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Montag, 26. Februar 2018

Die große Enttäuschung des Ostblocks (1)

Zuerst hatte Ryszard Legutko den Umbruch in Polen 1989 noch enthusiastisch begrüßt. Denn das Leben im Kommunismus war für die Menschen wie ein Leben außerhalb der europäischen Kultur überhaupt gewesen. Begierig griffen sie nach allem, was sich nun endlich eröffnete und Freiheit verhieß. Schon bald aber hatte Legutko seltsame Dinge beobachtet, und die brachten ihn auf den zuerst eigenartig wirkenden Gedanken, daß die liberale Demokratie des Westens - bei allen Unterschieden, die man nicht marginalisieren darf, denn sie sind dafür verantwortlich, daß der Osten viele viele Tote und Opfer direkter Gewalt zu beklagen hat, und das kann man vom liberalen Westen natürlich nicht behaupten - erstaunlich viele Deckungsgleichheiten mit dem ehemaligen kommunistischen System hatte.

Das wurde dadurch verstärkt, als ihm auffiel, daß es auch in der liberalen Demokratie des Westens hier die Guten und dort die Bösen gab. Der Feind war wie früher klar definiert. Was die Guten sagten, dachten, war gut, was die Bösen sagten oder nur dachten war zu bekämpfen. Noch mehr aber: ihm fiel auf, daß die, die heute als Gute dargestellt wurden, ebenso wie die, die damals im Kommunismus die Bösen waren, immer noch DIE GLEICHEN GRUPPEN (bzw. Personen) waren! 

Wer heute kommunistische Gedanken pflegte oder früher zu den Kommunisten gehörte, gehört heute unverändert - wie damals - zu den Guten. Ebenso, wie der Feind wie damals faschistisch und böse war. Die Bösen in der liberalen Demokratie sind unverändert wie zu Zeiten des Kommunismus die Konservativen, die Anti-Kommunisten, die Patrioten (in den Übergängen zum Nationalismus), und nicht zuletzt - die Katholiken und die Katholische Kirche. Die westliche Gesellschaft rief zum exakt selben Kampf  "gegen die Reaktion" auf, wie er es aus den untergegangenen Ostregimen kannte. In einer ganz seltsamen Allianz erklärten sich also westliche liberale Demokraten und Kommunisten zu den alleine legitimen Repräsentanten der liberalen Demokratie.

Das alles machte ihn zunehmend stutzig, und er ging der Sache nach. Und kam u. a. in seinem Buch "The Demon in Democracy" zu verblüffenden Analysen. Die Folge ist logisch: Heute gehört Legutko, der im früheren Polen glühender Anti-Kommunist, Anti-Totalitarist und Verfechter von Freiheit und Demokratie (die er im Westen zu finden  meinte) war, zu den "Bösen" ... (Übrigens teilt er diese Enttäuschung mit erstaunlich breiten, vor allem breiten intellektuellen Kreisen des gesamten ehemaligen Ostblocks..)

Der Schlüssel zum Verständnis des gesamten ehemaligen Ostblocks

Was ihn vor allem verstörte war die politische Sprache, die er im liberal-demokratischen Westen antraf. Er traf nicht auf eine freie Sprache, sondern auf eine von Notwendigkeiten geprägte, von Geboten limitierte, geformte Sprache. Der ganze Osten hatte sich zuvor doch nach Freiheit der Rede, Gedankenfreiheit, Freiheit Verbindungen zu gründen gesehnt, die er im Westen vermeinte. So war dem Osten die liberale Demokratie des Westens auch immer erzählt worden - als Gesamtpaket der Freiheit. Und diesem Wege wollte man im Osten folgen, den wollte man nachahmen. Auch in Universitätskreisen (Legutko lehrte damals in Krakau) war man sich weitgehend einig: Man wollte alle gesellschaftlichen Bereiche dieser Freiheit öffnen, wie man sie im Westen zu sehen meinte, von den Universitäten, den politischen Institutionen bis zur Unterhaltungsbranche.
Niemandem in Polen von damals fiel ein fundamentaler Widerspruch auf: In dem es überall hieß, UM FREI ZU SEIN HABT IHR DAS UND DAS ZU TUN.  Stattdessen sagte man sich auch im Osten: Ja, jetzt, wo wir frei sind, MÜSSEN wir dies und das tun, müssen wir alles von jeder Limitierung befreien. 

Seine dritte Enttäuschung, die zu einem Schock wurde, erlebte Legutko als er entdeckte, in welchem Ausmaß in der liberalen Demokratie "social engineering" stattfand. Man nannte es zwar nicht so, aber im Effekt war es genau das. Und neuerlich zeigte es sich in der Sprache. Zwar war es nicht wie 1945, als die Sowjets auf Panzern einmarschierten. Wobei sie auch damals ja nicht sagten, so, wir töten nun jeden der gegen uns ist. 

Sie sagten vielmehr, daß alle nun in einer komplett neuen Situation leben würden. Für diese neue Situation brauchen wir auch ein komplett neues Volk, neue Menschen. Und diese neuen Menschen müssen wir schaffen. Neue Zeiten brauchen neue Menschen, neue Erziehung auf die neuen Ziele zu, und ein neues Denken. Ein neues Denken braucht freilich, daß man das alte Denken verändert und beseitigt.

Nach 1989 traf er nun auf exakt dieselbe (!) Sprache. Auch hier war die Situation neu, und die liberale Demokratie brauchte einen neuen Menschen, ein neues Denken. Dazu mußte das vorhandene Denken umgestaltet, die Menschen neu erzogen werden.


Morgen Teil 2)






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