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Sonntag, 3. Juli 2022

Gedankensplitter (1414)

Ein interessanter Gedanke, der da in einer Diskussion fiel: Die amerikanische Verfassung garantiert jedem Bürger das Recht auf die eigene Waffe. Das hat übrigens mit dem Willen der Gründergeneration des 18 Jhd. zu tun, sich und sein Land zu verteidige, die ersten Armeen Washingtons waren zivile Bürger, die zur Waffe griffen, und deshabl wurde es ein für alle mal festgeschrieben.

Was aber gemeiniglich übersehen wird ist, daß mit diesem Recht des Bürgers, sich zu bewaffnen um sich (und damit sein Land) zu verteidigen, die Polizei als Ordnungsmacht auch die Vollmacht hat, auf jeden, der eine Waffe trägt, im Verdachtsfall zu schießen.

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Recht ähnlich verhält es sich bei asymetrischen Kriegen. Das heißt, daß eine angreifende offizielle, staatliche Armee - Uniformen, Rangabzeichen usw. sind ja kultivierende Aspekte des Krieges, sie machen ihn also menschlicher (da soll nichts relativiert oder in Anführungszeichen gesetzt werden, wenn Krieg, dann nur kultiviert, samt unterschiedlicher Rechtsprechung) - von jedem, der sich "verdächtig" verhält, auch annehmen muß, daß er eine Gefahr darstellt, also gewillt ist, die Waffe gegen den staatlichen Feind zu verwenden. 

Kündigt nun ein Staatsoberhaupt an, daß die Bevölkerung sich als Guerilla verhalten und den Angreifer attackieren wird, so muß dieer damit rechnen, daß fortan jeder Bürger auch ein Feind im Felde ist. Das öffnet der rohen Gewalt Tür und Tor, udn zwar auf beiden Seiten, und ist die direkteste Möglichkeit, den Krieg jeder Kultiviertheit zu berauben. Die Zahl der Opfer muß folglich deutlich steigen, und die Dimension der privaten Tragpdie mit ihr. 

Vor einigen Tagen hat die Ukraine, die von Beginn des russischen Angriffs an mit dem asymetischen Krieg geantwortet hat, die Zahl der zivilen Opfer der Kampfhandlungen bekanntgegeben. Sie liegt bei etwas über 5.000

Das erscheint mir ausnehmend wenig, und bestätigt den zwischen allen Medienzeilen Eindruck, daß sich die Russen lieber als "schwche Armee" lächerlich machen lassen als leichtfertig den Vorsatz, so wenig zivile Personenschäden wie möglich anzurichten, auzugeben. 

Das am vorletzten Sonntag von einer russischen Rakete getroffene und ziemlich zerstörte Einkaufszentrum hat etwa zehn Tote hinterlassen. Die Antwort der Russen auf den Vorwurf, das sei barbarisch, ist interessant und läßt viel schließen: Man habe darauf geachtet, das Einkaufszentrum AN EINEM SONNTAG zu beschießen, weil dann keine Menschen dort sein würden. Das Gebäude aber sei als allfälliger Verteidigungsstützpunkt der Ukrainischen Armee von strategischer Bedeutung gewesen.

Nun, in jedem Fall scheint mir die russische Seite eher von Gedanken bewegt zu sein, auch nach diesem Krieg mit den Mesnchen der Territorien, die man nun angreift, gut zusammenleben zu wollen. Umgekehrt scheint die Ukrainische Armee keine Absicht zu hegen, die gegen Rußland versucht zu verteidigenden Gebiete so zu verteidigen, daß die Bevöklerung nach dem Krieg noch ihr Freund sein wollte. 

Man wirft den Russen vor - und welcher Verteidiger täte das nicht - die Infrastruktur der Ukraine zerstören zu wollen. Nun, nach meinen Eindrücken aus dem Verfolgen der Kampfhandlungen über Youtube-Kanäle ukrainischer Patrioten scheint die Sche recht beidseitig zu sein,w obei KEIN Angreifer Interesse daran hat, Infrastruktur zu zerstören, die er selber doch dringender braucht als der Verteidiger. Und dem Ukrainischen Kommentator der Lageberichte nach war es die Ukrainische Armee selber, die zahlreiche Brücken und Gebäude zerstört hat, um den Vormarsch der Russen zu verlangsamen. 

Als die USA den Irak angriffen - 1990 wie 2002 verliefen ähnlich, beim ersten mal sogar noch deutlicher im Sinne der Erzählung hier - haben ihre Kommandanten Kapitulationsersuchen gegnerischer Armeeführer strikt abgelehnt, und sogar gegen hunderttausende irakische Sodlaten, die sich in heilloser Flucht und chaotischer Rückwärtsbewegung befanden, noch Bombardements eingesetzt. 

Die Zahl der zivilen Opfer im Irak beläuft sich auf geschätzte (UN!) EINE MILLION, die meisten davon Kinder und Alte und Kranke, denn die USA haben auch sämtliche Medikamentenlieferungen boykottiert.

Niemals können die Amerikaner vorgehabt haben, später (oder über Vertreter) mit den irakischen Menschen auch zusammenleben zu wollen. Der Haß auf die USA ist entsprechend hart fundiert. Eigentlich also muß man sich fragen, was sie überhaupt dort wollten.

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Mir ist aber auch aufgefallen, daß sich der Sprachgebrauch des Ukrainers seit ein, zwei Wochen ziemlich geändert hat. Er erzählt nun nicht mehr so offen, WER die Brücken, Bahnanlagen, Fabriken usw. zerstört hat. Schon gar nicht mehr erwähnt er das im Rahmen eines Lobes der Verteidigungsleistung der Ukrainer wie noch vor ein paar Wochen.  

Aber er braucht sich nicht zu mühen. Wir wissen, daß es immer der Angreifer ist, der zivile Infrastruktur möglichst schont weil deutlich mehr notwendig hat, als ein Verteidiger. Und die Zeiten, wo der Sold von Soldaten durch das Recht auf Plünderung "bezahlt" wurde, sind doch schon einige Jahrhunderte vorbei. 

Heute geht das höchstens über Besatzungsentgelte, wie die Deutschen von Frankreich eingehoben haben, nachdem die Beschlagnahmen französischer Vermögen verblüffend wenig in die Reichskassen spülten, wie Adam Tooze in "Ökonomie der Zerstörung" schreibt. Einmal, weil die deutsche Rüstung dringend die französischen Kapazitäten gebraucht hätte, was sich allerdings als nächste Fehlkalkulation herausstellte (die Produktivität der französischen, eigentlichhoch entwickelten Rüstungsindustrie fiel auf nicht einmal ein Zehntel des Vorkriegswertes), und dann, weil man auch Zivilgüter exportieren wollte. Das ging nur, wenn der Geschlagene auch wirtschaftlich halbwegs intakt blieb. 

Dann aber auch, weil man Kompensationen dafür suchte, daß es nun an Deutschland war, sogar Lebensmittel nach Frankreich liefern zu müssen, weil dessen frühere Importquellen versiegt waren, aber die Bevölkerung so irgendwie ernährt und vital gehalten werden mußte. Kurz: Die Besetzung von Feindesland als Anwesenheit "in unbefriedetem Zustand" war immer schon ein schlechtes Geschäft gewesen, wo die Kosten des Siegers die durch Raub hereingebrachten Gewinne meist überstiegen haben. 

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Als die Tartaren Ungarn im 13. Jhd. überfielen, mußten sie nach einigen Jahrzehnten Plünderung das Land für immer verlassen. Sie konnten nicht einmal mehr durchziehen, um weiter westlich zu gehen, denn das hätte geheßen, 800 km Versorgungslinie zu überwinden. 

Es war aber schlicht nichts mehr zu holen, und die angestammte Bevölkerung auf 10 Prozent von zuvor reduziert. Das bedeutet geschätzt eineinhalb wenn nicht zwei Millionen Tote. So läßt sich kein so großes Land mehr betreiben. Der ungarische König mußte deshalb rasch den deutschen Kaiser bitten, aus allen seinen Ländern Bürger ins Land zu schicken. Vor allem Schwaben, Franken, Bayern und Sachsen kamen, die dann recht rasch wieder Wohlstand aufbauten. 

Nur wenig besser war es unter den Türken. Noch heute gilt (unter Geschichtsphilosophen) der Merksatz, daß sich noch kein Land, das jemals von islamischen Mächten längere Zeit besetzt gehalten und dann wieder verlassen worden war, jemals wieder erholt hat. Siehe? Griechenland. Oder einige Läönder des Balkan. Islamische Herrscher haben ihre Vasallen immer so schwach wie möglich gehalten. Da ist nicht einmal Spanien als "Al Andalus" eine Ausnahme.

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Und die Ukrainer haben genug zerstört, nur so können sie ja verlangsamen. Vor allem, weil sie zivile Gebäude und ganze Ortschaften sogar als militärische Verteidigungsstellungen benützt haben, wie die Aso-Fabriken in Mariupol (kosakische Gründg. aus dem 18. Jhd., aber ehedem Zentrum für die von der antiken Besiedelung der Griechen her anwesenden, sogenannten Pontos-Griechen rund ums Schwarze Meer)-dt. Marienstadt (Stahl) oder in Severodonezk-dt. Nord-Donezk (Chemie).

Die Frage müßte ernsthaft erörtert werde, ob und wann es ethisch zulässig ist, wenn eine Regierung die Volksverteidigung ausruft. Weil dann auf jeden Fall die zivilen Schäden grenzenlos sein werden. Es im Fall der Ukraine zum "Heldenkampf eines Volkes" zu stilisieren ist aber in seiner medientaugich inszenierten Romantik ziemlich zynisch, wenn nicht menschenverachtend. 

Als die Spanier 1806 gegen Napoleon auf die Idee kamen, ihr Land (immerhin aber noch mit dem englischen Expeditionskorps unter Wellington im Hintergrund) in der Guerilla zu verteidigen, standen sich etwa gleiche Waffen, nur unterschiedliche Taktiken gegenüber. Selbst die Partisanen in Jugoslawien oder in der Ukraine (!) bei den deutschen Angriffen 1941ff. waren sogar noch irgendwie gleich bewaffnet.

Davon kann heute ganz sicher keine Rede mehr sein. Nicht einmal jene Sitte unter kultivierten Völkern, die ohnehin bereits nach 1945 (vor allem zu Lasten der Bösen) schwerstens aufgeweicht worden war (und die nur jeweilige spezielle Interessen an einer noch schärferen Anendung gehindert haben), dürfte heute noch jemand im Sinn haben, dergemäß in jeweiligen Friedensverträgen, die Kriege zu beenden haben (nur das ist dann kultiviert), immer auch Passagen eingearbeitet wurden, in denen beide Seiten der je anderen Kriegsverbrechen verziehen oder zumindest der Verfolgung der jeweiligen Staatsmacht überlassen, deren Bürger sie waren. 

Was in der Regel in einer Generalamnestie endete. Denn die Unterscheidung zwischen einer Feindestötung, die gerechtfertigt ist, und einer, die nicht nnötig gewesen wäre, ist im Kampfesfall gewiß nicht leicht. 

Samt überzogenen, unüberlegten, hitzigen Reaktionen und Emotionen (allen voran: Die Angst), die zu Taten führen, die niemand unter normalen Umständen begehen würde. Denn es sind immer die Gesamtumstände, die eine Handlugn ethisch letztendlich legitimieren. Und Krieg gerät sehr rasch zu einer Sinngrundlage, in der jeweilige individuelle Charakterschwächen zu einer Situation völlig unangemessenen Handlungen verführen. (Man denke an das Machtgefühl, das eine Waffe in der Hand verleiht, das dann,n tritt man einem Bewohner eines Feindeslanes gegenüber, ganz andere Gefühle zu kompensierten in der Lage ist.)

Aber ohne Verzeihen (und das heißt auch ohne Anerkennung des neuen Status Quo), ohne Amnestie kann nie wieder Friede werden. Wie wollen die ehemaligen Kontrahenden jemals wieder nebeneinander leben, miteinander fairen Handel treiben, und so weiter? 

Was also soll damit bewirkt werden, wenn schon wenige Tage nach dem russischen Angriff der Sprachgebrauch in ganz Europa auf "Verbrecher" und "Verbrechen" umschlug? Eine Ansage "für die Ewigkeit"? Ein Miteinander nur noch nach Auslöschung des heutigen Gegners, der durch einen anderen zu ersetzen sein wird? So kann (zumindest mittelfristig) niemals Friede werden.

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Man stelle sich zum Vergleich dazu eine andere Zahl vor: Seit 2014 haben ukrainische Kämpfer (offizielle Armee oder inoffizielle "Freiheitskämpfer" ist unwichtig) in der Bevölkerung der abgefallenen Provinzen Lugansk und Donezk durch ungemessene, nie "offizielle" Angriffe auf zivile Einrichtungen 14.000 Tote bewirkt. Zahlen von Verwundeten (in Kriegen meist das Vielfache der Toten) liegen mir nicht vor. 

Auf jeden Fall war es von einem Asow-Sprecher erklärte Absicht der ukrainischen Kräfte, die Bevölkerung der Abtrünnigen zu bestrafen, und deshalb zu terrorisieren. Das blühe ihnen allen, wenn sie nicht in den Schooß von Mutter Ukraine zurückkehrten, meinte der Mann in einerm Videointerview.

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Alleine mit Schußwaffen werden in den USA jedes Jahr und offiziell gemeldet über 20.000 Menschen getötet, und über 40.000 verletzt. Tendenz stark steigend. An einem "guten Wochenende" gibt es alleine in Chicago 90 Tote. Ein Land im Dauerkrieg. Vielleicht haben die USA deshalb nie einen Krieg offiziell "erklärt", den sie dann begonnen haben - sie waren noch nie im Frieden.

Apropos Chicago. In den 1920er Jahren war Chicago die größte ukrainische Stadt außerhalb Rußlands. Nahezu 300.000 Zuwanderer aus der Ukraine hatten sich damals dort angesiedelt. Upton Sinclair läßt die privaten Szenen in "Der Dschungel" in diesem Milieu spielen.