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Sonntag, 18. Februar 2018

Das Nullte Vatikanum (2)

 Teil 2) Beide Reformen hatten dasselbe Ziel - und denselben Effekt




Der Leser erinnere sich: Alle Reformen sollten im Namen einer Widerherstellung einer "unverfälschten, echten" Tradition stattfinden. Zwar gab es für diesen Anspruch nie den Funken eines Beleges, denn Forschungen haben gezeigt, daß die Liturgie von 1962 ganz exakt dieselbe war die im Jahre 62. Warum sollte sie das auch nicht sein? Immerhin hatten die zwölf Apostel drei Jahre im wohl besten Seminar gelebt, das denkbar ist - in der Gegenwart Jesu Christi. Warum also sollte ihre Liturgie infantil sein? Und wenn sie ihre höchste Aufgabe darin sahen, die Worte Jesu zu überliefern, und zwar ganz genau, warum sollte damit auch die Liturgie nicht auf diesem Stand einfrieren, den sie doch von Jesus direkt empfangen hatten? So wurde die Tradition geboren, und deshalb wurde auch Latein als universale Liturgiesprache eingeführt - eine tote Sprache. Denn eine solche war ganz sicher "rein", von keiner Alltagssprache jemals verunklart und verändert. 

Im Vaticanum 0 passierte exakt dasselbe. Auch hier forderten die Reformer im Namen der ursprünglichen Tradition eine Veränderung der gegenwärtigen Praxis. Ausgehend von Bestrebungen der russischen Zaren, zu den griechischen (byzantinischen) Wurzeln zurückzukehren. (Vermutlich hatte das einerseits Legitimationsgründe, denn die Romanows waren noch nicht lange an der Macht und hatten sich nach ihrer Machtergreifung mit einem aufmüpfigen Bojarentum herumzuschlagen, dann aber auch den Sinn des Beweises einer Tradition des Byzantinischen Reiches, das in Moskau weiterbestehen sollte; Anm.) Zwar bestehen Zweifel, ob der Anstifter zu den Reformen nicht doch der Patriarch Nikola gewesen ist, aber es spricht einfach mehr dafür, daß sie vom Zaren ausging. 

(Und die vom VdZ angedeuteten Gründe würden diese Variante ebenfalls bevorzugen, denn solche Motivgemengelage sind in der Kirchengeschichte häufig: Nicht zuletzt dürfte die Kirchenspaltung in Ost und West, Byzanz und Rom, auf Kaiser Karl zurückgehen, und zwar aus ganz ähnlichen Gründen wie hier bei den Romanows.) 

Auf jeden Fall kam die Idee zu einer Reform beiden entgegen. Zar Alexis wollte ganz sicher Moskau zum Dritten Rom machen, und der russische Patriarch nichts anderes. Beim 2. Vatikanum ist dass nur scheinbar genau umgekehrt, wenn Kardinal Bugnini, der spätere Initiator der Liturgiereform, Rom quasi "abschaffen" wollte - nur schuf er damit eben viele, nicht mehr faßbare weil unbekannte Roms, als Teil einer ökonomischen Kirche, in der auch die Anglikaner und deutschen Lutheraner ihren gleichberechtigten Platz fanden, weil nicht mehr "unter" einem Rom standen. Und natürlich auch Konstantinopel, natürlich. Moment, und wie sähe es mit sagen wir Salt Lake City und seinen Mormonen aus? Natürlich, auch die haben dann ihren Platz. Moment, hieß Mons. Bugnini mit Vornamen nicht Hannibal - "Gnade von Baal", dem berühmten Todfeind von Rom? Tschuldigung, das war nur ein Scherz.

Erstaunliche Parallelen, bis auf einen Punkt

Tja, die Geschichte mit Roms 2. Vaticanum und Moskaus 0. Vaticanum zeigte entsprechende Parallelen. Beide suchten (angeblich) eine Versöhnung mit der Welt, indem sie "an die Ursprünge" zurückgehen wollten und die jeweils gegenwärtige Gestalt veränderten. Beiden Konzilen folgte eine Zeit der fanatischen Verfolgung dieser Gestalt, sie wurde strikt verboten.

Sowohl der Zar als auch der Patriarch waren überzeugt, daß die liturgischen Bücher sowie die Liturgien voller Übersetzungs- und Übermittlungsfehler steckten. Die Kirche mußte wieder "gereinigt" werden. Der Zar beauftragte den Patriarchen Nikon, den Ursprüngen nachzugehen. Und der tat es, ging nach Athos, und studierte dort sämtliche Bücher. Und siehe da, er fand die "ältesten Formen". Drei Finger, nicht zwei. Drei Halleluja, nicht zwei. Und so weiter, und so fort.

Nur gab es da ein unscheinbares Problem. Nein, mehrere. Nicht nur, daß sich Zar und Patriarch zerstritten, und während der Patriarch darauf wartete, daß sich der Zar bei ihm offiziell entschuldigte, tat dieser etwas ganz anderes, denn er hatte ja die Macht: Er stieß den Patriarchen aus der Kirche aus, und setzte ohne lange die versammelten Patriarchen zu fragen, die auf der Seite von Nikon waren, die Reformen in Kraft. Und zwar aus dem offensichtlichen Grund, daß er eine Homogenisierung der russischen mit der griechischen (originalen) Kirche wollte, um der unbezweifelte Nachfolger des Kaiserstuhles von Konstantinopel zu sein, beide Glaubensgemeinschaften bzw. alle Orthodoxen zu vereinen. Und das stimmt mit zahlreichen weiteren historischen Analysen überein: Denn das war und ist seit tausend Jahren das große Ziel der Russen.

Für dieses Ziel waren die Russen bereit, auch etwas zu geben - eben ihre eigene Tradition aufzugeben zu Gunsten der vermeintlich originaleren griechischen Liturgie. Immerhin waren diese ja wohl getreuer als die russischen Bücher? Lustigerweise - nein. Die russischen Bücher waren, wie man heute weiß, allen Traditionen ganz exakt gefolgt, nicht aber die griechischen! 

Die Spaltung war die Folge

Die Katastrophe war perfekt. Denn nunmehr spaltete sich die russische Kirche, in Raskolniki (die Altgläubigen), und die Narodniki, die Volkstreuen, die in den Augen der Altgläubigen der Antichrist persönlich waren. Noch dazu wurden diese Reformen 1666 beschlossen - man sehe die Zahl! Nur hatten diese Narodniki auch die Macht, und schwere Verfolgungen setzten ein. Die in ihrer Härte nur noch von den nächsten Narodniki übertroffen wurden - den Bolschewiken.

Und hier haben wir wieder die Parallele zum 2. Vatikanum. Auch hier setzten schwere Verfolgungen der "Altgläubigen" ein. Freilich waren manche Mittel scheinbar umgekehrt. Aber nur zum Schein, denn das Ziel war dasselbe wie in der Orthodoxie: Sämtliche christlichen "Kirchen" in einer ökumenischen Gesamtkirche zu vereinen.

Wohin hat das alles geführt? 

Nun, im Grunde zum gleichen Ergebnis. Bei beiden Kirchen. Jähe Veränderungen führen zu Verwirrung. Verwirrung schafft Richtungsstreit. Streit untergräbt die Disziplin und die Fähigkeit, einen Organismus zu leiten. Und diese Unfähigkeit verhindert eine wirkungsvolle Verteidigung der Lehre. Und damit ist ein Sieg der wahren Lehre unmöglich gemacht. Es ist deshalb klar, daß solch ein Vorgehen einer Revolution direkt in die Hände spielt. Während es für die Tradition verheerend wirkt. 

Deshalb kann man eine Lehre ziehen: Wer ein System revolutionieren will, der tut das am wirkungsvollsten unter dem Banner der ... Wiederherstellung der echten, wahren Tradition, definiert als Rückgang zu einer weit zurückliegenden Rekonstruktion eines Anfangs, der den ganzen Weg dazwischen als Verfälschung entwertet. 

Und dieser sogenannte Reformwille ist das Herz der Entwicklung des Abendlandes seit der Aufklärung. Es war in Wahrheit das Einreißen einer Kultur, weil jeder Erfahrung entgegen, den Generationen dazwischen abgesprochen wird, sich immer wieder neu reformiert und an den Anfängen und Prinzipien orientiert zu haben. Als Schlag ins Gesicht der Eltern.


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Hinweis: Der Streit um "zwei oder drei Finger" (etc.) scheint nur uns bereits völlig entgeisteten West-Barbaren lächerlich und völlig unwichtig. Er entfaltet seine Schwere aber, wenn man die Bedeutung und Rolle des Konkreten, Bildlichen, Dargestellten in der Orthodoxie bedenkt. Wo zwar das Zeichen selbst nicht angebetet werden kann oder darf (was den Altgläubigen ja vorgeworfen wurde, zu Unrecht, sieht man von einzelnen Mißständen ab), aber dieses Zeichen als Symbol verstanden wird, in dem geistig der transzendente Inhalt - damit der Himmel, bzw. ein Teil davon - gegenwärtig ist.




*270118*