Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 15. Februar 2018

Ein offenes Geheimnis

Wie lange diese Dokumentation "An open secret" (hier auf Vimeo recht zuverlässig und kostenlos abzurufen) noch zu sehen sein wird, weiß momentan niemand. Der geneigte Leser sollte sich also beeilen, ihn anzusehen.

Einerseits haben die Macher des Films eine Zeitlimitierung angekündigt, andererseits laufen gewaltige Stürme gegen jede Verbreitung. Denn hier geht es um Hollywood. Aber nicht um die Fabrikation von Träumen, sondern von Albträumen. Der weit über die im Fall Weinstein erstmals wirklich an die Öffentlichkeit gedrungenen Praktiken der "Besetzungs-Couch" hinausgeht. Auch das war und ist ja ein offenes Geheimnis. 

Der Leser sei also auch ein wenig vor dem Film gewarnt. Er könnte schockiert sein. Denn Hollywood war (in gewisser Weise sogar seit den Anfängen) und ist auch ein System der Pädophilie, des systematischen Kindesmißbrauchs mit Querverbindungen bis in höchste, sogar höchste politische Kreise. Es beschränkte sich nicht auf einige Einzelfälle, wie man wohl aus dem "Fall Weinstein" schließen sollte, den man ins Feuer schickte, weil es nicht mehr anders ging. Es war methodisch und systematisch.

Jeder weiß und wußte davon, aber alle schwiegen, daß Hollywood überhaupt die Schwäche vieler junger Menschen, "einmal berühmt" zu werden, mit der Folge, daß sie zu allem - buchstäblich zu allem - bereit waren, um diesen Traum zu erreichen, brutal ausnützte. "An open secret" deckt das auf, mit Namen von Tätern, mit Zeugen und Opfern. Zwar bleibt der Film bei drei konkreten Fällen, zeigt diese aber so genau, daß an ihnen ein Schema erkennbar wird.

Über die Rolle und Verantwortungslosigkeit der Eltern kann man sich seine eigenen Gedanken machen. Alle haben geschwiegen, oder wollten nicht hinsehen. Wo nicht, wo man aufbegehrte, war es ja um eine Karriere im Showgeschäft für die Kinder geschehen. Im Film wird deutlich, daß tatsächlich jeder, der darüber sprach, nie mehr einen Fuß auf den Boden Hollywoods bekam.

Eine sehr spezifische Tragik liegt darin, daß der Schauspieler als Künstler von einem "Ruf" - als Berufung, als Auftrag also - abhängt. Und dieser Ruf muß von Engagement zu Engagement jeweils neu erklingen. Sich nämlich selbst zu vermarkten widerspricht der eigentlichen künstlerischen Sendung (und darin sind die meisten auch sauschlecht, selbst oder gerade wenn sie es dennoch versuchen.) Also bekommt das Verhältnis zu Produzenten, Verantwortlichen, zu allen die für die Besetzung zuständig sind - natürlich auch das zum Publikum - praktisch immer den Charakter eines Verhältnisses, das dem zu Gott sehr ähnlich ist. 

Hinzu kommt die Identitätslosigkeit als Merkmal des Künstlers, die im Schauspiel besonders brutal zuschlägt, weil von der Leistung nichts Greifbares bleibt (auch nicht beim Film, da täusche man sich nicht: Der Schauspieler lebt immer nur in der Aktualität, so wie jeder Mensch, also hier: beim Spielen selbst.) Jeder Künstler, also auch jeder Schauspieler hat also (auf jeweils seine Art, die sein Metier definiert) eine gewisse "Charakterlosigkeit", ist als "Figur in der Welt" quasi beliebig, weil nicht vorhanden. Die bildet sich erst mit der Zeit durch das Tun, durch die Rollen (die für den Schauspieler das Leben selbst sind). Somit ist seine Situation der seelischen Verfaßtheit eines Kindes* (das gilt in beide Richtungen) sehr verwandt. Der Schauspieler ist also ein Kind, das aber erwachsen (weil von Anfang an völlig, und zwar wirklich: völlig, also in allem Menschlichen, gestorben) sein muß.

Wobei das auch wiederum kein "einmaliger Sonderfall" ist, sondern pars pro toto archetypisch für alle Menschen gilt, im Künstler nur eine stärkere, ausschließlichere, fast könnte man sagen: abstraktive Gewichtung erhält. (Darum gibt es den deklarierten "Künstler" erst beim Niedergang einer Kultur. Vorher ist er vom Handwerker nicht zu unterscheiden bzw. nur am Werk zu unterscheiden.) Weil er sein Schaffen erst aus Fremdheit (welche Identitätslosigkeit ja bedeutet) nähren kann. Wenn er nicht das in solchen Kulturphasen zunehmend seltenere Glück hat, in eine Umgebung hineingeboren zu sein und dort zu leben, die quasi "paradiesisch" ist, sodaß er nicht die Sonate (als dramatische Form) wählen muß, sondern die Fuge (als hymnische Form) wählen kann.






*Mit diesem Faktum (dem Festhalten am Kindheitsstadium) wird auch die Homosexualität beschreibbar. Dabei muß man sich von der Vorstellung trennen, daß Homosexualität an sich eine Identität IST.  Der Kindesmißbrauch von Hollywood hat insofern nichts mit Homosexualität zu tun, sondern mit der Folge aus der so verstandenen Identitätsschwäche und -unausgebildetheit, die letztendlich Bösartigkeit ist.






*231217*