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Donnerstag, 7. Juli 2022

Reposte - Spiel ersetzt Realität

Die Implikationen dieser naturkundlichen Tatsache sind so immens, daß wir erinnerlich bereits zum dritten mal darüber schreiben. Denn was heißt das? Es heißt, daß sich Fähigkeiten ZUERST im Inneren bilden, zumindest: das Könne, und zwar als eine zuerst geistig- oder psycho(!)forme, auf jeden Fall dem physischen Apparat VORAUSGEHENDE Weise als Gestalt bilden, um dann durch die Muskulatur, Sehnen etc. bei Notwendigkeit abgerufen zu werden. 

Wir stellen solche in uns angelegten Fähigkeiten ja auch im Alltag fest. Wer hat noch nie erlebt, daß er einen Bewegungsablauf (auch im Rahmen eines Organisationsablaufs, der über mehrere Stationen geht) im Geiste gut durchgehen kann. 

Man denke etwa an Slalom-Ski-Fahrer oder Formel 1-Rennfahrer, wie man sie in Fernsehbildern sieht, wo sie den gleich zu absolvierenden Kurs mit geschlossenen Augen durchgehen, alle Bewegungsabläufe vorstellend durchspielen, usw. Um dann unter zeitlich knappen Bedingungen, unter denen nicht jeder Schritt noch einmal durchgedacht werden kann, diesen Durchlauf in immenser Präzision und Schnelligkeit vornehmen zu können. 

Diese Fähigkeit hat mir in früheren Zeiten sogar den Vorwurf eingebracht, ich würde "hudeln", also hektisch agieren. Weit gefehlt - vielmehr ist es mir seit je und bis heute (im Gebet!) ein Anliegen gewesen, morgens allfällig herantretende Tagesprobleme sehr gut voraus zu denken, um sie dann "wie im Schlaf" in extrem kurzer Zeit abspulen zu können. Sodaß auch Tagespensen möglich wurden, die eigentlich unmöglich sind. 

Auch beim Schreiben geht es häufig nicht wenig anders zu, wo sich eine halbbewußte-bewußte Sprachbewegung bildet, eine innere Spannung, die dann bei Gelegenheit oft immense Textmengen in perplexer Präzision aufs Papier fließen lassen. Und der Leser kennt solche Vorgänge gewiß noch aus unzähliger Eigenerfahrung.

Was Protmann aber noch weitertreibt findet auch seine Anwendung auf alle Bereiche, in denen lebende Wesen durch äußere Umstände eingesperrt, behindert etc. sind. Selbst dann bilden sich innere Bewegungs- und Ablaufmuster, din denen das Lebewesen "etwas kann" was es nie vorher gesehen, gehört oder das es nie nachgeahmt haben kann. Sondern das aus reinen inneren Spannungsverhältnissen besteht, die dann auf Anlaß ("trigger") losschießen, als wären sie immer gekannt. 

Bei Menschen ist es freilich wichtig, daß man diese (nur scheinbare) Spontanäußerung höchst behutsam dann annimmt, sobald sie das Tageslicht erblicken. Erfolgt hier keine entsprechende "Bergung" kann es leicht passieren, daß diese Fähigkeit mit einem Schlag wieder verschwindet. Ich habe bei meinen Kindern erlebt, daß sie ohne es je probiert zu haben, sofort in voller Sicherheit Stiegen steigen konnten, oder kaum, daß die ersten Schlittschueh angeschnallt waren, aufs Eis stiegen, und ... FUHREN. 

Aber ich habe auch gesehen, daß eine kleine Unachtsamkeit diese gespenstische Fähigkeit sofort wieder verschwinden läßt, und plötzlich muß das Kind es "lernen" wie andere, stakt unsicher herum, obwohl es das schon "konnte". 

Dazu genügt manchmal sogar die bloße Bewußtwerdung, das heißt die oft gugemeinte, aber dumme Reaktion, etwas vor das bewußte Urteilen zu stellen, das plötzlich ganz anderen Entscheidungsbedingungen unterliegt und --- nun auch genau so unsichere udn langsame, schrittweise, zerhackte Prozesse durchläuft, wie so vieles andere beim Menschen. Der eben nicht schaut, sodaß Wort und Tat dasselbe und zeitlos würden, sondern das Nicht-Geschaute analysieren, beurteilen und bewußt wollen und nach logischen Gesichtspunkten neu zusammensetzen muß.

Und ich habe erlebt, wie bestimmte traumatische Erlebnisse (wie Mobbing) Fähigkeiten zerstören kann, an denen niemand zuvor gezweifelt hätte. Um zuletzt noch darauf hinzuweisen, daß BILDUNG über weite Strecken ebenfalls nichts anders heißt - als im Grunde mögliche, angelegte Abläufe parat zu machen Woraufhin sich unter ganz anderen Bedingungen Formen und Gestalten abrufen lassen, an die man niemals gedacht hätte. Der Gehalt etwa guter Gedichte ist weit höher als irgendwelche Inhalte verraten würden. Sie sind geistige Formen kaum abschätzbarer Art, die dem Kenner fortan zur Verfügung stehen. (Man erkennt übrigens Sprecher, die die klassischen Gedichte noch kannten oder kennen. Es ist, als hätte ihre ganze Sprache eine ganz andere Ausgewogenheit und Harmonie als "wild" herangewachsene Sprecher.)

Sehen wir in Portmanns Beobachtungen also auch einen Verweis auf eine Situation, die voller Zustimmung war - und das ist die "Natur" zweifellos. Hier hat die kritische Sicht des Menschen seine Berechtigung. Denn er bringt oft genug Zweifel und Haß und vor allem Neid in eine Welt, die ohne ihn voller Zustimmung und großmütig akzeptierter Angemessenheit von allem zu allem war. Sehen wir die Welt wie sie vielleicht als "gedacht" vorstellbar war, als "wie sie eigentlich hätte sien sollen, aber nicht ist" - als freudvolles Spiel.

Adolf Portmann berichtet in "Das Spiel als gestaltete Zeit" über ein Experiment, das er in den 1930er Jahren auf seinem Institut in Basel gemacht hat, und mit welchem er die utilitaristische Auswirkung des Spielens - im konkreten Fall: aus Ausbildung von Muskeln und des Nervenapparats bzw. der Neuronen/Synapsen im Gehirn - in Frage stellt:

Dort hatte er Stare aufgezogen, denen durch sehr enge Wolljäckchen die Übung der Flugmuskulatur bis zum Tag der normalen Flugfähigkeit völlig verwehrt war. Das, so Portmann, bedeutete keinen schädigenden Zwang für die Jungvögel: sie hatten eine sehr lebendige, bewegte Kindheit. Aber seine Frage war eindeutig beantwortet: die erste Flugbewegung sowohl wie die Reifung der Muskelgewebe erfolgten trotz der Beschränkung völlig normal, eine Tatsache, die auch an anderen Nesthockerjungen nachgeprüft werden konnte.

Sinngemäßes läßt sich, so Portmann, für das Singen der Vögel aussagen, auch wenn sie völlig isoliert aufgewachsen sind.



Reposting vom *280510*