Zuerst hatte Ryszard Legutko den
Umbruch in Polen 1989 noch enthusiastisch begrüßt. Denn das Leben im
Kommunismus war für die Menschen wie ein Leben außerhalb der
europäischen Kultur überhaupt gewesen. Begierig griffen sie nach allem,
was sich nun endlich eröffnete und Freiheit verhieß. Schon bald aber
hatte Legutko seltsame Dinge beobachtet, und die brachten ihn auf den
zuerst eigenartig wirkenden Gedanken, daß die liberale Demokratie des
Westens - bei allen Unterschieden, die man nicht marginalisieren darf,
denn sie sind dafür verantwortlich, daß der Osten viele viele Tote und
Opfer direkter Gewalt zu beklagen hat, und das kann man vom liberalen
Westen natürlich nicht behaupten - erstaunlich viele
Deckungsgleichheiten mit dem ehemaligen kommunistischen System hatte.
Das
wurde dadurch verstärkt, als ihm auffiel, daß es auch in der liberalen
Demokratie des Westens hier die Guten und dort die Bösen gab. Der Feind
war wie früher klar definiert. Was die Guten sagten, dachten, war gut,
was die Bösen sagten oder nur dachten war zu bekämpfen. Noch mehr aber:
ihm fiel auf, daß die, die heute als Gute dargestellt wurden, ebenso wie
die, die damals im Kommunismus die Bösen waren, immer noch DIE GLEICHEN
GRUPPEN (bzw. Personen) waren!
Wer
heute kommunistische Gedanken pflegte oder früher zu den Kommunisten
gehörte, gehört heute unverändert - wie damals - zu den Guten. Ebenso,
wie der Feind wie damals faschistisch und böse war. Die Bösen in der
liberalen Demokratie sind unverändert wie zu Zeiten des Kommunismus die
Konservativen, die Anti-Kommunisten, die Patrioten (in den Übergängen
zum Nationalismus), und nicht zuletzt - die Katholiken und die
Katholische Kirche. Die westliche Gesellschaft rief zum exakt selben
Kampf "gegen die Reaktion" auf, wie er es aus den untergegangenen
Ostregimen kannte. In einer ganz seltsamen Allianz erklärten sich
also westliche liberale Demokraten und Kommunisten zu den alleine
legitimen Repräsentanten der liberalen Demokratie.
Das alles machte ihn zunehmend stutzig, und er ging der Sache nach. Und kam u. a. in seinem Buch "The Demon in Democracy"
zu verblüffenden Analysen. Die Folge ist logisch: Heute gehört Legutko,
der im früheren Polen glühender Anti-Kommunist, Anti-Totalitarist und
Verfechter von Freiheit und Demokratie (die er im Westen zu finden
meinte) war, zu den "Bösen" ... (Übrigens teilt er diese Enttäuschung
mit erstaunlich breiten, vor allem breiten intellektuellen Kreisen des
gesamten ehemaligen Ostblocks..)
Der Schlüssel zum Verständnis des gesamten ehemaligen Ostblocks
Was
ihn vor allem verstörte war die politische Sprache, die er im
liberal-demokratischen Westen antraf. Er traf nicht auf eine freie
Sprache, sondern auf eine von Notwendigkeiten geprägte, von Geboten
limitierte, geformte Sprache. Der ganze Osten hatte sich zuvor doch nach
Freiheit der Rede, Gedankenfreiheit, Freiheit Verbindungen zu gründen
gesehnt, die er im Westen vermeinte. So war dem Osten die liberale
Demokratie des Westens auch immer erzählt worden - als Gesamtpaket der
Freiheit. Und diesem Wege wollte man im Osten folgen, den wollte man
nachahmen. Auch in Universitätskreisen (Legutko lehrte damals in Krakau)
war man sich weitgehend einig: Man wollte alle gesellschaftlichen
Bereiche dieser Freiheit öffnen, wie man sie im Westen zu sehen meinte,
von den Universitäten, den politischen Institutionen bis zur
Unterhaltungsbranche.
Niemandem in Polen von damals fiel ein
fundamentaler Widerspruch auf: In dem es überall hieß, UM FREI ZU SEIN
HABT IHR DAS UND DAS ZU TUN. Stattdessen sagte man sich auch im Osten:
Ja, jetzt, wo wir frei sind, MÜSSEN wir dies und das tun, müssen wir
alles von jeder Limitierung befreien.
Seine
dritte Enttäuschung, die zu einem Schock wurde, erlebte Legutko als er
entdeckte, in welchem Ausmaß in der liberalen Demokratie "social engineering"
stattfand. Man nannte es zwar nicht so, aber im Effekt war es genau
das. Und neuerlich zeigte es sich in der Sprache. Zwar war es nicht wie
1945, als die Sowjets auf Panzern einmarschierten. Wobei sie auch damals
ja nicht sagten, so, wir töten nun jeden der gegen uns ist.
Sie
sagten vielmehr, daß alle nun in einer komplett neuen Situation leben
würden. Für diese neue Situation brauchen wir auch ein komplett neues
Volk, neue Menschen. Und diese neuen Menschen müssen wir schaffen. Neue
Zeiten brauchen neue Menschen, neue Erziehung auf die neuen Ziele zu,
und ein neues Denken. Ein neues Denken braucht freilich, daß man das
alte Denken verändert und beseitigt.
Nach
1989 traf er nun auf exakt dieselbe (!) Sprache. Auch hier war die
Situation neu, und die liberale Demokratie brauchte einen neuen
Menschen, ein neues Denken. Dazu mußte das vorhandene Denken
umgestaltet, die Menschen neu erzogen werden.
Morgen Teil 2)
290118*