(Zusammenfassung auf der Grundlage einer Audio-Transposition - Stunde 6)
Zur Sicherheitsfrage Rußlands
Die russischen Streitkräfte befinden sich derzeit in einer umfassenden Restrukturierung, denn die militärischen Gefahren nehmen global zu, nicht ab. Heute hat die russische Armee 2,1 Millionen Soldaten. Mit der Zunahme des Vertrauens in die Streitkräfte erhöht sich auch der Zustrom an Freiwilligen.
Alleine 2014 hat die NATO in unmittelbarer Nähe zu Rußland 60 Manöver durchgeführt. Das gibt zu denken, zumal 2014 in Zusammenhang mit der Krise in der Ukraine die NATO die Zusammenarbeit mit Rußland aufgegeben hat. Die NATO ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg, der seit 1990 aber kein Gegner mehr gegenübersteht, denn der Warschauer Pakt (und die Sowjetunion) hat sich aufgelöst. Putin äußert, daß er den Eindruck hat, daß die NATO heute dabei ist, unbedingt einen Feind zu suchen. Das war auch der Grund, warum die Gespräche mit Clinton nicht vorankamen, weil auch Rußland der NATO beitreten hätte wollen. So wäre immer eine Zusammenarbeit (auf Augenhöhe) im Sinne von Sicherheit etabliert worden.
Noch einmal geht Putin auf den Umstand ein, daß der frühere Georgische Präsident (und Provokateur Rußland gegenüber) Saakashvili im Ukraine-Konflikt plötzlich die georgische Staatsbürgerschaft ablegte, Ukrainer - und Gouverneur der Krisenregion Odessa wurde.
Interessanter Aspekt: Putin weist darauf hin, daß man in Friedenszeiten die Streitkräfte vor allem dort stationiere, wo die Soldaten und deren Familien gute, zivilisierte Lebensbedingungen und Infrastruktur (Schulen etc.) vorfinden.
Noch einmal Ukraine
Putin erklärt, daß die Ukraine das Minsk II-Abkommen nicht eingehalten habe. Stattdessen fordere man die Schließung der Grenze zu Rußland. Das aber würde bedeuten, daß man der Ukraine alle Mittel zur Hand gebe, die Aufständischen im Donbass einzukreisen, ohne daß die Bedingungen, die in Minsk ausgehandelt worden wären (Amnestie, humanitäre Hilfe, Einstellung der Kampfhandlungen etc.) erfüllt wären. Das wird sogar immer schwieriger, weil mittlerweile die innenpolitische Situation der Ukraine dramatisch schlechter wurde, sodaß (2015) Präsident Poroschenko (damals im Konflikt mit Ministerpräsident Jazenjuk) noch weniger Macht hat, Vereinbarungen durchzusetzen. Macht man die übrigen Gesprächspartner des Westens darauf aufmerksam, zucken sie nur mit den Schultern und kommen mit neuen Anschuldigungen gegenüber Rußland. Denn sie können ja nicht öffentlich zugeben, daß sie Fehler gemacht haben.
Dabei befinden sich die drei Millionen Russen, die in den besagten ostukrainischen Gebieten an einer Abstimmung teilgenommen haben, in der sie größere Unabhängigkeit gefordert hatten, in der Situation, daß sie ohne die Amnestiegesetze samt und sonders als "Separatisten" nach geltendem ukrainischem Gesetz angeklagt werden können. Das könnte die Situation in Serbien und Bosnien wiederholen. In Odessa hat sich so eine Tragödie auch abgespielt, wo man 40 unschuldige, unbewaffnete Bürger verbrannt oder mit Eisenstangen totgeschlagen hat. Dafür sind ukrainische Extremisten verantwortlich, die heute völlig problemlos in diese Gebiete eindringen können. Als Putin seine westlichen Gesprächspartner auf die Möglichkeit hinwies, daß solche Vorkommnisse auch im Osten zu erwarten sind, gab man ihm zur Antwort, daß sich die Menschen dort doch an Menschenrechtsorganisationen wenden sollten, um Schutz zu bekommen. Rußland kann doch da nicht einfach zuschauen, bis genug Massaker stattgefunden haben? Anderseits kann Rußland nicht einseitig handeln, weil das mit den Kiewer Autoritäten abgestimmt werden müßte.
Dasselbe kann man auf Syrien übertragen. Auch dort braucht es zuerst eine politische Lösung, eine funktionierende Autorität. Deshalb hat Rußland zuerst dafür gesorgt, daß die Regierungsinstitutionen gestärkt werden. Zumal die Probleme in Syrien nicht ausschließlich von der IS herkommen, sondern durchaus innenpolitische Gründe haben. Diese müssen ebenso geregelt werden. Und nach unserem Eindruck ist Präsident Assad Willens, in einen solchen Dialog mit der Opposition einzutreten. Aber auch das kann nicht einseitig geschehen, Dialogbereitschaft muß bei allen Seiten bestehen. Viele sagen: Assad muß gehen. Nur keiner kann sagen, was dann kommt! Also scheint Rußland das Vernünftigste, zuerst eine neue Verfassung zu finden, und Assad hat dazu seine Bereitschaft bekundet. Darauf könnten dann auch rasche Neuwahlen aufbauen.
Die Linie in den USA ist nicht einheitlich, das macht es schwierig. Dabei muß doch das erste Augenmerk darauf gerichtet sein, Syrien wiederherzustellen und so auch die Flüchtlinge dazu zu bringen, wieder nach Syrien zurückzukehren.
Zu Sotschi
Man plante, Sotschi (als Standort Olympischer Spiele, Anm.) zu einem ganzjährigen Urlaubsgebiet auszubauen. Dazu mußte viel Infrastruktur errichtet werden, und mittlerweile ist Sotschi ein solches Touristenzentrum auf internationalem Niveau. Rußland hat dabei angeblich 50 Milliarden Dollar investiert (was Rußland nicht wirklich dementiert.) Dazu wurden auch viele Aufträge an ausländische Firmen gegeben.
Zu "nicht traditionellen sexuellen Neigungen"
Es gibt, sagt Putin, keine Restriktionen gegenüber diesen Menschen, sie haben alle Möglichkeiten wie jeder andere. Andere Aussagen dazu sind ein haltloses Gerücht. Es wird nur nicht gewünscht, daß sie ihre Neigungen auf andere (mit Druck) übertragen. Das russische Volk bevorzugt auch eine traditionelle sexuelle Konstellation. Und die Regierung sieht sich gleichermaßen verpflichtet, diese Familie zu schützen. Aber es gibt keine Verfolgung gegenüber anderen Menschengruppen. Auch Lebensgemeinschaften zwischen Homosexuellen sind möglich. Nur glaubt man in Rußland, daß Kinder in traditionellen Familien aufwachsen sollten.
Zur Rolle der Überwachung
Rußland hat nicht die technischen Möglichkeiten wie die USA (die 2016 gut 52 Milliarden Dollar nur für Überwachung ausgibt.) Hätte man sie, wäre man eventuell genauso "gut" wie die Amerikaner. Heute werden aber in Rußland keine Daten über die Bürger gesammelt. Man hat die technischen Einrichtungen dafür gar nicht. Wenn, dann passiert so etwas nur gezielt und bei Verdachtsmomenten. Deshalb gibt es auch keine allgemeine Überwachung der Muslime etwa. Rußland ist ihnen dasselbe Heimatland wie allen übrigen Religionsgemeinschaften. Putin meint übrigens, daß man dies viel billiger haben könnte, würde man mit Rußland zusammenarbeiten. Die von Rußland für die Geheimdienste ausgegebenen Summen will Putin freilich nicht nennen. Es sind aber kaum 10 Prozent der amerikanischen Ausgaben für Geheimdienste (75 Milliarden Dollar.)
Zum Kaukasus
Putin hält es für eine normale Reaktion, daß die ehemaligen sowjetischen Republiken nach 1990 Nationalismus entwickelten. Der starke Separatismus etwa in Tschetschenien hat seine Wurzel noch unter Stalin. Speziell dort gibt es auch starke interne Konkurrenz um die Macht. Darunter sind auch Personen, die eine starke Zusammenarbeit mit Rußland wollen. Die Gefahr von Bürgerkrieg dort ist also immer groß. Dabei hat Rußland das Ziel, daß alle seine Regionen über kurz oder lang sich selbst erhalten können. Das ist derzeit bei 85 solcher Regionen nur bei 10 der Fall. Aber Unterstützung seitens der Zentrale ist nicht auf ewig möglich.
Nach 9/11 hat Putin übrigens den Amerikanern russische Militärbasen als Basis für ihre Absichten in angrenzenden Staaten angeboten. Das war auf Bitten der Amerikaner mit ein paar Jahren Horizont geschehen.
Wie schon oft weist Putin darauf hin, daß die NATO gegen die Vereinbarungen mit Rußland keine Gelegenheit ausgelassen hat, seine Einflußzone auf ehemaligen Sowjetterritorien auszuweiten. Diese Expansion kam in zwei Wellen. Schließlich trat die USA einseitig aus dem Atomwaffensperrvertrag aus. Es ist sehr wichtig, das zu sehen! Wie soll Rußland reagieren, wenn die NATO ihr Potential weiter und weiter ausbaut? Denn auf lange Frist ist es sehr wohl bedeutend, welches Potential eine Macht hat.
Das Angebot auf Zusammenarbeit mit Rußland hat man nie angenommen. Vielmehr hat man wie in der Ukraine überall radikale nationalistische Bewegungen gestärkt. Offenbar denkt niemand darüber nach, wie die Beziehungen mit Rußland in 20, 30 Jahren aussehen sollen.
Morgen Teil 10)
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