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Montag, 22. Oktober 2012

Fehleinschätzung des Besonderen

Es ist auf der Bühne nicht anders, wie im Leben, und wie im Fußball: Sticht ein Einzelner durch seine Leistung besonders hervor, so ist das - zumindest, wenn es länger anhält - meist Anzeichen eines Mißstandes, keines "Besonderen". Die besten Akteure im Leben zeichnen sich nämlich dadurch aus, daß der Betrachter meint, daß das "Ganze" gut sei. Hält der Umstand, daß jemand gegen ein schwaches, gänzlich anderes Umfeld hervorsticht, länger an, so zeigt sich eine grundlegende Krankheit, des Ganzen, wie im Urteil über den Herausragenden.

Warum? Weil wir nun doch zur political correctness überschwenken wollen, zumindest diesmal, und Vergemeinung predigen?

Keineswegs. Sondern aus dem einfachen Umstand heraus, daß alles nur zu sich selbst findet, wenn es sich auf das Gegenüber hin überschreitet, ins Offene hinein. Aus dem heraus ergibt sich zwangsläufig, daß das eigene "Gutsein" sich am Begegnenden entzündet, und NUR daran. Sonst ist es kein Gut, sondern das Bild eines Gutes. 

Sticht in einer Theateraufführung ein Schauspieler auf eine Weise hervor, die alle übrigen verblassen, "alt", schlecht aussehen läßt, irrt der Kritiker, der meint, NUR der wäre gut, alle anderen schlecht. Denn eigentlich, eigentlich ist oft das genaue Gegenteil der Fall: der Herausragende erringt sich seine Position GEGEN die anderen, indem er sie aussaugt, gewissermaßen. Er bleibt in sich, öffnet sich nicht der Aufführung, der Gegenwart, und spielt fast autistisch seinen Part. Damit gleiten die anderen von ihm ab, und fallen auf sich zurück.

Schauspieler können ein Lied davon singen, was es heißt, in einem schlechten Stück zu spielen, das nicht trägt, das womöglich noch durch Kunstkniffe des Regisseurs auf die Ebene des "Interessanten" gehoben wird, um diese fundamentale Schwäche als Ganzes zu kaschieren. Meist, indem ideologische Flaggen, Einzelaussagen, überspielte Gags etc. aufgepflanzt werden. Sodaß ihre Invertiertheit, in die sie fallen, nicht selten Selbstrettung ist - um sich vor dem schwachen Umfeld zu verwahren. Während ein gutes Stück, eine Inszenierung, die den geistigen Kern eines Stücks erfaßt und sich von ihm tragen läßt, auch jedem Schauspieler selbst hilft, zu sich zu finden, gut zu werden, im Rahmen des ihm Möglichen halt.

Wirklich gute Leistung, und sehr wohl in hierarchischer Ordnung, kann nur vor dem Hintergrund der Mitwelt gesehen werden. Kein Herausragender spielt sich in Wirklichkeit auf Kosten seiner Mitwelt hervor - er tut es gerade DURCH sie. Nur vor dem Hintergrund läßt sich eine Kontur erkennen, und hohe Leistung wird immer nur dann sie selbst, wenn sie sich auf sie bezieht.

Aber mehr noch: auch das Publikum spielt eine gleichwertige und bedeutende Rolle, und auch dieses wird meist gründlich unterschätzt. Denn Fälle wie der Besprochene - EIN Herausragender, in einem kläglich versagenden Umfeld - haben oft sogar genau darin ihre Wurzel, daß dieser EINE besser als die übrigen versteht, die Erwartungen zu erfüllen, ja zu bedienen. Während ein Publikum, das genau seine Erwartungen erfüllt bekommt, in sich mehr und mehr zusammenfällt, als eigentliches Theaterpublikum irrelevant wird.

Deshalb kann auch im Fußball - es illustriert das Gesagte hervorragend - eine Einkaufspolitik gründlich daneben gehen, die meint, durch EINEN hervorragenden Spieler ihre Ergebnisse zu verbessern. Denn ohne Zweifel wird der Einzelspieler von der Leistung der Mitspieler UND von der Anforderung geprägt, die ihm begegnet. NUR an ihr kann und wird er sein Potential wirklichen. Was sich besonders häufig in Österreich zeigt, wo schon viele Jahre dieses Phänomen zu beobachten ist: daß Einzelspieler, die in anderen Ligen hervorragten, nach und nach in ihrer Qualität zu sinken scheinen. 

Sie werden nicht zu sich wachgerufen, und was einst bereits wach war, schläft allmählich wieder ein. Selbst ganze Mannschaften - Red Bull Salzburg ist so ein Beispiel, ähnlich verlief es mit den hochfliegenden Plänen, die mit dem Einzug von Frank Stronach als "reichen Onkel" bei Austria Wien - können davon befallen werden: Wider Erwarten versagten erwähnte Mannschaften im internationalen Vergleich. Der selbst hochkarätige Einkäufe, die Creme der Trainer, deutlich relativierte, ja ärmlich aussehen ließ.

Eine Mannschaft kann nur so stark spielen, wie der Bewerb, in dem sie sich befindet. Und hohe Einzelleistung hat immer einen direkten Bezug zum Umfeld, an dem sie sich affiziert. Desgleichen kann aber natürlich Versagen auf dieses Umfeld zurückzuführen sein, auf der Bühne als Beispiel, wenn "alle" für sich spielen, und dem Apperzeptiven keinen Raum, ihn abgleiten lassen. Weshalb Umgebungswechsel oft eine entscheidende Rolle spielen, will jemand zu sich finden. Eine Tragik, die sich oft in Familien abspielt, wenn außergewöhnliche Begabung fühlt, daß es die Trennung von diesen Wurzeln braucht, der diese Begabung ja doch zu verdanken ist, aus der sie sogar stammt. Denn auch der Sprößling ist nur Teil des Stammes, dem er entsproß. In ihm findet sich, was angelegt war, er macht nur etwas Neues daraus, weil er sich in die aktuelle Geschichte hinein transzendiert. Aber das Umfeld entwickelte sich gegen seine eigene Berufung! Was besonders häufig mit Vaterproblemen zu tun hat, aber das soll hier nur angedeutet bleiben. So, wie das Problem des "verschlampten Genies" erwähnt werden soll - es hat seine Ursachen in dieser Problematik.

Wenn man also hohe Einzelleistungen erreichen und beurteilen will, so muß das Gesamtumfeld bedacht werden. Es ist der Geist, in dem sich ein Gesamtfeld befindet, der den Einzelnen zu sich ruft und damit auch das Ganze, rückwirkend, weiter hebt, oder aber ... immer weiter zusammenfallen läßt.

Eine ideologisierte öffentliche Atmosphäre aber wird ohne jeden Zweifel wirklichen Genius nicht nur nicht zu sich und damit zur Entfaltung kommen lassen, sondern sogar in allen Hinsichten verhindern. Sie verhindert damit ihre eigene Gesundung, und nur Zufälle - als Zueinanderfallen vieler Umstände - oder wirkliche Umbrüche, gar Schocks, können diese Todesspirale aufbrechen: indem sie eine Gesellschaft wieder zur Wirklichkeit des Begegnenden öffnen.




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