"Der Mensch ist stets geneigt, sich seines Denkens zu bedienen, um einen Standpunkt neben oder über seinem Existieren zu finden, gleichsam eine Tribüne zu zimmern, von der aus er von nun an seinem eigenen Leben wie dem der anderen überlegen zuschauen könne. Er ist ständig auf der Flucht vor dem Leiden des Existierens.
Diese eigenmächtige Geistestat kann entweder mehr eine Verhaltensweise sein wie etwa die chinesische Ethik oder die Lehre Buddhas oder auch, viel gefährlicher, eine bloße Haltung und Richtung seines Denkens wie die aufgeklärte Wissenschaft.
Die tiefe Wahrheit des Christentums aber ist das Kreuz, das Leiden und Sterben des Gottessohnes. Dadurch ist jedem das große Geheimnis vor Augen gerückt, die unerbittliche Forderung, zu lieben und zu leiden. Den Klugen, die wie Lukrez auf dem Strande des Lebens sitzen, ruft daher Pascal zu: "Abétissez-vous! - Macht Euch dümmer!"
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"Sich einmal wirklich schuldig bekennen, heißt sein ich in die Hände Gottes überliefern. Mit der Absage an die Freiheit des eigenen Willens beginnt der religiöse Sinn zu erwachen.
Man muß der Seele, die Gott eingepflanzt, voll Demut dienen, nicht dem Ich.
Die Bilder der Seele mit Willkür betrachten ist der schmählichste Abfall: es heißt die lebendigen Quellen zu verschütten."
Karl Eugen Gass, Pisaner Tagebuch
*100219*