(Zusammenfassende Übertragung - Stunde 5)
Wirtschaft und Politik
Man kennt viele Faktoren nicht, meint Putin, die eine Wirtschaft kennzeichnen. Es ist deshalb nicht einfach nur eine Wissenschaft, es ist auch eine Kunst. Denn man muß trotz gewisser Unsicherheiten ständig Entscheidungen treffen. Deshalb ist es immer interessant, gegenteilige Auffassungen zu etablierten Meinungen zu hören. Stone stellt aber die Frage, ob es denn nicht stimme, was Putin immer vorgeworfen wird: Zar zu werden, alle Macht in seinen Händen zu halten. Putin weist darauf hin, daß die Frage nicht sein kann, wieviel Macht man "hat", sondern wie man sie verwendet.
Diejenigen, die sich darüber beschweren, daß sie keine Macht hätten, können die ihnen gegebene Macht meist nur nicht nützen. Stattdessen glauben sie, sie müßten mehr und noch mehr Macht akkumulieren. Und schauen immer auf jene, von denen sie meinen, sie hätten mehr Macht als sie selbst.
Persönlich gefragt meint Putin, daß er nie jemanden anschreie. Wenn man jemanden anschreit, dann könne der nicht mehr zuhören.
Syrien
Es sei einfach zu erklären, meint Putin. Man habe gesehen, was in den übrigen Ländern dieses geographischen Raumes passiert sei: Die Regierungen wurden gestürzt, und zurück blieb ein Chaos. Das hat Raum für Terror geschaffen. Es gehört zu den größten Sorgen Rußlands, sich ein Kalifat von Südeuropa bis nach Asien vorzustellen. Die Russen waren der Auffassung, daß Präsident Assad innenpolitisch Fehler gemacht hat, also hat Rußland sich mit ihm zusammengesetzt und die Verfassung adaptiert. Damit ist der Weg gebahnt, demokratische Wege zu finden, und gleichzeitig die Autorität nicht zu zerstören. Die Situation in Syrien ist eskaliert, weil sich so viele ausländische Mächte eingemischt haben. Putin meint, Israel sei weniger involviert, dort fürchte man die Radikalen Gruppen. Man müsse sich vielmehr fragen, welche Länder mit den Terroristen Geschäfte gemacht und sie finanziert haben.
Das Verhältnis mit der Türkei spiele sicher eine große Rolle. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind eng, und die Türkei habe viele Interessen in Rußland zu verfolgen. Von den 5 Millionen russischen Touristen angefangen, über zahlreiche Bauprojekte in Rußland selber, die von türkischen Unternehmen ausgeführt werden, also hat man mit der Türkei von Anfang der russischen Intervention in Syrien an enge Koordination vereinbart. Aber die Türken hätten sich nicht daran gehalten. Deshalb kam es zu Spannungen, wie beim Abschuß der russischen Maschine.
Daß Öl von der IS in die Türkei geliefert wurde, war jedem evident. Denn es geschah durch tausende Tankwagen. Die Photobeweise dieser Pipeline-artigen Lieferschlangen habe Putin schon beim G20-Treffen im September 2014 gezeigt. Niemand hat es auch abgestritten, auch nicht die USA. Dennoch haben wir nie viel nach außen dazu gesagt, auch nicht über Fehlschläge der Amerikaner. Solche Interventionen machen leider Fehlschläge und Unfälle auch wahrscheinlich. An sich war auch der Abschuß der SU24 durch die Türkei ein solcher Fehler. Schlimm war freilich, daß man die Piloten, die mit Fallschirm abgesprungen waren, beschossen und getötet hat. Man hat von Anfang an die Amerikaner über geplante russische Luftschläge informiert (und das geschah auch umgekehrt), so auch über diese SU24. Es hat irritiert, daß die Türkei dennoch bei der NATO Hilfe gesucht hat. Dabei war die Luftpräsenz der Amerikaner illegal, denn sie beruhte weder auf einem UN-Beschluß noch auf einer Einladung Syriens, wie bei den Russen. Aber immerhin hatten wir dasselbe Ziel, die Bekämpfung des Terrors. Und hier gibt es (2015) auch Erfolge.
Dabei hat man auch Sunni-Gruppen unterstützt. Das war mit Asad abgesprochen. Es waren viele tausend Luftangriffe, die man geflogen hat. Und die IS hatte immerhin 80.000 Kämpfer, wobei tausende von außen kamen. Freilich haben andere Länder versucht, die IS zum Sturz von Assad zu benützen. Aber Rußland hat immer mit den USA zusammengearbeitet, die IS zu bekämpfen. Und versucht seinerseits auf Assad einzuwirken, zu dem man eine gute Gesprächsbasis habe - dasselbe würde von den USA bei ihren Verbündeten erwartet.
Putin ist sehr zurückhaltend, Länder - wie Arabien - zu beschuldigen, die IS zu unterstützen. Genauso gut könnten es private Investoren sein, die ideologisch getrieben diese Geschäfte mit der IS machten. Es gebe aber keine Beweise. Man brauche als Ölproduzent eine gewisse Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien.
Am Boden hatte man es freilich teilweise mit denselben Kämpfern zu tun, die man schon aus Afghanistan kannte. Sie waren über die Türkei ins Land gekommen.
In die religiösen Auseinandersetzungen zwischen Iran und Arabien wolle man nicht eingreifen, das müßten, so Putin, die Länder dort unter sich ausmachen. Und Rußland versuche, mit allen diesen Ländern gute Beziehungen zu pflegen, hält sich aus solchen Auseinandersetzungen heraus.
Auf die Frage, ob Putin nicht eine Allianz der Saudis mit den USA befürchte, etwa in den Sanktionen gegen Rußland, meint der russische Präsident, daß er der Meinung sei, daß die Demokratisierungsmission der Amerikaner mit den Monarchien auf der arabischen Halbinsel nicht gut zusammenpaßten. Wenn er den Arabern einen guten Rat geben würde, dann würde er ihnen sagen, daß sie einmal überlegen sollten, was die USA als nächstes dort vorhaben könnten, nach Tunesien, nach Syrien, nach Libyen, nach Ägypten. Es ist ein Problem, staatlich-politische Strukturen in Länder exportieren zu wollen, die an einem anderen Platz zwar funktionieren, aber die religiösen, gesellschaftlichen Strukturen und Traditionen anderer Länder nicht berücksichtigen. Putin meint, daß man diese Länder mit Vorsicht und Respekt behandeln sollte, anstatt sie von außen zu zwingen, sich radikal zu verändern.
Eine Teilung von Syrien in vier, fünf Staaten sieht Putin skeptisch. Er bevorzugt eine Lösung, die Syrien intakt läßt. Denn man dürfe nicht nur daran denken, wie man momentan den Krieg beende, sondern man müsse auch an die fernere Zukunft denken. Teile man Syrien, so sei zu befürchten, daß es zu permanenten Konflikten zwischen diesen neuen Staaten komme. Also sollte man doch versuchen, alle Parteien in Syrien auf einer Plattform zusammenwirken zu lassen.
Putin meint, daß nach den Giftgasangriffen von Assad die Gefahr einer Eskalation des Syrienkrieges durch Eingreifen der USA sehr groß gewesen sei. Es sei Obama zuzuschreiben, daß es nicht so weit kam, der solches Eingreifen vermied. Putin habe damals bei ihm interveniert. Stattdessen hat Obama dann einer weiteren Abstimmung mit den Russen zugestimmt und damit eine Eskalation des Konflikts verhindert. Im übrigen wäre Obama dann innenpolitisch in einer schwierigen Situation gestanden - es ist nämlich mehr als fraglich, ob die amerikanische Bevölkerung einen solchen Krieg gewollt hätte. Manche sprachen sogar davon, daß Putin Obamas "Arsch" gerettet habe, indem er einen Ausweg bot. Und damit möglicherweise Millionen Tote vermieden hat.
Noch zur Türkei
Die Sanktionen Rußlands (im Anschluß an den Abschuß der SU24) gegen die Türkei waren auch darin begründet, daß über die Türkei - mit türkischen Pässen - radikale Elemente nach Rußland eingeschleust worden waren, die dann in Rußland "verschwanden". Das war, so Putin, in Abstimmung der Türkei mit anderen Ländern geschehen, die nicht genannt werden sollen. Das alles nahm Putin zum Anlaß, gewisse wirtschaftliche Anpassungen zu initiieren, etwa durch Ausbau der eigenen Landwirtschaft. An sich hält Putin zwar nichts von Sanktionen, in diesem Fall aber waren sie wirkungsvoll, weil türkische Firmen stark in Rußland investiert waren und dort die russischen Produktionsbedingungen durch niedrige Preise ohnehin erschwert haben. Also habe man die Gelegenheit auch in dieser Richtung wahrgenommen, um die Bedingungen für russische Produzenten zu erleichtern.
Zum Öl
Zwar sieht Putin die derzeit überragende Bedeutung von Öl für die Welt, aber er verweist auf den Spruch, daß "die Steinzeit nicht wegen Mangels an Steinen" zu Ende ging. Es werde zu Entwicklungen kommen, die über kurz oder lang das Öl ersetzen werden. Das Ölzeitalter wird zu Ende gehen, obwohl es noch genug Öl gibt.
Zum Irak befragt (ob das Öl der Grund für die Intervention durch die USA gewesen sei) meint Putin, daß die amerikanische Intervention seltsam gewesen sei, denn immerhin hätten zuvor amerikanische Konzerne große Investitionen dort getätigt. Wenn man den Irak heute betrachtet, sollte man sich fragen, ob sich nun etwas verbessert habe. Das Land sei komplett zusammengebrochen, und das könne in keines Landes Interesse sein. Gewiß sei Hussein ein Diktator gewesen, aber wenn man demokratische Veränderungen gewünscht habe, so müßten die doch von innerhalb des Irak selber kommen. Heute hat der Irak sogar Geldmangel, obwohl er ein Ölproduzent ist. Er fällt damit als Absatzmarkt aus. Stattdessen muß nun die USA mit US-Steuergeldern dem Irak sogar finanziell helfen.
Der Irak sei ein Beispiel dafür, warum Rußland so darauf dränge, die internationalen Gremien (UN) und das Völkerrecht zu stärken, um solche Konflikte zu regulieren.
Danach befragt, ob Putin nicht glaube, daß Saudi-Arabien in Konfliktstellung zu den USA stehe, weil der Ölpreis so niedrig sei, sodaß weite Bereiche der amerikanischen Ölförderung (Ölschiefer) unrentabel geworden seien, meint der Russe, daß er glaube, daß für die amerikanische Wirtschaft viel bedeutender sei, daß es nun billiges Öl gebe. Das helfe ihr weit mehr.
Im Ganzen gesehen glaubt Putin, daß sich über kurz oder lang für den Nahen Osten eine friedliche Lösung zeigen werde. Es mag sein, daß es lange dauern wird, aber irgendwann wird sich auch dort wieder alles beruhigen.
Morgen Teil 9)
*300118*