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Samstag, 20. Oktober 2012

Jetzt spinnt er aber

Sie führen gerade ein Gespräch auf Ihrem Handy, Ihr Freund hat sie angerufen, und sie unterhalten sich über die Lage im Nahen Osten, ergreifen Partei für die Muslime, während Ihr Freund dagegenhält, die USA verteidigt, die Sie selbst als verbrecherisch bedrohlich bezeichnen, ja äußern gar Verständnis für den Terror. Es sei Ihnen auch manchmal danach, alles zusammenzuschlagen.

In diesem Augenblick startet eine unbemannte Drohne vom Luftwaffenstützpunkt Worpswede, und steuert mit 700 Stundenkilometern auf Sie zu. Der Sie längst das Haus verlassen haben, und sich zu Fuß auf dem Weg zu einem Konzert der Blasmusikkapelle am Stadtplatz machen. Kaum sind Sie dort angekommen, knallt ein Schuß, der Ihren Schädel zerfetzt. Die Drohen selbst fliegt anschließend den nächsten Luftwaffenstürzpunkt an, landet, wird aufgetankt, und steuert anschließend einen von der Koordinationszentrale der NATO per Computer ermittelten Bereitschaftspunkt an, deren Bewertung im Sicherheitsstatus sich aus je eingestuften regional-räumlichen Bedrohungskoeffizienten, der sich u. a. aus unzähligen Privatdaten aus Internet und social media ergibt.

Zwar gibt es eine parlamentarische Anfrage nach Brüssel, weil sich herausstellt, daß Sie vielleicht gar keine Bedrohung waren. In einer Rückmeldung des zentralen Abwehrkommandos der NATO heißt es unter Beibringung einiger Auswertungen, daß Sie - vor allem unter Berücksichtigung der Zeitkurve - als Bedrohungsstufe 1-1-1 einzustufen waren, weshalb ein Präventivschlag gemäß Richtlinie ZA44959/Bz775G gerechtfertigt war. Ihre Bewegungsdaten ließen zuletzt nachweislich auf zunehmende Mobilisierungsbereitschaft und Konspirationstätigkeit schließen (die Reisebürobuchung eines Urlaubs in Ägypten hatte ihr Übriges getan). Woraufhin das Parlament ihre Akten schließt, unter dem Hinweis, daß man nicht gewußt hätte, wie gefährlich sie wirklich seien.

Naja, jeder könne sich irren, murmelt daraufhin der Bürgermeister Ihres Städtchens, der eine dringende Anfrage über sein Parteisekretariat hatte initiiert. Denn Sie galten zum einen als recht angenehmer Zeitgenosse, wenn auch mit Eigenheiten, zum anderen hat in Folge der Wirkung des Explosivgeschosses ein davonfliegender Platinzahn ihrer Krone in "oben3" dem zufällig in ihrer Nähe sich befindlichen, allseits beliebten Oberstudienrat Dr. Gerfried Schmurgel eine 3 cm lange Fleischwunde am linken Oberarm zugefügt.

Was war passiert? Die Überwachung sämtlicher Kommunikationsdaten, im Abgleich mit sämtlichen globalen Entwicklungen,  hatte über Sie ein Charakterprofil auf wissenschaftlich-statistischer Basis aus der Zentraldatenbank von CIA/Google/Facebook, in Rückabgleich mit lokalen Polizeidaten als augenblicklich hochgefährlich eingestuft.  Ihr Bedrohlichkeitskoeffizient war dadurch und vor allem aktuell immer höher geklettert.

Die routinemäßige Abgleichung mit lokalen (Wiener) Polizeidaten hatte ihr Übriges beigetragen, sie hatte sie nämlich in diese Beobachtungsstufe geschoben. Nachdem Sie einmal bei einem heftigen Disput bei der Sozialversicherung von einem dortigen Beamten, den Sie angebrüllt hatten, Sie würden den Saftladen am liebsten in die Luft sprengen (!), als potentiell gewalttätig in der Datensammlung der Versicherung vermerkt worden waren. Welche Einstufung in Zusammenwirkung noch verschärft - und automatisch an die Amerikaner gemeldet - wurde dadurch, daß der Wiener Polizeicomputer längst vorgemerkt hielt, daß Sie bereits zweimal Ihrem Kind eine Ohrfeige verpaßt hatten, und von besorgten Umstehenden angezeigt worden waren, Zeitlich aber zu allem Überdruß so gestaffelt, daß sich eine immer höhere Dringlichkeit, wie auch die Inhalte Ihrer Postings in einer Tageszeitung anzeigten, ablesen ließ, woraufhin Sie vom NATO-Computer ohnehin bereits auf einer "rosa" Liste liefen, die Ihre aktuellen Daten sämtlicher Quellen noch feiner und nach spezielleren Persönlichkeitsanalysenprogrammen (Copyright Uni Stanford) seit Wochen rasterten. Fortan wurde eine laufende Emotionserhebungsanalyse durchgeführt, der entsprechende Trigger-Konstellationen in immer höherer Priorität feststellte. 

Ihr voriges Telephonte (wie jedes Telephonat jedes Bürgers per Wortscanner von einem Satelliten aus abgesucht) hatte exakt einem der Apriori-Profile entsprochen, das die geschilderten Abwehrmaßnahmen - per EU-Verordnung sanktioniert, in jedem Land vom Parlament durchgewunken - vollautomatisch auslöste. Auch deshalb, weil die Frage nicht war, ob in jedem Einzelfall Unrecht verhindert werden könnte, sondern diese Sicherheitsmaßnahme nur als Gesamtpaket akzeptiert werden konnte, weil Fehler bei Scanning oder Fernlenkung rechtlich kaum auf im Einzelfall Verantwortliche rückgeführt werden konnte, und damit zu akzeptieren waren. Also war die Frage gewesen: Totalsicherheit mit geringem Risiko (1-2 %), oder Vermeidung ALLER Fehlschlüsse, aber weiterhin keine Einschränkung terroristischer Gefahr. Welche Gewaltbereitschaft weltweit - nachweislich - von Jahr zu Jahr längst gestiegen war.

Diese einzelnen Muster-Täterprofile, übrigens, waren vom österreichischen Innenministerium, in engster Zusammenarbeit mit dem psycho-pathologischen Institut auf der Baumgartenhöhe, je einzeln gesichtet und genehmigt worden, das hatte die Opposition gefordert. Woraufhin schließlich, nach kurzer heftiger Diskussion in einigen Tageszeitungen, dieses automatische Sicherheitssyystem als "größtmögliche Prävention gegen Mißbrauch einer alternativlosen Sicherheitsmaßnahme" akzeptiert wurde.

Die Drohne fand Ihren Ort aufgrund der Handy-Ortungsdaten, die vor Ort die automatische Gesichtserkennung zuschaltete. Wären Sie im Haus geblieben, hätte sie eine Missile abgeschickt, die mit Infrarot-Kennung ihren Aufenthalt im Haus gesichert hätte. Aufgrund der umgebenden Menge wurde eine selektivere Tötungsmethode gewählt. Vollautomatische Routine, das alles.

Sie meinen: jetzt spinnt der Verfasser dieser Zeilen? Dann lesen Sie diesen Artikel der FAZ, in dem amerikanischen Autor und Programmierer Daniel Suarez über die bereits installierten Abwehrtechniken und Waffensysteme spricht. Vor allem die unbewaffneten Systeme wie Drohnen haben sich sprunghaft entwickelt. Suarez vergleicht ihre Funktionshöhe teils mit dem Intelligenzstand einer Ratte, teils mit dem von Insekten.

NICHTS an dem oben Gesagten ist also erfunden. Es ließe sich sogar noch in zahllosen Details und Verknüpfungen und Rückkoppelungssystemen etc. etc. schildern, was aber nicht erfolgen soll, weil der Verfasser dieser Zeilen davon ausgeht, daß sein Leser dies ohnehin längst alles kennt und weiß. Und sei es, weil hier immer wieder Einzelheiten dazu aufgegriffen wurden, weitere Ausführung damit langweilig wäre.

Im Gegenteil aber, die Ausweitungsmöglichkeiten sind nicht nur technisch fast grenzenlos, sondern vor allem offen für immer weiter bzw. enger gefaßte Bedrohungsbilder. (Ist der Chef eines chinesischen Elektronikkonzerns, der gerade in Afrika unterwegs ist und Seltene-Erde-Lagerstätten aufkauft, kriegerisch relevant, oder nicht? oder: noch nicht? Und ab wann?) Systeme, die vor allem immer weniger persönlichen Verantwortlichkeiten unterstellt werden können. Deren Einsatz nur eine prinzipielle Frage ist, weil deren Fehlerquote statistische Größe, nicht einzelfallgebunden sein kann. In etwa dasselbe ethische Problem wie eine inkaufgenommene Sterberate nach Schutzimpfungen durch eben sie.

Das EINZIGE was dazu noch fehlt, ist die Bereitschaft - nicht die Möglichkeit - diese bzw. ähnliche Vorgänge wirklich automatisch ablaufen zu lassen, indem man letzte Verknüpfungslöcher schließt. Technisch ist alles aber nicht nur möglich, sondern in den Teilen je VORHANDEN, inclusive der Datenverarbeitung und -verquickung. (Die österreichischen Polizeidaten sind z. B. seit Jahren für die CIA geöffnet.) Wer den Film "Dr. Seltsam, oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben", wer vielleicht das Buch von Hugo Portisch "Friede durch Angst" (um nur einige Bezüge zu nennen) kennt, in dem er die schon in den 1960er, -70er Jahren halbautomatisiert eingerichteten Atom-Gegenschlagsszenarien erklärte, der weiß, wie realistisch diese Schilderung im Ganzen aber ist.



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