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Samstag, 2. Mai 2020

Es ist eine Kunst, Mediziner zu werden

Das Smartphone ist dazu da, den Moment zu dokumentieren, den man gerade verpaßt. 
Das ist nur einer der zahlreichen Aussprüche, mit denen Eckart von Hirschhausen seinem Vortrag "Warum Worte Medizin sind - und die Klimakrise ein medizinischer Notfall" an der Uni Bonn punktuelle Höhepunkte gibt, und denen die erste Dreiviertelstunde gehört. Weil man alles Übrige im Nachwehen dieses Wehens von Weisheit, die immer ein poetisches, transzendentes Moment hat, mit sich bringt.

Der Mediziner wendet sich zwar an angehende Mediziner, denen seiner Meinung nach ohnehin ein Hinausgrasen aus ihrem Fachbereich mehr als gut täte, aber was er sagt, ist für jeden interessant. Zumal der Vortragende es auf so launige Weise tut, daß man von der ersten bis zur letzten Minute dieser Dreiviertelstunde gerne zuhört. Auch der Laie, ja gerade der - Mediziner, steigt von Eurem hohen Roß, fordert Hirschhausen einmal - hört gerne, wenn ein Mediziner von Medizinern das fordert, was man selber aus Erfahrung so notwendig fände, und dessen Abwesenheit man so oft beklagt: Medizin ist eine Kunst! Nicht nur eine Wissenschaft. Mit einem Hauptprinzip, das dem Buch "The House of God" entnommen ist:
The Art of medicine is to do as much nothing as possible.
Die Versuchung für den Arzt heute, so viel wie möglich zu machen, ist groß. Zu wenig wird aber die Frage gestellt, ob eine Untersuchung überhaupt etwas an der Behandlung ändern könnte. Das alles in einem System, in dem täglich (in Deutschland) eine Milliarde Euro darauf wartet verteilt zu werden, meist unter- oder überversorgt.

Der Umgang mit dem Patienten ist in höchstem Maß von der Sprache abhängig. Somit ist der sprachliche Umgang das Entscheidende am Arzt sein. Denn das Arztsein ist die Praxis zu lernen, so wenig wie möglich zu tun, um so viel wie möglich zu erreichen.
Eigentlich bin ich ganz anders, doch ich komme so selten dazu.
Die Medizin macht heute den Fehler, die Ursachen für Gesundheitsprobleme alleine beim Individuum zu suchen. Sie übersieht, daß jeder Mensch in ein Insgesamt eingebunden ist, mit dem er interagiert und in Abhängigkeiten unterschiedlichster Art befindet. Und diese Lebensumstände haben sich in den letzten Jahrzehnten als Ganzes verändert.
Medizin ist die Kunst, dem Patienten die Zeit zu vertreiben die der Körper braucht, um gesund zu werden. Eine Kunst muß von einem Meister an einen Schüler weitergegeben werden. Sie entsteht nämlich aus der Imitation. Deshalb ist die Rolle eines Vorbildes so wichtig.
Wer heute etwa auf eine Tankstelle geht, auf der es früher nur Benzin gab, wird umgeben von einem Warenangebot, das damals undenkbar gewesen wäre. Also reagieren auch die Menschen anders, die so eine Tankstelle aufsuchen. Sie haben es mit einer anderen Welt zu tun. Trotzdem wird heute noch so getan, als sei Fettleibigkeit ein individuelles Problem, das auch nur individuell zu lösen sei. Das ist Unsinn. Viele natürlich immer individuellen gesundheitliche Probleme hängen mit der Änderung der gesamten Lebensumstände zusammen, in denen wir stehen. Daß der heutige Mensch deshalb weniger widerstandsfähig gegen Versuchungen ist als früher, also willensschwächer ist, und deshalb leichter fettleibig wird, stimmt so nicht. 
Die Antwort eines Nobelpreisträgers auf die Frage, wie man Nobelpreisträger würde: Die meisten meiner Mitschüler wurden, wenn sie von der Schule nach Hause kamen, gefragt: Was hast Du heute gelernt? Ich wurde gefragt: Was hast Du heute für eine Frage gestellt?
Oft liegen die heilsamen (oder krankmachenden) Dinge sogar außerhalb der Medizin. Ob wir viel oder wenig Zucker essen hängt zum Beispiel mit dessen Preis zusammen. Der (siehe Benzin oder Tabak) über Steuern regulierbar ist.
In der ersten Lebenshälfte hat man die Gesundheit, jenes Geld zu verdienen, das man in der zweiten ausgibt, um die Gesundheit zurück zu erhalten.
Der Placebo-Effekt, sagt Hirschhausen, ist kein unerwünschtes Verhalten, sondern die Aktivierung der Selbstheilungskräfte beim Patienten. Deshalb hält er wenig von Studien, die darauf beharren. Seiner Ansicht nach braucht jedes Medikament auch die "Magie" rund um ein verabreichtes Medikament, chemische Wirkung hin oder her: Der Patient muß dem Arzt vertrauen, und die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist die Grundlage jeder Heilung. Die Handlung, die heilen sollende Therapie ist kein bloß mechanisches Geschehen, sondern muß von Vertrauen begleitet sein, daß dadurch etwas besser wird.
Was läßt einen Menschen auch verzweifeltste Situationen überstehen? Viktor Frankl meinte dazu: Es ist die Sinnhaftigkeit, es ist die Gemeinschaft, und es ist der Humor.
Anderseits wehren sich die meisten Ärzte gegen die Auswirkungen der Internet-Informiertheit. Statt sie zu lenken, etwa vertrauenswürdige Webseiten zu nennen. Es ist eine Tatsache, daß der Patient, wenn er genau weiß, was an Befunden und Daten von ihm vorliegt, und was drinsteht, viel vertrauensbereiter und therapietreuer ist. Fünfzig Prozent der verordneten Medikamente werden nicht einmal genommen, das heißt, daß zwanzig Milliarden Euro pro Jahr verschwendet werden. Transparenz wird also sehr geschätzt. Ganz anders als von Ärzten, die es immer noch lieben, eine Geheimloge aus ihrem Beruf zu machen.
Die elektronischen Medien haben bewirkt, daß wir nie mehr dort sind, wo wir gerade sind.
Speziell beim Schmerz kommt es darauf an. Es ist sehr erheblich, unter welchen Umständen ein schmerzstillendes Medikament verabreicht wird, und ob und wie der Patient Schmerz überhaupt fühlt. Nicht zufällig wurde der Placebo-Effekt im Zweiten Weltkrieg bei einer Lazarettschwester entdeckt, die kein Medikament mehr hatte, dennoch dem Patienten eine Spritze mit dem Hinweis verabreichte, es werde ihm gleich besser gehen. Und ... es ging ihm gleich besser.
Ein Freund ist einer, der dich mag, obwohl er dich kennt. Jemand, der die Melodie in deinem Herzen kennt und dich erinnert, wenn du sie vergessen hast.
Doch die Hauptmotivation eines Studenten, der Arzt werden möchte, die Empathie, wird Studien gemäß während des Studiums dramatisch verloren. Wir leben außerdem in einem System, das von Leuten betrieben wird, den Ärzten, die selber nicht in der Lage sind, sich gesund zu erhalten. Die dritthäufigste Todesursache in Deutschland sind Behandlungsfehler und -folgen.

Die Medizin schreit nach jener Empathie, die mit den "objektivierten" Behandlungsformen verloren ging. Was mit der Einführung des Stethoskops begann, also vor zweihundert Jahren. Zuvor legte der Arzt das Ohr an die Brust des Patienten, plötzlich war da eine körperliche Distanz beim Hören. Das dann Gehörte entspricht aber nicht mehr dem zuvor Gehörten.
Der Mediziner schuldet dem Patienten Präsenz! So wie die erste Aufgabe jedes Menschen ist, der Welt seine Präsenz zu schenken. 
Soweit, so gut. Bis etwa dreiviertel Stunden ist der Vortrag gefällig, ja klug. Und die Naivität von Hirschhausen paßt hervorragend zu seinem Aufruf zur Menschlichkeit bei Medizinern.

Was aber dann folgt - aufgehängt auf den Aufruf an die Mediziner, politisch zu werden! - zeigt, daß diese Naivität echt ist. Und zwar so echt, daß sie zur Dummheit größte Nähe hat. Da erzählt Hirschhausen nämlich vom Klima, und von der Gefahr, die der Erde droht. Und er begibt sich darin - wörtlich! - auf das Niveau der Marionette Rizo, dieser Handpuppe der grundsätzlichen Ideologieblase der Gegenwart, die besser als Zugang zur Welt definiert ist, der auf jedes einzelne Sachproblem anzuwenden ist.

Ob das nun Klima oder Corona-Virus heißt - die Antworten sind strukturell gleich, sie werden nur jeweils mit anderen Inhalten gefüllt. Woran man den Charakter einer Religion erkennt. Nicht einfach einer Weltanschauung, der man ja noch den Anspruch auf Vernunft, ja die Zielsetzung der Vernunft (aus Erkenntnis, daß die Ratio für die Welterfassung nicht ausreicht, also das Transzendente braucht (Religion ist also denknotwendig), zuerkennen kann.
Ab da werden Argumente durch Schlagworte ersetzt, Denken durch Missionieren, sprechen durch behaupten.
Das färbt retrospektiv ab. Nach 45 Minuten zeigt sich mit einem Mal Hirschhausens Menschlichkeit, der man bislang so manche "Nähe" noch als "überschießende, leidenschaftliche Menschlichkeit" eines Mediziners abgenommen hat, die durchaus aus einer Weltanschauung stammt, ja stammen muß, als jene Haltung zur Sentimentalität, also zur Unechtheit, zur Simulation, zur Selbstvergewisserung der eigenen Gutheit im Sein durch die Vergewisserung, daß dieses und jenes Gefühl DA ist - "präsent" - die genau dieser Klimabewegung als Spielhebel, mit der die Massen bewegt werden, benutzt. Ab da ist jede Minute mehr reine Zeitverschwendung. Wie Sprechpuppen wiederholen solche Klimabewegten dann die immer gleichen Aussagen, die praktisch nie über das Niveau von sentimentalen Sprechblasen hinauskommen. Und alles andere sind, als Hirschhausen zuvor einfordert: Evidenzen. Fakten.

Denn was Hirschhausen eben genau nicht bei seinen Patienten macht, wo es ihm nie einfallen würde, bei Herrn X und Frau Y von DER Gesundheit zu sprechen, die "Deutschland habe", tut er dann beim Klima. Diese Ideologie wirkt, man sieht es hier ganz deutlich, eben über die Gesamtheit, die mit wissenschaftlichen Daten rein gar nichts zu tun hat. In die sich die solcherart Bewegten freilich insofern vertiefen, als sie sich in Details verlieren, ohne diese wirklich sachlich und vernunftgemäß einordnen zu können. Mit nichts läßt sich eben besser lügen als mit Details. Denn die Lüge ist eine Frage des Gesamthorizonts. 




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