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Mittwoch, 31. Oktober 2012

Kunst als persönliches Müssen (II)

2. Teil) Geburt nur in Schmerzen



Paul Celan meint einmal: "Der Dichter wird aus seiner ursprünglichen Mitwisserschaft wieder entlassen, sobald das Gedicht wirklich da sei." Anschließend wird er zum mehr oder weniger ungelenken Elefanten im Porzellanladen Welt, deren Handhabung ihn oft nicht vom Befolger einer Bedienungsanleitung bleibt. So, wie der Schauspieler nur in der Rolle "er" selbst ist, auch als Mensch, der Sänger im Lied, der Geiger in der Sonate, der Maler im Bild sich selbst erkennt, und staunt. Und in der Tätigkeit endlich er selbst ist, im Werk als fragilem Gefäß, das bei jeder Behandlung in Gefahr gerät, zu zerfallen, weil er selbst nur Scherben hat, das Werk aus dem Dazwischen nur hält.

Der "Könner des Verfassens von Gedichten", der Beherscher von Gesangstechniken oder Publikumswirkung oder Maltechnik, er bleibt immer er. Er handhabt nur. Ihm bleibt deshalb nur Technik, bewegt von der Zweckorientiertheit seines Tuns. Denn es ist der Zweck, auf den er abzielt. Sein Werk wird immer Weltwerk, er selber wird immer Außenstehender, Laie bleiben. Sein Medium bleibt die Welt in ihrer Verwobenheit, er bleibt Scherbenhändler, der nur mit Leim der Welt verkleben kann, um ein Gefäß vorzugeben. Ihm fehlt das Dazwischen, das nicht mehr Aussagbare, das Ganze hat sich aufgelöst, ihm bleibt nur das Gemeinte. Er bringt den Sinn nicht - in seiner Sprache, übersetzt - hervor, der bleibt ihm im Dunkel. Sein Wille ist nur ein Wille der Handhabung der Scherben, seine Form entstammt dem Figurenspiel der Welt oben, seine Bedeutungen Bruchstücke, die er nie in ihrem Platz im Ganzen sah.

Das Herbringen des "Könners" hat keine Geburtsschmerzen, ohne die Werk gar nicht möglich ist. Es kennt nur Kriterien eines definierbaren Gelungenen.

Ein Zeichen sind wir, deutungslos
Schmerzlos sind wir, und haben fast
Die Sprache in der Fremde verloren 
(Mnemosyne; Hölderlin)  



Denn der Schmerz kommt mit dem Umsetzen in Sprache (Darstellung als Symbol), aus der Differenz des Bodens mit dem Oben. Der (bloße) Könner hat keinen Schmerz, sein Können IST Schmerzvermeidung, Flucht vor der immer einzigartigen Urgeburt. Sein Darstellen ist das Verwenden des schon Vorhandenen, wie Heidegger es nennt, sein Ausdruck Henkel bestehenden Inventars der Welt.

Kunst kommt nicht (primär) vom Können, wie der Verfasser dieser Zeilen einmal in einem Interview gefragt wurde. Es kommt vielmehr tatsächlich von "Müssen", aus persönlicher Not des Künstlers, der wirklich "muß", weil er in seiner historischen Einzigartigkeit zu sich kommen muß, wie jeder Mensch, in der ihm angemessenen Tätigkeit, in der er sich aus sich selber herausstellt, zu dem ihm nur ein Material zur Verfügung steht - dem die figurale Verwendbarkeit fehlt. Und in ihm zusammengefaßt, aus ihm herausgestellt, stößt er deshalb immer an die Grenze des Sag- und Darstellbaren. Was er eigentlich sagt steht unsichtbar hinter den Scherben.

Vielmehr also speist sich das Können des Künstlers, das aus seiner Wesenserfassung kommt, sich mit dem (natürlich für ein Werk notwendigen) handwerklichen Beherrschen der Materie in einem geheimnisvollen Wechselspiel durchdringt,* aus seiner ersten Eigenschaft zur Welthaftigkeit herausgetrieben: dem Öffnen zum Wesen der Welt hin, das nur im poetischen Werk darstellbar, nicht erklärbar, nicht einmal intellektuelle Deutung ist. "Wer etwas kann," sagte einmal Fritz Muliar in bekannter Launigkeit, "der soll in den Zirkus gehen." Aber nicht auf die Bühne, nicht ans Verfassen von Gedichten, nicht in den "Kunstbetrieb".



*Gütersloh spricht deshalb einmal sogar davon, daß die Talentfrage nur eine Frage des "Glücks" des Künstlers ist, seiner Befähigung zum Glück, weil es auch talentlose Künstler gibt. Umgekehrt Talent nicht unbedingt etwas über Künstlertum aussagt. Der Rhetor ist nicht automatisch ein Dichter, der Entertainer nicht automatisch ein Schauspieler, der Beherrscher von Maltechniken und -effekten nicht automatisch ein Maler. Umgekehrt kann es sein, ja ist es so, daß der wirkliche Künstler oft einen langen Weg zu gehen hat, um aus der Verhängung in die Weltabläufe frei zu werden, um dieses ihm so fremde Wollen der gesellschaftlichen Normen und Imperative ablegen zu können. Gütersloh meint gar, es sei aus der Dichte und Blind- und Taubheit der heutigen Zivilisation heraus in den meisten Fällen eine Psychotherapie angebracht.




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