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Montag, 4. Mai 2020

Was ist ist, weil es etwas sein will (1)

Natürlich verdienen die Nachrichten einen hämischen Kommentar, wenn es da heißt, daß Gillette mit seiner neuen Werbekampagne einen Bauchfleck gelandet hat. Plötzlich wurde umgestellt, und aus dem männlichen Mann, der seine Gesichtsabenteuer nur mit dem neuen dreischneidigen Gillette Super Superior bekämpft, wurde ein Männleinmuscherl, das seinem Sohn erklärt, daß er mit Milde, Güte und Weichheit eine bessere Welt macht. Die sich also gegen "toxic masculinity" (traditionelle Männlichkeit ist vergiftend, ja todbringend) richtet, wie es in der offiziellen Beschreibung der Werbelinie heißt.



Diese Werbung zeigt die Tatsache, daß sie auf einem fatalen Irrtum aufruht, in den Reaktionen, die sie ausgelöst hat. Und zwar in den wirklichen Reaktionen, nicht in dem Unsinn, der bei Umfragen usw. erhoben wird, wo die meisten so antworten wie sie meinen, daß erwartet wird. Die Reaktionen zeigten etwas anderes.

Was solche Werbelinie mit Gillette zu tun haben sollte, war niemandem klar. Am wenigsten den Kunden, die zu anderen Marken griffen. Kauf ist nämlich Identifikationssache, ein Zutritt an einen Ort, von dem man sich bestimmen läßt bzw. der etwas in den eigenen Ort integriert - der also harmonisch in die Seinsgestalt paßt.

Erleichtert wurde das durch die Tatsache, daß fast sämtliche Konkurrenzprodukte immer schon billiger waren, aber nicht das Image des großen Tonangebers hatten. Gillette hat sie nun elegant vom Haken gelassen. Die Weltverbesserungsideologie - das woke capital - schiebt eben genau so wie eine abstrakt techniklastige weil damit weltverbessernde Funktionsphantasiererei in ihren vorgeblichen Zielen auf eine so neutrale, identitätslose Ebene, daß eine Identifikation mit einem Produkt nicht mehr gegeben ist. 

Gillette mußte jedenfalls acht Milliarden Dollar abschreiben, was immer das heißt, ob Verlust oder einfach Aktivierung eines bereits vorhandenen Verlusts ist aufgrund der amerikanischen Bilanzierungsregeln, die Deckungsbeitrag und Cash Flow für Gewinn ausgeben, für uns nicht ganz nachvollziehbar. Miese sind es auf jeden Fall. Und Gillette selbst bestätigt es. Man habe die Millenials verloren, heißt es, und ist nun dabei, auch deren Väter zu verlieren, sagen wir dazu. 

Aber es soll uns um etwas anderes gehen. Denn davon können wir ausgehen, daß Gillette (als Teilgesellschaft von Procter & Gamble) den Markt genau untersucht hat. Und was werden die Klugen gefunden haben? Sie werden einen realen Trend gefunden haben. Sie werden real vorhandene weiche Männer - neue Männer, wie es hier seit Jahrzehnten heißt und angepriesen wird, Kuschelmuschel statt harte Krieger - gefunden haben, jede Menge, und darauf hat man reagiert. 

Man hat also das Faktische zum Maß für das Gewollte genommen. Aber das Faktische, der faktische Zustand, in dem man jedes Ding sieht, ist nur ein Zwischenstand. Es ist ein Einblick in einen Kampf ums Dasein, in dem alles was ist ständig steht, und in dem es versucht, seine Idee, die es aus Liebe und Sehnsucht als Gesolltes empfindet, weil es so sein will, weil es sich danach ausstreckt, in diese Zeit hinein auszudrücken. 

Morgen Teil 2)