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Freitag, 23. Februar 2018

Die Putin Interviews (Oliver Stone) - 10

(Zusammenfassende Übertragung - Stunde 7)

Den immer wieder eingeschobenen Smalltalk von Oliver Stone und Vladimir Putin haben wir in dieser zusammenfassenden Niederschrift weggelassen. Die siebente Stunde beginnt mit einem Rückblick auf die Jahre 2001 (Irak- und Afghanistan-Invasion der USA), sowie 2004 (Orange Revolution in der Ukraine), wo Rußland sich noch als Verbündeter der USA verstanden und sehr zurückgehalten hatte. Erst 2005 war die erste Verstimmung eingetreten, als Rußland Belege dafür bekam, daß der CIA terroristische Vereinigungen in Aserbaidschan und dem Kaukasus unterstützte. Putin hatte schließlich George Bush jr. darauf angesprochen. Der CIA rechtfertigte sich daraufhin in einem Brief, worin er die Meinung vertrat, er habe das Recht, mit allen Oppositionsparteien (gegen Rußland) Kontakte zu pflegen und werde das weiterhin tun. Und das alles, während man in Afghanistan angeblich gegen den Terror Krieg führte.

Die Finanzkrise 2008 traf auch Rußland. Auch dort mußten die Banken gestützt werden, um den Geldkreislauf im Land am Laufen zu halten. Die meisten Privatbanken (aber auch viele Unternehmen) waren bei westlichen Banken verschuldet, und es bestand bei deren Niedergang die Sorge, daß die Rückführung der Kredite nicht bewältigt werde. Also sprang der Staat durch Fonds ein. Aber Rußland hat das getan ohne den direkten staatlichen Wirtschaftsbereich auszuweiten. Wiewohl einige Großunternehmen dem Staat einen Rückkauf anboten, um ihre Schulden dem Staat aufzuhalsen. Doch das wurde abgelehnt.

Bis heute versucht Putin, die Beziehungen zu den USA freundschaftlich zu gestalten, ohne russische Interessen dabei aufzugeben. Er moniert, daß die USA gerne aber vergesse, daß es nicht nur um ihre Interessen gehen könne, sondern daß auch Rußland solche habe. Es fehle da manchmal der nötige Respekt. Rußland hat sogar in der Krise 2008 auch ausländischen Investoren dieselben Hilfsmaßnahmen gewährt wie den russischen. Russischen Investoren in anderen Ländern erging es umgekehrt aber nicht immer so. Dabei hat Rußland nie den Kapitalverkehr (also auch für den Abfluß von Kapital) eingeschränkt. Immerhin hat dies das Vertrauen in die russische Wirtschaftspolitik gestärkt.

Stone stellt hier aber die Frage, ob Putin da nicht zu naiv gewesen ist. Denn 2008 habe sich ja herausgestellt, daß die Fundamente des westlichen (globalen) Wirtschaftssystems mehr als fragwürdig waren, während Rußland genau darauf zu vertrauen schien. Putin erwidert, daß er das in einem weiteren Rahmen sehe, und hier stelle er sehr wohl seriöse amerikanische Investitionspartner fest. Leider hätten die USA aber den Kapitalverkehr eingeschränkt. Die Folge war und ist, daß sich nun Investoren aus anderen Ländern in Rußland stärker ausbreiten. Freilich aber sei, so Putin, eine gewisse Naivität im wirtschaftlichen Umgang mit den USA festzustellen gewesen. Es war ein Prinzip gewesen, nach den Umbrüchen 1990 die Wirtschaft gegen den Westen hin zu öffnen. Sogar der KGB hatte 1991 dem CIA sein Überwachungssystem für die Botschaft in Moskau offengelegt. Man hatte im Gegenzug erwartete, daß die USA dasselbe hinsichtlich der russischen Botschaft in den USA machen würden. Nur fand das nie statt.

Man muß das wohl so verstehen, daß Putin versucht zu zeigen, daß Rußland alles und immer wieder getan hatte, um mit den USA eine Vertrauensbasis zu schaffen. Doch hatte Amerika umgekehrt solche vertrauensbildenden Maßnahmen immer wieder verweigert. Selbst als Mitte der 1990er Jahre amerikanische Geheimakten veröffentlicht wurden - so über die Ermordung von JF Kennedy - habe man versucht, Rußland Verwicklungen zu unterstellen. Aber das sei (etwa im konkreten Fall Kennedy) nie der Fall gewesen.

Der Georgienkrieg 2008

Erst 2008 hatte Rußland erstmals wieder eigenes außenpolitisch-militärisches Handeln gezeigt, in der Auseinandersetzung in Georgien. Putin sei damit nicht wirklich einverstanden gewesen, das gehe auf das Konto des damaligen Präsidenten Medwedjew. Und Putin habe Recht behalten, der Konflikt um Südossetien eskalierte. Dabei habe er immer wieder versucht, diese Eskalation zu verhindern, obwohl Georgien zu drastischen Militärschlägen gegriffen hatte. Das ist dem damaligen Präsidenten Saakashvili zuzuschreiben, der aggressiv auf eine Eskalation hinarbeitete. (Derselbe tauchte ja dann in der Ukraine wieder auf.) So drängte man Rußland auf eine Position, wo man nicht mehr anders konnte als angemessen zu reagieren.

Es war für Putin erstaunlich, daß aber die westlichen Medien diesen Krieg so dargestellt hatten, als wäre Rußland der Aggressor. Dabei hatte ihn Saakashvili zuvor sogar im Rundfunk angekündigt.

Für Rußland ging aus diesem Krieg die Erkenntnis hervor, daß es seine Armee modernisieren mußte. Das war aber nicht dieser Auseinandersetzung zuzuschreiben, es war bereits vorher geplant. Nun war es freilich als vordringlich erkannt worden, und Rußland erhöhte seine Militärausgaben.

Noch einmal Ukraine, aber mit anderen Aspekten

Die Ereignisse in der Ukraine sieht Putin als klares Regimechange, der eine prorussische durch prowestliche Regierung ersetzen sollte. 2008 entsprach das freilich auch der Bevölkerungsmeinung, und Juschtschenko wurde gewählt. Doch politisch-wirtschaftliche und soziale Mißwirtschaft drehten die Meinung gegen diese Regierung wieder, und so wurde Janukowitsch gewählt. Und der versprach aufgrund der Unruhen (Janukowitsch hatte das bereits ausgehandelte Assoziierungsabkommen mit der EU 2013 schließlich doch nicht unterschrieben) rasche Neuwahlen. Darüber war mit der Opposition ein Übereinkommen erzielt worden, das sogar drei EU-Außenminister als Garanten mitunterzeichnet hatten. (Später wollte davon keiner mehr etwas wissen.)

Putin meint, daß er deshalb nicht verstünde, warum man also den Staatsstreich 2014 inszeniert hatte, bei dem er Verbindungen zum CIA sieht. Die Vorgänge waren zu offensichtlich um zufällig zu sein. (Wir haben an anderer Stelle bereits über den Ablauf der Vorgänge in der Ukraine 2014/15 gehandelt, Putin wiederholt sie in diesem Gespräch freilich. Anm.) Die Entscheidung der Bewohner der Krim, zu Rußland gehören zu wollen, schreibt Putin dem Umstand zu, daß sie nicht unter den neuen ukrainischen Nationalisten leben wollten. (Eine der ersten Maßnahmen 2014 war ja der Versuch gewesen, die russische Sprache nicht mehr als Amtssprache zuzulassen - die Krim ist aber wie der Osten der Ukraine weit mehrheitlich von Russischsprachigen bewohnt.)

Die Wirtschaftszahlen sprechen eine eigene Sprache. Im Zuge der Auseinandersetzungen 2014ff brach die ukrainische Wirtschaft regelrecht zusammen. Die Inflationsrate schoß auf 45 Prozent, und der Handel mit Rußland brach um 50 Prozent ein. Als man die Öffnung der EU erreichte, ging auch der Export dorthin um 23 Prozent zurück. Die Regierung in Kiew war hilflos.

Die Ukraine zahlt einen hohen Preis

Putin sagt, daß das zeige, wie sehr die ukrainische Wirtschaft mit der russischen abgestimmt sei. Während die EU für ukrainische Produkte gar keinen Markt habe. Wenn sich die Ukraine so eindringlich um Visafreiheit mit der EU bemühte, so habe das nur den Hintergrund, daß sie einen Zugang zum westlichen Arbeitsmarkt für ihre Bürger möchte, denn die Arbeitslosigkeit in der Ukraine ist enorm hoch. Man wolle diese Sozialprobleme exportieren (die mangels anderer Exporte entstanden sind, Anm.)

Putin wird sarkastisch, wenn er darüber spricht. Früher, so sagt er, habe die Ukraine als hochindustrialisiertes Land gegolten. Heute träumten die Ukrainer davon, in der EU als Krankenpfleger, Kindergärtnerin oder Gärtner zu arbeiten. Das Land werde regelrecht deindustrialisiert. Das wäre bei guten Beziehungen mit Rußland niemals der Fall gewesen. Noch dazu, so Putin, wo doch evident sei, daß die Ukraine und Rußland nicht einfach nur Nachbarstaaten sind, sondern seit je engste Verbindungen hätten. Die Sprache, die Kultur - sie sind doch fast dasselbe! Selbst als diese Länder noch zusammengehörten, habe man die Ukrainer mit Respekt behandelt. Es ist sogar eine Tatsache, daß viele Ukrainer in der Führung des Staates eine große Rolle gespielt haben.

Wenn nun die Ukraine sich von Rußland abnabele, so träfe es die Russen wirtschaftlich am wenigsten. Hauptleidtragender ist die ukrainische Bevölkerung, die man, so Putin, wieder einmal über den Tisch gezogen hatte.

Modernisierung der Armee durch notwendigen Ersatz der ukrainischen Rüstungsproduktion

Der mögliche Verlust von Sewastopol auf der Krim habe weniger eine Rolle in den Überlegungen Rußlands gespielt, als kolportiert. Rußland habe seit langem an einer neuen Flottenbasis in Noworossijsk gearbeitet, die Sewastopol ersetzen sollte. Dort wurden mittlerweile bereits 1,4 Milliarden Dollar investiert. Freilich war die Trennung der beiden Staaten nach 1990 zuerst tatsächlich ein militärisches Problem gewesen, denn die Ukraine war immer ein wichtiger Rüstungsproduzent und beide Länder Teil eines zusammengehörigen Verteidigungssystems gewesen. Aber mittlerweile hat man diese früher so engen Verbindungen durch eigene russische Produktion ersetzt, und das ist nicht unglücklich mit der Modernisierung der russischen Armee zusammengefallen.

Umgekehrt aber ist heute die entsprechende Produktion in der Ukraine (Raketen, Flugzeuge, Fahrzeuge) regelrecht "im Aussterben". Ihre Produkte werden in der EU nicht gebraucht. Die USA haben ihr strategisches Ziel zwar erreicht, aber die Ukraine ist der Leidtragende. Als Beispiel führt Putin an, daß früher alle Motoren für Militärhubschrauber in der Ukraine produziert worden waren. Nun produziere man sie selber. Der Effekt? Die Unternehmen in der Ukraine mußten zusperren. Gleichzeitig hat Rußland Hubschrauber einer neuen, moderneren Generation. Und der Konflikt in Syrien habe bewiesen, daß diese neuen Systeme bestens funktionieren.

Rußland sieht sich bedroht

Das Problem einer NATO in der Ukraine sieht Putin so, daß wenn die NATO einmal im Land ist, die Ukraine nicht mehr selbst über ihre Militärstrategie entscheiden könne. Rußland habe es also mit einer völlig anderen Situation zu tun. Wenn nun dort (oder im Baltikum) auch noch strategische Anti-Raketensysteme installiert werden, muß Rußland auf jeden Fall reagieren. Schon jetzt unterhalten die Amerikaner solche Systeme in Polen, Rumänien, im Mittelmeerraum und in Südkorea.

Rußland habe den Amerikanern immer wieder Vorschläge gemacht, in diesem Bereich eng zusammenzuarbeiten, um so die Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung für die ganze Welt so niedrig wie möglich zu halten. Ohne Erfolg. Obwohl man die Amerikaner darauf hingewiesen habe, daß man diese Systeme als Bedrohung ansehe und Gegenmaßnahmen ergreifen werde. Es habe sich ja gezeigt, daß der angebliche Grund - Schutz vor dem Iran - nach dem Atomabkommen mit dem Iran keineswegs der wirkliche Grund für die Stationierung dieser Waffensysteme war.

Also muß Rußland seine Offensivkapazitäten ausbauen, um nicht unter Druck zu geraten. Wenn die Amerikaner also sagen, daß die Abwehrsysteme NICHT gegen Rußland gerichtet seien (gegen wen sonst?), so könnte nun Rußland genau so behaupten, daß sich diese Offensivkräfte nicht gegen die USA richteten. Es ist Stone, der darauf hinweist, daß dies einer sehr alten Taktik der amerikanischen Regierung entspräche, die schon gegenüber den Indianern offenbar wurde - man traf Abkommen, denen zum Trotz man dann so lange durch Vertragsverletzungen provozierte, bis die Indianer zuschlugen. Rußland sei also nicht der erste, der betrogen würde. Und Putin darauf? Er wolle nicht der letzte sein.

Die Vorgänge auf der Krim waren gleich wie im Kosovo

Stone stellt Putin nun die Frage, ob dieser nicht die Annexion der Krim bereue, denn der Preis sei ja enorm hoch gewesen - etwa durch Sanktionen. Putin erwidert, daß Rußland sehr vorsichtig vorgegangen wäre. Immerhin wären es ja die Bewohner der Krim gewesen, die zu Rußland kommen wollten. Und diese Entscheidung für Rußland sei demokratisch und rechtlich voll legitimiert. Man hatte schließlich durch ein überwältigendes Volksreferendum (90 Prozent und mehr) zum einen für Unabhängigkeit von der Ukraine gestimmt, und zugleich für einen Beitritt zu Rußland. Was also wünsche sich die Weltöffentlichkeit noch?

Das war doch dasselbe gewesen wie im Kosovo - wo die USA (sowie etliche andere europäische Staaten) 2008 diesen neuen unabhängigen Staat sofort anerkannt haben. Die UNO hat damals eindeutig festgestellt, daß der Wille eines Volkes zur Unabhängigkeit von keiner Zentralmacht verhindert werden darf, daß der Wille zur Unabhängigkeit eines Volkes also nicht dem Prinzip der staatlichen Unversehrtheit (Serbiens damals, diesmal Ukraine) untergeordnet werden dürfe. Warum nicht im Fall der Krim?

Rußland ging es da nicht um etwas Territorium. Es ging um den Willen von Millionen von Menschen. Und so ist man auf diese Entscheidung eingegangen, weil das auch die Bevölkerung Rußlands selber so wollte. Die viel gescholtene Militärpräsenz russischer Truppen während der Abstimmung war niemals kriegerisch gemeint, es gab nicht ein einziges Opfer, sondern sollte lediglich die Durchführung einer Abstimmung ermöglichen. (Das haben auch unabhängige Beobachter der damaligen Vorgänge bestätigt, Anm.) Daß die EU mit der Exkommunikation Rußlands antwortete, habe Putin freilich dann erwartet. Aber auch dazu habe die russische Bevölkerung zugestimmt: dies als Konsequenz mitzutragen. Wie man in landesweiten Umfragen erhoben hatte. Rußland handelte also in Übereinstimmung mit dem Willen der gesamten russischen Bevölkerung (Putin erwähnt die Zahl 80 Prozent). Ähnlich auf der Krim, als die Ukraine mit einem Stop der Energielieferungen reagierte - selbst dann waren die Bewohner der Krim für diesen Beitritt.

(Über den Fall Donbass und das Minsker Abkommen haben wir an dieser Stelle vor einigen Tagen gehandelt, der Leser möge unter "Ukraine" nachlesen. Putin wiederholt hier, daß er die Notwendigkeit zum Handeln gemäß dem Minsker Abkommen bei Kiew sieht.)


Morgen Teil 11)








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