Leider gibt es die Putin-Interviews von Oliver Stone derzeit nur in englischer Sprache, und im Netz zur freien Verfügung sogar nur als gelesene Transkription des Films. Dennoch sollen Sie dem geneigten Leser hier präsentiert werden. Sie sind in leicht verständlichem Englisch gehalten, und gelegentlich durch sinnvolle Stichwort-Erklärungen und Literaturbelege ergänzt.
Das sei dem Leser zur Ermutigung gesagt, sich diese neun Stunden bei Gelegenheit doch anzuhören. Sie sind es wert. Weil sie eine Ahnung der jüngeren Geschichte, aber auch von den derzeitigen Spannungsfeldern nicht nur der (russischen) Politik geben. Und sie lassen überlegen, ob das, was Putin für Rußland geleistet hat - auch die Russen sehen es weitestgehend so - nicht enormen Respekt verdient.
Das sei dem Leser zur Ermutigung gesagt, sich diese neun Stunden bei Gelegenheit doch anzuhören. Sie sind es wert. Weil sie eine Ahnung der jüngeren Geschichte, aber auch von den derzeitigen Spannungsfeldern nicht nur der (russischen) Politik geben. Und sie lassen überlegen, ob das, was Putin für Rußland geleistet hat - auch die Russen sehen es weitestgehend so - nicht enormen Respekt verdient.
Vielleicht denkt der Leser nach dem Anhören der Interviews, die über die Jahre 2014 bis 2017 geführt wurden, auch darüber nach, ob nicht Putin - kann man in so langen Gesprächen wirklich lügen, ohne daß es erkennbar wird? dabei bietet Stone nur eine Auswahl, die Gespräche selbst waren wesentlich länger - sein Angebot, Partner und nicht Gegner der Amerikaner zu sein, ernst zu nehmen ist. Immerhin schafft er es, über eine so lange Zeit (frei!) zu sprechen, und dabei inhaltlich völlig konsistent und widerspruchsfrei zu bleiben. Das würden wohl die meisten Menschen kaum schaffen. Auch nicht, wenn ein Regisseur wie Oliver Stone die Aufzeichnungen anschließend zusammenschneiden (und dabei ganz sicher auch nach Stones eigener inneren Ordnung und Sichtweise gliedern, also ordnen) würde.
Übrigens soll Putin, als man ihn vor kurzem frug, ob er die Interviews auf DVD schon gesehen habe, geantwortet haben, daß er dabei eingeschlafen sei. Aber er verspreche, er werde sie sich noch einmal ansehen.
Für den im Englischen weniger gewöhnten Leser hat der VdZ auf alle Fälle hier eine inhaltliche Zusammenfassung der Aussagen von Vladimir Putin erstellt.
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Putins Weg zum Staatsführer Rußlands
Putin erzählt recht abgeklärt (und interessant) von seiner Kindheit im zerstörten Leningrad (heute: St. Petersburg), wo er als einziger von den drei Söhnen seiner Eltern die furchtbare Belagerung 1941-44 überlebte. (Auch wenn das manche nicht hören wollen könnten: Die von Hitler nachweislich beabsichtigte 900tägige Hungerblockade Leningrads - das man ja gar nicht erobern wollte - durch die deutsche Armee, unter Beihilfe der Finnen, mit mindestens 1 Million Hungertoten war eines der größten Kriegsverbrechen der Geschichte. So, wie das gesamte "Unternehmen Barbarossa" logistisch auf "Ernährung aus dem Land" aufbaute und bewußt die Aushungerung der Millionen ansässiger Bevölkerung Westrußlands bzw. der Ukraine in Kauf nahm. Ein schwerer Fehler. Waren 1941 viele Ukrainer begeistert über die deutschen "Befreier vom Kommunismus", kippte die Stimmung bald.)
Seine Mutter war arbeiten gegangen, damit sie ihn ernähren, nicht in ein Waisenhaus abgeben mußte. Die Kindheit selbst verbrachte er weitgehend unbeschwert und normal, und wurde nach Abschluß des Studiums (Juristerei) dem KGB zugeteilt. Wie es eben in der UdSSR üblich war, wo man Arbeitsplätze eher nicht aussuchte, sondern zugeteilt bekam. Putin macht kein Hehl daraus, daß er in jungen Jahren das kommunistische System für gut hielt. Aber nach und nach habe er festgestellt, daß es einfach nicht funktionierte, viel zu ineffizient war. Nichts funktionierte, die Wirtschaft wuchs nicht, nirgendwo gab es Entwicklung. Also begann er umzudenken.
Mit der Politik war er indirekt über den Petersburger Bürgermeister Sobtschak in Berührung gekommen, der ihn in seinen Stab holte. Dabei war sein Verhältnis zu Gorbatschow oder Jelzin defacto nicht vorhanden, wie vielfach und falsch behauptet wird. Jelzin hatte er nicht einmal gekannt. Auch als Mitarbeiter war zu diesem kein besonderes Verhältnis entstanden. Er habe auch nie mit ihm getrunken, und ihm gegenüber war Jelzin auch stets korrekt und nüchtern. Es kam für ihn überraschend, daß er zum Chef der Sicherheitsbehörde ernannt wurde, und noch mehr, als er von Jelzin zum Nachfolger "geholt" wurde.
Unterstützung für Amerika
So manches Überraschende, weil nicht ausreichend Gewußte (oder: Berichtete!) offenbart sich natürlich auch. So, daß Rußland die amerikanische Invasion von Afghanistan (pardon: humane Intervention) nur möglich war, weil Rußland (und das tut es bis heute noch) den amerikanischen Nachschub über russisches Territorium gestattete. Und die Amerikaner sogar mit dem Wissensstand der russischen Geheimdienste ausstattete. Putin sieht zwar die amerikanische Interventionspolitik im arabischen Raum (Libyen!) sehr kritisch, solidarisiert sich aber mit der amerikanischen Intervention im Irak im Jahre 1991. Nicht freilich bei der 2003, die nur Destabilisierung und Chaos in der ganzen Region anrichtete.
Man könne, sagt Putin, den amerikanischen Begriff von Demokratie nicht einfach einem Volk auferlegen. Demokratie müssen "von innen" in einem Staat kommen. Libyen etwa hatte vor 2011 einen ähnlich hohen Sozial- und Wohlstandsstandard wie Europa, es hätte also nicht lange gedauert, bis auch europäische demokratische Standards gegriffen hätten, wenn es das Volk gewünscht hätte. Die Beseitigung von Gaddafi war aber sinnlos, wie jeder Jubel darüber, und hat das nunmehr führerlose Land in ein Chaos gestürzt, wie man heute sieht, und jede gedeihliche Entwicklung zerstört.
Die Geschichte um Afghanistan ist bekannt. Wo die Amerikaner, um der Sowjetunion zu schaden (die eingerückt war, um das Chaos der dortigen pseudo-kommunistischen Regierung zu ordnen), die Al Quaida geschaffen hat. Jenes Monster, mit dem sie es später dann schmerzlich zu tun bekam.
Als wären sie im Kalten Krieg
Als wären sie im Kalten Krieg
Aber das gesamte Verhalten der USA nach 1991 war, als befänden sie sich weiterhin im Kalten Krieg mit Rußland. Das war für Putin tatsächlich überraschend, wie er sagt. Er war doch stattdessen immer davon ausgegangen, daß der Kalte Krieg mit dem Zerfall der Sowjetunion vorüber war. Die, das nur zur Erinnerung, von einem Tag auf den anderen 25 Millionen Russen in "fremden" Ländern aufwachen ließ.
Diese außenpolitische Widersprüchlichkeit offenbart sich bei den USA am laufenden Band. Sie verkalkulieren sich ständig. Die Geschichte der ISIS ist dafür ein Beispiel: Wo man zuerst Verbündete stärkt, die sich bald als eigentlicherer, schwererer Feind erweisen. Trotzdem hören die USA nicht auf, diese Gruppen zu stärken, weil sie meinen, kurzfristige Ziele damit zu erreichen. Und sie schreckt nicht davor zurück, wie in Syrien, diese Terroristen als "legitime gemäßigte Opposition" zu bezeichnen. Man hat in Libyen genauso wie im Irak exakt jene Strukturen beseitigt, die den Terrorismus im Zaum gehalten hatten und hätten halten können. Etwa hatte der Irak 2003 mit den Al Quaida-Terroristen in Afghanistan nicht das Geringste zu tun.
Dennoch stimmt Putin einer Dämonisierung von George Bush jr. 2003 nicht zu. Er war wohl einfach von seinen Geheimdiensten falsch informiert. Und er hat auf dieser Informationslage (Stichwort: Massenvernichtungswaffen) getan, was er als Staatenführer zu tun hatte: Die USA zu schützen und zu verteidigen.
Die NATO hält Putin für überholt. Es ist mittlerweile zu einem reinen außenpolitischen Instrument der USA geworden. Aber insgesamt kann man eine Enttäuschung angesichts des Verhaltens der USA bemerken. Denn die Russen hatten nach 1991 den Amerikanern alle Zugänge zu ihren Rüstungskapazitäten gegeben. Selbst als die Amerikaner Raketenabwehrsysteme im ehemaligen Ostblock (Polen, Rumänien etc.) errichtet hatten, war die Reaktion auf die russischen Fragen, daß diese Maßnahmen sich nicht gegen Rußland richteten, daß man aber Rußland jedes Recht einräume, darauf zu reagieren. Amerikanische Ingenieure hatten sogar russische Rüstungsfabriken besucht.
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Ergänzend in der Hoffnung auf ein möglichst stimmiges Gesamtbild hier eine bemerkenswert erhellende TV-Stellungnahme von Gabriele Krone-Schmalz zum Verhältnis des Westens zu Putin. "Man hat die über Jahre andauernden, ständigen Angebote Putins nie beantwortet, und so viele viele Chancen schlicht verpennt."
Am Montag) Teil 2
*240118*