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Dienstag, 26. Mai 2020

Man muß Barbar sein, um zu denken (2)

Teil 2) Warum Bürger zu sein bedeutet, Sklave zu sein


Nun, in der Neuzeit kam es bei uns, also in den von den Habsburgern beherrschten Ländern, unter (in den Augen des VdZ völlig zu Unrecht) so hochgelobten Frau Kaiser (denn Kaiser war immer noch ihr Mann, der Herzog von Lothringen - DER wurde gewählt, DER wurde in Frankfurt zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt) Maria Theresia zu einer Rechtsreform. Das war in den 1760er, 1770er Jahren. 

Wo mit einem Schlag und per kaiserlicher Verordnung jedes der zahlreichen, historisch gewachsenen, mit dem in einer Region lebenden Volk und seiner Ordnung und Struktur (die sich trotz des hohen Anteils an Zuwanderungsbevölkerung über Jahrhunderte mal mehr, mal weniger gebildet hatte) verwurzelten, regionalen Rechte außer Kraft traten und durch EIN Rechtskonstrukt ersetzt wurden. Über die fatalen Folgen (und noch mehr langfristigen Folgen) für die natürlichen sozialen Ordnungen ließen sich nächste Traktate ausarbeiten.

Damit aber war der römische Rechtsgrundsatz durchgesetzt, der da heißt: Gleichheit. Gleichheit aber (nun sind wir wieder zurück im alten Rom) ist aber eine Eigenschaft, die nur Sklaven eigen ist. Nur Sklaven können und dürfen nicht "für sich" denken, sondern ihr Denkergebnis steht im Wesentlichen bereits im Vorhinein fest. 
Es gibt nur die eine Wahl: Wollen wir gleich sein und nicht denken, oder wollen wir frei sein und denken
Was bedeutet das? Es bedeutet, daß wir ohne es näher zu bemerken in einem Zustand der Versklavung leben! Und zwar deshalb, weil wir Bürger sind und sein wollen. Somit die Ruhe dem wirklichen Denken und seinen nicht immer vorhersagbaren Ergebnissen vorziehen. Seien wir doch ehrlich - ist es nicht das, was wir wirklich wollen und auf jeden Fall vorziehen? Das heißt, daß das Denken von Bürgern IMMER mehr oder weniger dem der Regierung, die es hat (und von der es mit der Zeit eine reine Illusion diesbezüglich pflegt, diese Regierung auch selbst gewollt, neuerdings auch selbst sogar "gewählt" zu haben), gleicht, weil anpaßt, fügt. 

Das können wir drehen und wenden, wie wir es wollen. Es ist so. Nicht nur theoretisch, sondern wir können es jeden Tag beobachten. Und daraus schließen, daß wir auch davon "befallen" sind. Weil wir dazugehören wollen. Weil wir die Bequemlichkeitsvorteile der Anstrengung vorziehen, uns mehr zu individuieren. 

Wenn wir das zusammenfassen, können wir also mit Fug und Recht sagen, daß wirkliches Denken nur von dort kommen KANN, wo der Zustand des Barbarentums herrscht. Nur von dort, wo Menschen im Zustand "des Andersseins" leben. 

So, und nun ziehen wir endlich den Bogen zur Aussage, die ganz am Anfang dieses Versuchs (=Essay) stand. Die da lautete, daß der wahre Untergang Roms nicht, wie das Vorurteil, das in den Schulen seit Jahr und Tag gelehrt wird, dem Einströmen der Barbaren zu verdanken ist. Mitnichten und -neffen! Diese Barbaren waren es sogar, die mit ihrer ganzen Mannes- und Denkkraft das römische Reich erhalten wollten, dafür sogar ihr Leben gaben. 

Warum aber kam es dann doch zum Zerfall dieser Truppen, dieser militärischen Kraft, was Rom schließlich 476 (mit der Absetzung von Romulus Augustulus) nach der verheerenden Niederlage gegen die barbarischen Vandalen den Gnadenschuß gab. Aber das Ende kam nicht, WEIL barbarische Völker, auf ihrer Flucht vor dem Chaos in Massen den Rhein und die Donau überquerten. Die zuvor zu Feinden erklärt wurden. Dabei hatten alle diese Völker immer noch die Ordnung und Lebensweise Roms gesucht. (Erst die Langobarden, einige Jahrzehnte später, waren bewußte Schöpfer einer neuen Ordnung, aber recht sicher auch schon nur deshalb, weil es keine römische Ordnung mehr gab.) 

Diese Hinzukömmlinge (was alles wir "Völkerwanderung" nennen) waren zu Feinden erklärt worden. Dabei waren die gar nicht feindlich gesinnt, nicht wirklich zumindest. Aber einmal zu Feinden erklärt, mußten sie sich so verstehen. Das Ende ist bekannt. Es war das definitive Ende Roms, das Ende der römischen Strukturen.

Ohne Zentralmacht, ohne zentral durchgehaltene, geforderte Ordnung zerfiel die große Ordnung (wie das Militär) in jene Ordnungen und Hierarchieebenen, die noch funktionierten. Und das waren die militärischen Einheiten und Abteilungen. Die von einem Rex (regs) beherrscht wurden. DARAUS hat sich dann ... der König* entwickelt, der ursprünglich das war, was wir neudeutsch mit "warlord" bezeichnen könnten. Ein Kriegsherr, der über eine Ordnung innerhalb einer nicht mehr bestehenden römischen Ganzordnung herrschte. 

Daraus hat sich dann in einem mehr oder weniger komplexen Spiel von Interessen, Persönlichkeiten, Macht und Lebensanforderungen ein enorm facettenreiches Gebilde von Teilordnungen etabliert, die barbarischen Ursprungs und barbarischer Gesinnung waren. (Noch einmal: Barbarisch heißt: Jeder dachte für sich. Und das verträgt sich nicht mit dem Bürgerstatus, der ab einer bestimmten zeitlichen Entwicklung, vor allem ab einer bestimmten Größe, ab der das individuelle Dasein, das individuelle Denken immer mehr kompromittiert wird.) Und voilà - wir haben den Zustand Europas im 5. Jahrhundert.

Ein Zustand, der all diesen Barbaren und Barbarenvölkern mehr oder weniger ZUGEFALLEN war. Zum überwiegenden Teil ohne, daß sie es je so gewollt hätten! Denn nur ein starkes Rom hätte sie so vor den asiatischen Räuber- und Plündervölkern (die nie auf Land aus waren, sondern deren "Reich" nicht größer als der Rücken ihrer Pferde war) beschützt, wie sie sich das gewünscht und erhofft hatten. 

Zugefallen, weil die Dekadenz und das nicht mehr vorhandene Selbstsein, der Wille zur Selbstbehauptung der Römer deren Staat und Ordnung aus sich heraus aufgelöst hatte. Still und heimlich, und über jahrhundertelange Prozesse. Wo sich der Caesar, der Kaiser, aufgelöst hatte, sodaß das in alle möglichen "Parallelgesellschaften" zerfallene Volk mehr oder weniger notgedrungen in "Königreiche" zerfiel. Regiert von den Warlords, den Regis, den Regenten, den Königen. 

Von dieser Warte beleuchtet, ohne jedes neu erfundene oder ge-fundene Detail also, erzählt uns plötzlich das Ende Roms viel mehr über den Zustand unserer Gegenwart und damit über das Stadium, in dem wir uns befinden. Als Punkt auf einem Weg in den Verlust der Ordnung, in der wir leben, und die wir so ungemein stabil halten, daß wir alles daran setzen, sie zu erhalten. Und dabei lieber das Denken aufgeben, weil es den zentralen Mächten überlassen. Von denen wir uns erhoffen (und deshalb übergeben wir ihnen ja unser Denken, das der Ordnung gefährlich werden könnte), daß sie uns vor den Barbaren schützen.




*Etymologisch ist (sehr reduziert) das Wort König aus dem indogermanischen Zusammenhang von Zeuger, Geschlecht (im Sinne von "Haus"; vgl. "(k)-ung/-ing" in der Bedeutung von "stammen von"; vgl. ferner die sprachlichen Zusammenhänge "Kun(g)" - k-un (mächtig, s. "kön-nen") - g-un (von Macht stammend, ihr zugehörig) - g (ch/h, vgl. dazu sprachgeschichtlich bei Grimm der Gebrauch von "g/k/ch" als "mächtig" im Sinne von "von einer Art" - "Rei-k/ch" - "-ring/-rijk/-reik" - "Reg(s)"=Leiter, Anführer, vgl. auch die selbige Wurzel von Reich und Reg), als Herr (Vorsteher), Anführer heraus zu verstehen; vgl. dazu "k" im Sinne von "fran-k"=frei sein/freie, von Freiheit/-en stammend=frei sein, sowie das "k" generell in seinem Zusammenhang mit "-k(c,g)-ko/co", Himmel (Erdgewölbe ebenso wie spirituell; vgl. "caeli" sprich [kö]), aber das führt hier zu weit.

Bleibt noch der Hinweis, daß von der inneren Bedeutung her einer für alle, pars pro toto, also der Stellvertretergedanke (!) mitschwingt. Es hilft mitzudenken, daß sprachgeschichtlich das primus inter pares im Spiel ist, über das sich immer mehr das "Einer für ..." zu "Erster von ..." herausbildete (wie z. B. Kluge schreibt), möglicherweise (wie der VdZ denkt) aber genau im umgekehrten Sinn im Sprachsein des Menschen verankert ist.



*130520*