Die innere Dynamik des Liberalismus, die ihn in sein Gegenteil umschlagen läßt
Demokratie
enthält doch IN SICH eine Tendenz, jeden Lebensbereich zu erfassen und
zu politisieren. (Das beschreibt schon Jacques Ellul in "Propaganda",
wir haben vor Jahren darüber geschrieben.) Sie tut das mehr als jedes
andere politische System, das uns bekannt ist. Sie hat also in sich
keinerlei Begrenzung, um politische Fragen nicht auch bis in privateste
Angelegenheiten zu tragen. Durch den Liberalismus hat die Demokratie
sogar noch Wirkmechanismen eingebaut, die das weiter verschärfen.
Der
Gedanke des freien Menschen ("liberal") geht in seinem Konzept über den
Menschen ja davon aus, daß jeder Mensch "Privatperson" ist. Der normale
Bürger ist auch fast ausschließlich mit privaten Dingen befaßt - Haus,
Garten, Kinder, Frau, Eigentum, Religion etc. Alle diese Dinge sind
privater Freiheit unterworfen. Und zwar absolut.
Das
ändert sich sofort, wenn der Liberalismus als politische Idee entsteht.
Denn ab da ist er eine alles umfassende politische Meta-Theorie. Der
Liberalismus verlangt, daß dieses Prinzip der individuellen, privaten
Freiheit allen und allem gegenüber zu gelten habe. Er sagt dem
Einzelnen, daß er deshalb die Regeln festlegt, nach denen der Einzelne
seine Ziele zu ordnen habe. Einen Anspruch auf Schutz eines
Rückzugsgebietes (mit eigenen Regelungen) gibt es nicht mehr, zumal der
Freiheit von Autorität (als "Zwang") als Bedingung seiner Auffassung von
Freiheit sieht. Er hat ja auch kein anderes "Gut" mit dem er am
öffentlichen Marktplatz der Ideen konkurrieren könnte - er hat nur die
Verheißung privater Freiheit. Deshalb kann keine private Sphäre mehr
Schutz beanspruchen. Der Liberalismus beansprucht vielmehr - wie jede
politische Theorie - daß es nichts geben darf, was seinen Grundsätzen
totaler Freiheit widersprechen könnte.
Und er tut dies, weil er davon ausgeht,
daß diese totale, allumfassende Freiheit das höchste Gut des Menschen
sei. Der Liberalismus versteht sich also als das freieste, toleranteste,
pluralistischste, offenste System, das allen anderen überlegen ist.
Und auf diese Überzeugung trifft Legutko auch in der gesamten EU. Wenn
man Liberalismus als höchste Form von Freiheit definiert, wenn man
zugleich die Demokratie als die menschengerechteste Form ansieht, ist es
offensichtlich, daß sich das höchste Gut des Menschen in der liberalen
Demokratie versammelt findet. Alles wird damit gut, was die Menschen
noch "freier" macht und sie mit noch mehr "Macht" ausstattet.
Nur
- dieser Anspruch bleibt eine leere Definition (die an und für sich nicht
anders ist als sie jedes System für sich beansprucht.). Die aber im Fall
des Liberalismus ständig mit der Praxis kollidiert. Zumal nicht klar
sein kann, was nun wirklich gegen das Prinzip einer liberalen Demokratie
steht! Das können auch liberale Demokraten nicht definieren. Ja, sie
sagen "Faschismus". Aber was ist Faschismus? Das gilt auch für
"Kommunismus". Beide Systeme (bzw. die Gegner der liberalen Demokratie)
sind deshalb bestenfalls nur über gewisse Phänomene definiert.
Daraus
erwuchs zunehmend das Problem, daß in den liberalen Demokratien in den
letzten Jahrzehnten die Anzahl von nicht definierbaren und definierten
Worten deutlich zunahm und heute den Diskurs bestimmt. Deren Inhalte
schwammig sind und über die deshalb leicht manipuliert werden kann,
indem ihre Zutreffendheit immer mehr der Willkür und politischen
kurzfristigen Interessen unterliegt. Nationalismus, Xenophobie,
Homophobie, Sexismus ... lauter politische Waffen, lauter diffuse
Begriffe, die die liberale Demokratie als Bedrohung bezeichnet. Daraus
entsteht ein ebenso diffuses Stimmungsbild bei den Menschen: Was
verboten ist wächst, und was nicht verboten ist wird immer weniger.
Das
legt einen Vergleich mit der Entwicklung der kommunistischen Systeme
nahe, wo man es so nannte: Der Klassenkampf wird mit der Entwicklung der
kommunistischen Gesellschaft immer intensiver. Je näher man dem
kommunistischen Paradies kam, umso vehementer wurden die Feinde und
desto mehr Menschen wurden ins Gefängnis gesteckt oder exekutiert.
Auch
in der liberalen Demokratie wächst die Überzeugung, daß je näher man
der liberalen Gesellschaft kommt, desto gefährlicher ihre Feinde werden.
Gegen sie muß man Schlachten schlagen.
Die
Auffassung des Kommunismus findet sich also auch in der liberalen
Demokratie: Das Politische muß jeden Lebensbereich durchdringen und
erfassen. Der Unterschied, auf den man sich beruft, ist, daß das eine
System (Kommunismus) schlecht war, während das liberale System gut ist.
Das rechtfertigt jedes Mittel. Es läßt sich also die liberale Demokratie
in ihrer Verfehltheit nur dann erkennen, wenn man sieht, daß die
Politisierung jedes Lebensbereiches AN SICH schlecht ist, weil es die
Lebensführung und -weise totalitarisiert.
Aus
sich heraus hat die liberale Demokratie keine
Beschränkungsmechanismen, die verhindern, daß sie sich auf alles und
jeden zu erstrecken beginnt. Sie haben also keine innere Schranke, die
vor Totalitarismus schützt. Und insofern sind sie mit dem Kommunismus
vergleichbar.
Morgen Teil 4)
*290118*