So hat es passieren können, daß sich die christlich-sozialen Bewegungen ohne es zu erkennen in den Dienst grün-linker Gesellschaftspolitik stellen ließen. Und immer noch rekrutieren sich die Parlamente aus Politikern, deren Wirklichkeitsbild den Realitäten "geschützter Werkstätten" entstammt, die "der Partei alles verdanken" (wörtliche Aussage des derzeitigen österreichischen Bundeskanzlers). So erklärt sich auch das meist klägliche Scheitern sogenannter "Quereinsteiger", meist nach "erfolgreichen" Karrieren.

Unsere Politik passiert also längst "unbewußt" weil unerkannt, im Banne von Abläufen aus Systemzwängen, "alternativlos". Der Beruf des Politikers ist zum Funktionärswesen verkommen. Das jederzeit neue Bewegungen integriert, weil sein Systembestand auch von diesen niemals gefährdet werden kann.

Wir haben ernsthafte Systemprobleme, keine "Abstimmungsnotwendigkeiten". Neue Politik bräuchte deshalb nicht Menschen, die erst einmal draufkommen, daß es ein Leben überhaupt gibt, das auch außerhalb ihrer Sozialstaatsgehege und Eitelkeiten vorkommt. Sie bräuchte weltanschaulich - nicht ideologisch! - gefestigte Persönlichkeiten, die lebendig genug sind, um dem Begegnenden aus eigener Anschauung zu beurteilen. Die also gestorben genug sind, um die Kraft zu haben, im alltäglichen Geschäft die prinzipiellen Konflikte zu sehen, und durchzutragen. Klar im Kopf, und uneitel, denn schon über diese Falle des ungesättigten, unbegriffenen Lebens stolpern bereits am Parlamentstor so gut wie alle - niemand ist so leicht auszuhebeln, wie der Eitle. Systemänderungen können nur von jenen kommen, die die Problem des Systems am eigenen Leib verspürt haben. Und das heißt oft genug: Gescheiterte. (Weshalb es kein Zufall ist, daß die einzigen Politiker in Europa, die zur Politik erwacht sind, im ehemaligen Ostblock zu finden sind, oder Randlagen entstammen.) Was sollen Profiteure des Gegebenen, Satte, was sollen die ändern wollen?

Aber dann entsteht ein Gegenwind, den alle diese Bewegungen noch nicht einmal vom Märchen kennen. Doch nur in diesem Sturm stehen zu bleiben macht Veränderungen möglich.




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