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Montag, 26. Februar 2018

Die Putin Interviews (Oliver Stone) - 13

(Zusammenfassende Übertragung - Stunde 9)

Widersprüche

Zu Beginn der letzten Stunde der Interviews (soweit veröffentlicht) macht Oliver Stone den russischen Präsidenten Vladimir Putin auf einen Widerspruch aufmerksam: Hat Putin nämlich in allen Gesprächen zuvor Massenüberwachung im Kampf gegen den Terror als ineffizient und sinnlos bezeichnet, hat er 2016 ein Gesetz unterzeichnet, das über Rußland ziemlich dieselben Überwachungsmaßnahmen verhängt, wie Putin den USA vorwarf. Putin sieht das nicht so. Denn die Amerikaner haben eine weltweite Überwachung aufgezogen, samt einer Überwachung der politischen Führungen der Welt. In Rußland braucht es einen Gerichtsbeschluß, um gezielt Überwachungsmaßnahmen für Exekutive oder Geheimdienste zu ermöglichen.  Anders als in den USA und vielen Ländern der Welt (Australien, Kanada, England ...) können diese Einrichtungen Daten von nicht automatisch sammeln.

Diese nun in Rußland eingeführten Maßnahmen sind aber notwendig im Kampf gegen den Terrorismus, meint Putin. Dazu braucht es auch eine längere Zeitspanne, in der die Internetprovider und Telephongesellschaften Daten speichern, damit man im Verdachtsfall darauf zugreifen und Anklagen verdichten kann. Besonders wichtig dabei ist aber auch, daß nun diese Gesellschaften ihre Daten an Geheimdienste usw. nicht von selber herausgeben dürfen. Allein in Syrien sind heute 4.500 ehemalige Sowjetbürger und weitere 5.000 Bürger aus ehemaligen Sowjetrepubliken tätig. Rußland steht unter gewisser Bedrohung, wie die bisher durchgeführten Anschläge beweisen. Nun konnten 45 Terroranschläge verhindert werden. Ein Land muß auch seine eigenen Bürger schützen.

Hardliner in Rußland

An und für sich fühlt Putin sich von Nationalisten und Hardlinern, die eine harte Position Rußlands verlangen, nicht unter Druck gesetzt. Aber er meint, daß manche beträchtlichen Einfluß haben, und auch die Mittel, sich in den Medien Gehör zu verschaffen. Also muß er auch ihre Positionen in seine Überlegungen mit einbeziehen. Das ist aber bei eher liberalen Stimmen nicht anders.

Nebenbei: Putin zeigt Stone einen Raum für Videokonferenzen. Rußland umspannt elf Zeitzonen, von Kaliningrad in Ostpreußen bis an die Grenzen von Alaska, dem östlichsten Punkt der eurasischen Landmasse, östlicher noch als Neuseeland. So können die Gespräche mit den Regionen effizienter gestaltet werden.

Wußte der Leser, daß Saudi-Arabien ein höheres Rüstungsbudget hat als Rußland, das an vierter Stelle der Welt liegt? Putin verweist auf einen Grundsatz: Es kommt weniger auf die Mittel an, als auf die Fähigkeiten damit umzugehen. Das Militär in Rußland ist sehr effizient strukturiert. Für das Land sind die heutigen 2,8% des BIP für Rüstungsausgaben ohnehin mehr als genug. Immerhin mußte das Budget der Vergangenheit auch durch Einsparungen beim Militär saniert werden.

Stone meint, daß er den Eindruck habe, daß die USA massiv darauf hinarbeite, ihre Erstschlagskapazität auszubauen, ja dabei ist, hier einen Durchbruch zu erzielen. (Im Kalten Krieg war die wechselseitige Verhinderung, einen kriegsentscheidenden Erstschlag erfolgreich durchführen zu können, Hauptziel aller Abrüstungs- und Kontrollvereinbarungen. Das war die sicherste Methode, einen Atomkrieg zu verhindern, weil beide Seiten wußten, daß die Reaktion des Gegners in einem Krieg noch intakt blieb, die Kosten für einen Angriff also zu hoch wurden.)

Putin meint hingegen, daß er diesen Durchbruch nicht sehe, aber zweifellos das mit in die Überlegungen einbeziehen müsse. Mittel- und langfristig spielt das in der russischen Sicherheit gewiß eine Rolle. Daß die USA aus dem ABM-Kontrollvertrag ausgestiegen ist und gleichzeitig einen Raketenabwehrschirm in Rumänien (als Beispiel; diese Abwehrraketen können übrigens binnen Stunden auf Angriffstaktik umgerüstet werden) aufgebaut hat, wirkt nicht gerade vertrauensbildend. Natürlich muß Rußland sich überlegen, wie man diese Raketenbasen im Ernstfall überwinden kann und Putin meint, daß man dazu mittlerweile auch die Mittel habe. Rußland ist heute dabei, seine eigenen Raketensysteme zu modernisieren. Dabei sieht Putin den Effekt weniger auf militärischem Gebiet, als auf psychologischem - es beschädigt die Beziehungen zwischen den beiden Großmächten.

Medienkrieg

Stone geht noch einmal auf Syrien ein. Die westlichen Medien haben die russischen Kampferfolge etwa um Aleppo in sehr schlechtes Licht gerückt. Putin weist darauf hin, daß man in den Medien überlegen müsse, was vorrangig sei: Ist der Kampf gegen den Terrorismus nicht sinnvoller, als sich von Terroristen unter Druck setzen zu lassen? Nun ist Aleppo befreit (2017). Es sei nun aber seltsam zu sehen, daß zur Zeit der Kämpfe von den Medien dringend auf humanitäre Hilfe hingewiesen worden war, während nun, wo Aleppo befreit ist, niemand mehr davon spricht. Dabei bräuchte man sie nicht weniger.

Rußlands Position war doch immer klar: Man wollte die legitime Regierung stützen, um ein zweites Libyen oder Somalia zu verhindern. Dabei übersieht man, daß es die Russen waren, die auch den oppositionellen syrischen Kämpfern den Abzug aus Aleppo sogar organisiert haben. Und weil zu erwarten war, daß es nach dem Ende der Kämpfe zu ethnisch-religiösen Säuberungen kommen würde, hat Rußland sogar ein Polizeibataillon (aus dem Nordkaukasus, darunter viele arabischsprechende, sunnitische Tschetschenen) in Aleppo stationiert, das genau das verhindern sollte. Die Bevölkerung hat das sehr begrüßt, ja auf ihr Bitten hin hat Rußland mittlerweile noch ein weiteres Bataillon nach Aleppo entsandt. Putin sieht es als wichtig an zu verhindern, daß sich die verschiedenen religiösen Gruppen in Syrien gegeneinander abschotten. Das würde zu einem Zerfall Syriens führen. Dabei vollführt Rußland sogar einen Spagat zwischen den türkischen Interessen (sunnitisch) und denen des Iran (schiitisch.) Man muß unterscheiden zwischen innersyrischen Spannungen und dem Kampf gegen den IS.

Aber es gibt auch noch andere Interessen: Wie gesagt, es kämpfen in Syrien 9.500 Russen und ehemalige sowjetische Bürger aus asiatischen Staaten. Rußland muß verhindern, daß diese Kämpfer nun nach Rußland "heimkommen".

Zu Erdogan und Türkei

Putin kann nicht bestätigen, daß Erdogan persönlich an die Involvierung der USA in den Staatsstreich 2016 glaubt, zumindest habe der sich ihm gegenüber nie so geäußert. Aber er könnte die Logik dahinter verstehen, denn Gülen - den Erdogan als Drahtzieher sieht - lebte 9 Jahre in Pennsylvania in den USA. Es ist also nur schwer vorstellbar, daß die Geheimdienste der Amerikaner von den Vorgängen nichts wußten. Außerdem ist klar, daß der Luftwaffenstützpunkt von Incirlik eine wichtige Rolle beim versuchten Staatsstreich spielte. Zufällig ist Incirlik aber auch der größte amerikanische Stützpunkt in der Türkei. Das macht Putin etwas Sorgen. Denn immerhin haben die USA Atomsprengköpfe in der Türkei stationiert. Die Frage stellt sich also, was damit im Krisenfall passieren könnte. Immerhin spielte das Militär - das bisher der Garant für einen säkularen Staat war - eine große Rolle, und immerhin war Erdogan nur ganz knapp seiner Ermordung entkommen. Putin will aber nicht die Geschehnisse interpretieren, denn er verweist auf den Grundsatz Rußlands, sich nie in interne Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.

Wie den USA aber noch trauen?

Das betrifft auch die USA. Erneut bestreitet Putin jede Einmischung. Daß er das amerikanische System der Wahlmänner nicht für besonders gut hält, ist ein ganz anderes Problem. Aber er sieht es nicht als seine Angelegenheit. Für Rußland wollte man freilich kein solches System, weil es keine Direktwahl ermöglicht.

Ein interessanter Aspekt: Der US-Raketenschlag (über 600 Raketen waren von Schiffen aus auf syrische strategische Ziele abgeschossen worden, ehe Obama auf Bitten Putins hin diese Angriffe stoppte) hätte dazu führen können, daß Assad im Kampf gegen die IS so geschwächt worden wäre, daß es zur Situation hätte kommen können, daß sich Rußland direkt einschaltet. Manche meinen deshalb, daß die Welt damals am äußersten Rande einer direkten Auseinandersetzung zwischen den USA und Rußland stand. Heute hat Rußland (anders als 2013) Raketenabwehrsysteme stationiert, die eine solche Situation freilich noch brisanter machen könnten.

Ähnlich knapp an einer direkten Auseinandersetzung waren diese Länder, als 2013 der amerikanische mit Tomahawk-Atomraketen bestückte Zerstörer "Donald Cook" ins Schwarze Meer eingefahren war. Nach Aussage von Militärs stand Rußland knapp davor, seine Abwehrraketen zu aktivieren. (Die Situation endete freilich ganz anders, wie wir wissen: Ein russischer Abfangjäger schaffte es, die elektronischen Systeme des Schiffs dermaßen auszuschalten, daß es wehrlos geworden nur noch Rumänien ansteuern konnte. 78 Mann der geschockten Besatzung quittierten dort angeblich auf der Stelle ihren Dienst. Putin sagt im Interview freilich, daß der Kapitän des Schiffs einfach verantwortungsvoll gehandelt und die Mission abgebrochen habe, nachdem ihm klar geworden war, daß er sich bereits im Zielbereich russischer Abwehrraketen befand.)

Es war eine gefährliche Provokation gewesen, meint Putin. Noch einmal stellt er die Frage, wie man den USA vertrauen solle, wenn man die gesamten Ereignisse in der Ukraine betrachtet. Wo der amerikanische Einfluß auf den Staatsstreich gegen Janukowitsch offensichtlich war und Absprachen, die man noch einen Tag zuvor getroffen hatte, zur Makulatur machte? So verhält man sich auch zwischenmenschlich nicht. Aber wieder und wieder verweigern die USA den Dialog, und versuchen Rußland zu provozieren. Putin klingt kampfbereit, wenn er sagt, daß es hier um Rußland und seine Menschen und sein Territorium gehe. Das zu verteidigen sei man bereit, denn man lebe hier. Während die Amerikaner aus 5000 Meilen Entfernung destabilisierende Politik zu machen versuchten.

Der Schlüssel ist Souveränität

Stone rollt noch einmal die Geschichte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf. Die anfänglichen Versuche Gorbatschows hatten Rußland ins Chaos gestürzt. Dennoch war seine Vision von allen westlichen Politikern unterstützt worden. Kein Wunder, denn einen russischen Staat gab es kaum noch. Erst als Putin - zufällig, gewissermaßen - ins Amt kam, riß er das Ruder herum. Er sorgte dafür, daß die Pensionen wieder regelmäßig ausbezahlt wurden und führte Rußlands Wirtschaft allmählich nach oben. Liberale warfen ihm oft vor, er hätte schärfere Liberalisierungsmaßnahmen vornehmen sollen, aber Putin meint, daß dies immer eine Frage des aktuellen Zustands einer Volkswirtschaft und der Gesellschaft sei. Er fand es wichtig, daß man auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, wo immer sie gerade stehen.

Im Jahr 2000 lebten 40% der Russen unterhalb der Armutsgrenze. Soziale Sicherheiten gab es nicht mehr. Die Armee hatte sich fast aufgelöst. In manchen Gebieten spazierte Rußland am Rande der Anarchie, längst nicht überall wurde die Verfassung akzeptiert. Im Kaukasus herrschte Bürgerkrieg, den ausländische Mächte befeuerten und der sich letztlich in Terrorismus verwandelte. Rußland stand damals in einer schwierigen Situation.

Aber die Russen besitzen etwas sehr Wertvolles: Sie lieben ihr Land! Sie leiden mit ihm, sie fühlen mit ihm und sie sind bereit, für ihre Heimat Opfer zu bringen. Und deshalb konnte man es schaffen, diese schwierigen Zeiten zu überwinden. Aber man kann diese Leidensbereitschaft nicht endlos ausnützen. Die Russen sollen ein besseres Leben führen können.

Liberale Ökonomen sagen, daß man mehr liberalisieren hätte müssen. Oder daß es ein Fehler gewesen sei, die Löhne und Pensionen zu erhöhen. Dabei muß man aber doch sehen, daß der Lebensstandard in Rußland immer noch recht bescheiden ist. Aber es wird besser, davon kann man sich überall überzeugen. Weil Rußland versucht, eine vorsichtig gesteuerte wirtschaftliche Entwicklung zu nehmen. Heute hat sich das Einkommen der Russen vervielfacht. Die Inflationsrate beträgt heute etwas über 5%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,4%. Trotz aller Boykotte ist die russische Wirtschaft stabil, sind die Reserven gleich hoch geblieben. Ja, die Boykotte hatten auch etwas Positives, denn so hat man sich in Rußland mehr darum kümmern MÜSSEN, die Inlandsproduktion (etwa bei Lebensmitteln) anzukurbeln. Rußland ist seit Jahren sogar der weltgrößte Weizenexporteur, während man früher Weizen importieren mußte.

Stone erzählt, daß er mit Staunen festgestellt habe, daß in Rußland auch eine große Tradition des Heroismus - auch im Krieg - bestehe und man diese heute sehr in Ehren halte. Putin ergänzt, daß er es für genau so wichtig halte, daß die Bereitschaft, sich Neuem zu stellen, kultiviert werde. Und bietet Stone bei der Verabschiedung scherzhaft an, daß wenn er Probleme wegen des Interview-Films in den USA haben werde (Stone sagt, er habe fast 30 Stunden Material), er wiederkommen könne. Man werde ihm dann sicher helfen.

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Natürlich merkt man, daß Oliver Stone zu Vladimir Putin viel Vertrauen gefaßt hat, und deutlich Sympathie für den Russen empfindet. Und das ist ehrlich gesagt nicht schwer. Putin ist aber nicht einfach sympathisch, sondern seine Sichtweisen offenbaren bemerkenswert viel Reflexion, Vernunft und persönliche Reife. Wobei über alle diese fast 10 Stunden der "Putin Interviews" nicht zu übersehen ist, daß er nie vergißt, daß er Führer eines großen Landes ist und alles, was er sagt, auch eine außenpolitische Dimension hat. Aber das spricht ja eigentlich für ihn.


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Hier nun die Audio-Übertragung der Interviews, die Oliver Stone mit Vladimir Putin im Laufe der Jahre 2015 bis 2017 in Moskau führte. Es sind aber nicht die Originalstimmen, und die Texte sind bereits eine Übertragung von den Oliver Stone-Filmen.









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