(Aus den bisher ca. 1250 unveröffentlicht gebliebenen Beiträgen im Archiv)
Im Zweifel kann der Mensch Antworten von Bereichen verlangen, die ihm verschlossen bleiben - und zwar kraft seiner Natur. Die Frage stößt immer an eine Grenze. Doch im Gegensatz zur Antwort kann sie sinnlos sein.
Weil unser heutiges Bildungssystem aber Fragen stellt, ja implantiert, die es nicht beantworten kann, ist es zerstörerisch, weil es Zweifel sät, ohne selbst beurteilen zu können, ob dieser Zweifel überhaupt berechtigt ist. Was ja durchaus so gewollt sein kann. Am sichersten zerstört man jemanden, indem man ihn zum Zweifel an seinen Grundlagen bringt.
Die Art, wie die Schizoidität wirkt - eine der häufigsten Erscheinungen, ja die Erscheinung der Lüge im zwischenmenschlichen Umgang, die mit dem unausweichlichen, immer konstituierenden Weg suchenden Hierarchie unter Menschen spielt: indem sie behauptet, was dem anderen über sinnliche Erfahrung nicht ausgesagt würde, bringt sie den Menschen in einen Zwiespalt zwischen Wahrgenommenem und Gedachtem, noch mehr: Gesolltem. Denn das Logische ist immer auch das Gesollte.
Weshalb die Irrationalität zurecht dämonisch genannt wird, weil sie den Ausstieg aus der Urteilskraft des Menschen überhaupt fordert.
Es war für meine Schulzeit (Mitte der 60er bis Ende der 70er Jahre) charakteristisch, daß Fragen gestellt wurden, die von den Lehrern nicht beantwortet werden konnten. Aber - wie ich heute weiß - nicht, weil die Antworten nicht vorhanden waren, sondern sich dem Bewußten einfach noch nicht erschlossen hatten, oder den Fragen so weit überlegen waren, daß sie den Horizont des Fragenden weit überschritten hätten. Und hatten. Meine Lehrer waren somit mit Fragen konfrontiert, die sich auf Gegebenheiten bezogen, die ihnen selbst noch so natürlich und wahr waren, daß sie intellektuell und vor allem verbal nicht dem Zweifel gleichartig auseinandergesetzt werden KONNTEN. Denn dem Bewußtsein erschließt sich immer der "Geruch des Fehlenden", Philosophie ist somit immer eine Art "Leichenfledderei", die vom Tod einer Kultur lebt.
Sohin fehlt ihr immer das Grundlegende, um Leben wirklich zu rekonstruieren. Und sohin sind viele Fragen gar nicht beantwortbar. Aber nicht, weil sie überlegen sind, sondern weil sie auf etwas abzielen, das nur auf andere Art - eben wirklich - zu geben ist. Kaum wo gilt also, die Hoffnung auf die Kraft des Seins - dem, was bleibt - zu schützen.
Das Einzige, was Leben rekonstruieren kann, ist die Kunst. Weil diese auf ein Gesamtbild abzielt und es erneut zu bilden, Gestalt zu geben vermag. Weil Kunst sich nie einfach aus einem Gedanken Kraft holt, sondern das sicherste Zeichen der Transzendenz ist.
Die Kunst reduziert die Fragen auf ihre Stellbarkeiten, indem sie sich aus den Antwortenkategorien erhebt und Welt zur Antwort gibt. Sie stellt die Welt in einer Geschlossenheit und Vollkommenheit dar, die im Gemengelage des faktischen Lebensalltags verloren, weil überlagert, ja untergegangen zu sein scheint. Nicht nur zeigt das ihren Charakter der Muße an, ihre Paradieseshaftigkeit, sondern bringt auch die Frage der Taufe ins Spiel!
Denn zur Vollkommenheit der Welt gehört gerade ihre Verbindung von Natur und Übernatur, ihre Transzendenz ist vom Künstler beantwortbar, in der Darstellung.
Womit die Frage der Liturgie beantwortet ist - als vollkommenstes, größtes Kunstwerk, als allumfassende Abstraktion dessen, was die Welt zur Vollkommenheit führt. Und damit als Verbindung zu Gott selbst: in ihr ist Jesus REAL gegenwärtig, wie versprochen, für alle Zeit. Wäre diese Gegenwart nicht Realität, würde alles Heilsversprechen des Erlösers zum bloßen Fideistischen verkümmern, wäre alles vom Menschen selbst abhängig. Wäre Verlust dieses "Glaubens, der geglaubt werden muß" nicht nur die größte, sondern vor allem die einzige Heilsangst, die auch keine Linderung - im Vertrauen auf das Sein - erführe. Was für Luther ja tatsächlich zutraf. Denn die Frage, was und wie fest man glaube, für wahr halte, ist ebenfalls nicht beantwortbar.
Denn die Wahrheit dessen, was die Welt konstituiert, ist nur rückfolgernd als Scheme erahnbar und verifizierbar bzw. mehr noch: falsifizierbar. Aber keine summarische Antwort einer semantisch rationalistischen Logik.
"Unser Sprechen hat Inhalt!" (George Steiner)
*März 2008*