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Freitag, 5. Oktober 2012

Mord an der Vitalkraft

Angeblich taucht der Begriff erstmals bei Karl Marx auf, bei Schumpeter auf jeden Fall, und nach Nietzsche ist er ohnehin Allgemeingut - die "schöpferische Zerstörung". Damit ist gemeint, daß jeder vitale Organismus sich nur deshalb entwickeln kann, weil er immer wieder bestehende Strukturen auflöst, weil Neues sich aus der neuen Kombination aus diesem Zerfall ergebender Teile entwickelt.

Krisen sind demgemäß nicht "Systemfehler", sondern Zeichen ihrer Vitalität. Krisen sind das Wesen, an denen sich überhaupt erst das Leben zu sich selbst vollzieht.

Aber sie sind es nur unter bestimmten Bedingungen! Denn keineswegs kann diese Zerstörung "geplant" oder "intendiert" werden, und noch weniger kann und darf sie aus ihrem unmittelbaren Umkreis gerissen und in die höhere Ebene abstrahiert werden. (Deshalb der unbedingte Grundsatz der Subsidiarität als Teil der Katholischen Soziallehre.) Sie muß als wirkliche Krise des Bestehenden nämlich auch wirkliche Folgen  zeitigen, und sie im Partiellen zu belassen heißt auch, das Partielle in seiner Bewältigungskraft nicht zu überschreiten. Nur daraus erwachsen eben jene produktiven Kräfte aus je subjektiver Affizierung - es sind immer Menschen, die ändern, niemals Maschinen oder Techniken - die ein Neues bewirken.

Ein Organismus kann sich also die Bedingungen einer Krise nicht vorschreiben, und genau so wenig kann er Krisen verhindern! Zum Wesen eines Organismus gehört nämlich, daß sich solche Krisen immer in Partialbereichen abspielen, und von dort aus auf andere Teilkreise rückwirken, mit ihnen interagieren. Krisenbewältigung mit dem Ergebnis schöpferischer Neuheit geschieht also ebenfalls immer in Partialsystemen, NIE im Ganzen, dort führt sie posthoc zu einer Veränderung. Nicht als bedauerlicher Systemfehler, sondern als unumgehbare Eigenschaft. In vitalen Organismen, die auch wirklich überleben wollen, findet sich also immer ein vitaler Prozeß des Stirb und Werde, und das Ganze ist nur so stark, wie es diese Partialkrisen zuläßt, indem sie sie in sich belassen kann. Jeder gesunde Staat steckt also immer auch in einer Krise, und er muß sie zulassen, sonst ist er erstarrt - und die Partialsysteme erlöschen.

Vor allem im späten 20. Jhd. aber hat sich eine Vorgehensweise der Politik etabliert, die es sich - aus Eigeninteresse der Regierungen! - zum Ziel gesetzt hat, genau diese Partialkrisen zu beherrschen, wenn nicht gar zu planen (und genau das ist z. B. im EU-Beitritt passiert, wo man der Volkswirtschaft Österreichs regelrecht Krisen "verordnet" hat, um sie nach abstrakten Vorstellungen von "zeitgemäßer" Wirtschaft umzugestalten), auf jeden Fall selektiv zu verhindern. Durch immer weiter ausgebauten Interventionismus, der heute schon bis in die privatesten Bereiche (Stichwort: Gender; Antiautoritarismus durch staatliche Erziehung; etc. etc.) reicht. 

Genau damit hat man aber zunehmend die ureigenen vitalen Kräfte niedergetreten, und damit der Überlebensfähigkeit der europäischen Völker wenn nicht schon endgültig den Garaus gemacht. Indem man es längst mit Generationen zu tun hat, deren Haltungen alles vermissen lassen, was ein lebensfähiges Gemeinwesen aber braucht: existentielle Eigeninitiative und wirklicher Mut, die Welt zu gestalten. Denen bereits jede Kraft fehlt, partielle Krisen - "Krankheiten" - aus eigenem Antrieb als Herausforderung zu begreifen, gegen die man sich zu stemmen hat, ja: daß genau das das Leben ist. Weil in allem der "Staat" zu rufen ist, der als Universalversicherung gegen das Leben auftritt. Jede Volkswirtschaft, so schreibt auch Schumpeter, kann sich deshalb nur "von innen heraus" reformieren, und sie tut es auch fortwährend.*

Und nur aus diesem Grund, auf dem schmalen Boden dieser Gemeinsamkeit, ist der Liberalismus noch eher mit dem Leben vereinbar, als der Sozialismus. Der es einerseits längst geschafft hat, seine Inhalte zu Imperativen zu etablieren, sodaß er Politik nur noch auf das Gebiet der Ablaufoptimierung verdrängen kann.**

Politik kann ihrem Wesen nach nur Strukturen direkt intendieren - geistige, ideelle Ziele sind allen Strukturen immanent! (Es sind nicht die Etiketten also, die die Natur einer Politik machen.) In ihnen findet sich dann der Mensch - zur Lebenssteigerung angeregt (die immer "eigene" Lebenskraft ist), oder nicht. Denn ein Staat kann immer nur das Außen des Innen darstellen, nicht umgekehrt, DANN wird er nämlich tatsächlich zur totalitären Diktatur, die sich genau so definiert.

Es ist also höchst aussagekräftig, daß es heute längst die Linken in Rot und Grün sind, die die "glühendsten Europäer" sind und alles bejahen, was dem rein faktischen Überleben der bestehenden Strukturen und der Stärkung der Zentralgewalt der EU dient. Weil es der Sozialstaat ist, der genau das zum Inhalt hat, was einem Volk seine Vitalkraft RAUBT - die Beseitigung der lebensnotwendigen Partialkrisen durch Umwandlung der "schöpferischen Zerstörung" zur Beseitigung der vitalen Individualkraft, entlang der Leitbilder eines abstrakten Menschenbildes, das vom Schatten zur Utopie wurde. Genau das, was der frühe Marx als Entfremdungsmechanismus erkannte, die den Kapitalismus als Problem des Lebenskraft erkannte.


*(Das Beispiel Griechenlands zeigt im Zeitraffer, wie solche Prozesse wirken! Staatliche Sozial- und Gesellschaftspolitik hat die Vitalkraft der Bewohner ruiniert. Nun ist der einzig mögliche Weg zur "Gesundung" der, diese Partialorganismen, die Individuen, wieder zur Selbstgestaltung ihres Lebens zu "bringen", indem der Staat sich wieder zurückzieht. Aber man sieht, wie schwierig, ja fast unmöglich das schon nach wenigen Jahrzehnten geworden ist. Schädigungen der Vitalkraft der Individuen - die ehemaligen Ostblockstaaten zeigen es eindrucksvoll - sind kaum noch reparabel, und wenn, nur über die kulturbildende Anstrengung von Generationen. Denn genau das bewirkt der Sozialstaat: er löst die Kultur auf, die nur in den Individuen besteht. Nicht (zumindest nicht primär) in Museen und subventionierten Staatsaufführungen.

Und das kann nur über lokale Verwurzelung geschehen, Simone Weil argumentiert das überzeugend ganzheitlich. Wenn also ein Staat, wie heute, durch Investitionen in Infrastruktur wie Verkehr - Verkehr löscht Raum aus - oder Medientechnologie - das Internet entwurzelt das fundamentale Selbstgefühl, social media lösen aus konkretem Dasein - die die Stärkung der zu Funktionssynapsen umgebauten, ortslose Zentralräume bewirken, während die Regionen (das passiert derzeit eindrucksvoll in Österreich) ausbluten, so verbrennt er regelrecht Geld, verpulvert er seine Kredite (nur so ist das ja alles finanziert) in NICHT-produktive Bereiche, und vernichtet das einzige, was überhaupt Wirtschaftsleben "machen" kann - die Vitalkraft der Individuen, denn eine Volkswirtschaft ist das Abbild (!) der Gesamtheit von individuellen Lebensvollzügen.)

**(Erweis: die Wirtschaftspolitik "konservativer" Parteien dient seit Jahrzehnten der Finanzierung "fortschrittlicher" Gesellschaftspolitik, die sie über entsprechend geschaffene Strukturen längst und totalitär beherrscht. Heute wird die gesamte Politik in Europa vor einem LINKEN Wertehorizont abgehandelt! Nicht zufällig haben Untersuchungen ergeben, daß die Nachfolgegeneration gerade dieser "Konservativen" überwiegend "grün/links" denkt. Was über Strukturen etabliert wurde, die die nicht-linke Politik in ihrer fundamentalen, individuell werteschaffenden Kraft völlig unterschätzt hat. Zumal es diese geschickt verstand, ihre Ziele als "christlich-abendländisch" zu maskieren, so wie man bittere Medizin auf einem Stück Zucker serviert. 

Denn es ist die Praxis, die die Haltungen der Menschen bewirkt, alles andere ist simpel unrealistisch! Das wußte jeder Totalitarismus des 20. Jhds., der deshalb den Umbau des Individuums zum Massenmenschen zum Ziel hatte, als solcher ist er nämlich lenkbar, nur über Praxis sind Weltanschuungen formbar. Prononcierte Ideenkonflikte sind völlig zweitrangig. Man wird nihlistisch, weil man nihlistisch lebt, das Denken sucht nur noch diese realen Haltungen zu verabsolutieren.

Das hat selbst in plötzlich als brennend auftauchenden gesellschaftlichen Problemen wie der "Migration" dazu geführt, daß die Politik einfach Tatsachen geschaffen hat, die erst als sie unübersehbare Auswirkungen hatten, inhaltlich diskutiert wurden. Und solche Diskussionen kommen dann um Jahrzehnte zu spät, und sind irrelevant geworden. Die Inhalte dieser "Integrationspolitik" sind längst vorgegeben, sie sind nicht mehr variabel und gestaltbar. Und sie wurden stillschweigend etabliert. Über kulturelle Unvereinbarkeiten, die immer auf religiöse Motive zurückverweisen, braucht man heute nicht mehr diskutieren - sie können nur noch bewältigt werden. Das Problem wurde also stillschweigend geschaffen! Es ist nicht erst aufgetaucht. Was, wenn nicht solche eine Vorgangsweise, muß man Zwang nennen? Zwang, der noch dazu höchstwahrscheinlich aus Ahnungslosigkeit erwuchs, aus grotesker Unreflektiertheit, und die sicherste Aussage über die schöpferische Kraft der Politik(erkaste) der letzten Jahrzehnte liefert.)




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