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Montag, 25. Mai 2020

Man muß Barbar sein, um zu denken (1)

Man soll sich nur nicht über die wahre Ursache des Zerfalls des römischen Imperiums täuschen, schreibt Ianto Watt in seinem großartigen Buch "The Barbarian Bible". 

Das von der simplen Tatsache ausgeht, daß um zu erkennen, in welchem Stadium sich eine (also: unsere) Kultur befindet man betrachten muß, wo sie einmal gewesen ist. Nur aus dieser Zeitlinie läßt sich der gegenwärtige Zustand erkennen. Deshalb befaßt sich sein Buch, in dem er, der Großvater, die Welt seinen Enkeln erklärt, mit Geschichte. Aber nicht, indem es "bisher geheim gehaltene Tatsachen" auf den Tisch legt, wie so manche ähnliche Bestrebungen, sondern indem es einfach nachfragt, und Begriffe klärt. Und dabei einen Aha-Moment nach dem anderen auslöst, auch beim VdZ. Der deshalb die Lektüre jedem nur dringendst ans Herz legen kann. Er selber "fällt" gewissermaßen von einem Absatz zum nächsten in ein regelrechtes Lichtbecken nach dem anderen. 

Um zu illustrieren, wie das gemeint ist, nehmen wir nur ein Beispiel heran, das des Begriffs "König" - Rex, regis usw. Denn dieser Begriff (darum auch der Titel des Buches, dazu später, es ist schon diese Erklärung ein Lesegenuß) Rex/König ist kein Deszendent von "Caesar", Kaiser, also dem Herrscher über ein Imperium. Sondern es war ursprünglich die Bezeichnung für den Befehlshaber einer Kohorte. Diese Kohorten aber waren in der Kaiserzeit zunehmend von "Barbaren" gestellt. 

Weil die Römer immer weniger in der Lage waren, selbst Männer mit Mut und Tugend hervorzubringen, die die Verteidigung des Landes und ihrer Heimat bewerkstelligen hätten können. Sie waren zu verweichlicht, geistig abgehalftert, und schließlich - nach einer jahrhundertelangen Phase des Turbokapitalismus (mit dem heutigen vergleichbar, und auch das ein beständiger Weg nach unten, gerade im Zusammenspiel mit der Politik) - gab es nicht nur zu wenige Männer überhaupt, und zwar durch Empfängnisverhütung und generellen Niedergang des Willens zum Nachwuchs. 

Überraschung: Das war hauptsächlich durch den Zerfall der Ehe bedingt, die schon unter Augustus begonnen hatte; nein, viel früher, durch die faktische, nach heutigem Begriff erstaunlich feministisch-emanzipierte Stellung der Ehefrau, aus der heraus die Ehe und Familie in einer Kettenreaktion ins Chaos versank begonnen hatte, sondern in einem direkten Zusammenhang auch zu wenig Geld. Und deshalb (sic!) irgendwann  zu wenig Kredit. Denn auch das hängt zusammen, und auch das zeigt den Zustand unserer Gegenwart, die sich in immer astronomischer Höhe verschuldet. 

Das hat dazu geführt, daß sich die eigentlichen Römer diese Fremden, die bald ausschließlich übernommen hatten, wozu sich kein Römer mehr bereit fand, auch nicht mehr leisten konnten.

Es gab also nicht nur zu wenige römische Bürger (Civitates - Zivilisation - Citoyens). Die jene Gruppen, der in einem Land lebenden Menschen sind, die sich mit dem Staat identifizieren, die mehr oder weniger kritiklos für diesen stehen, ihn vertreten, also für die Ordnung stehen, die er repräsentiert und ebenso schafft wie erhält. Es gab bald auch keine Barbarentruppen mehr, die sich Roms Bürger leisten konnten. 

Aber auch das war nur eine Folge, ein Puzzlestei, eine einem ganz anderen, unten ausgemalten Bild ... wobei wir vorerst noch einige weitere Denkfundamente durch Begriffsauflüftung neu legen wollen.
Denn in gewissem Maß ist somit auch gesagt ist, daß Bürger jene Menschen sind, die ihr Denken freiwillig und durch Habitus (also übertragen, als Brauch unhinterfragt übernommen und danach geformt) beschränken. 
Weil unter die Maxime stellen, daß ihr Reden (=Denken) die Prämisse trägt, daß sie einem Zweck untergeordnet ist: Den Staat zu erhalten, zu stützen, zu verteidigen. Freies Denken und Bürgerschaft sind also in gewisser Hinsicht ein Widerspruch. Frei können, wenn man es so betrachtet, nur Barbaren sein. Und Barbaren sind keine Idioten, sondern einfach die, die "nicht zum Staat gehören", die Fremde sind, die "anders" sind. 

Sie sehen schon ein wenig, geneigter Leser, was Watt meint, und was der VdZ meint, wenn er sagt, daß der Walliser nichts "Neues" erfindet, sondern die Dinge einfach neu ordnet, zusammensetzt, und einmal in Ruhe für sich nimmt. Mit der für unseren alltäglichen Sprachgebrauch oft so überraschenden Erkenntnis, daß die Dinge, wenn man sie einmal einfach für sich stehen läßt, ein völlig neues Zueinander ergeben. 

Der Bürgerbegriff geht dabei von einer seltsamen Maxime aus. Auch die wird heute unreflektiert übernommen. Sie besagt, daß das Recht nach heutigem Begriff (der römischer Tradition entspringt) als "fortschrittlich" und der Entwicklung des Abendlandes (Europas) so zuträglich gesehen wird.

In Wahrheit war der römische Rechtsbegriff nur praktisch, für den Staatsbegriff römischer Art nützlich. Denn die Römer waren ja überhaupt die größten Pragmaten, die man sich vorstellen kann, deshalb waren sie ja im Aufbau des Reichs, in dessen Erhalt und politischer Stärke so "effizient".

Dieser Rechtsbegriff geht von GLEICHHEIT aus. Deshalb kann ein universales Recht über alle drübergelegt werden. Damit ist das gemeint, was seit der Renaissance und dem sich daraus entwickelnden Zustands absoluter Herrschaft auch bei uns mehr und mehr eingeführt. In Österreich durch die theresianische Rechtsreform. 

Die natürlich Rechtsstudierten ein wahrer Gaumenschmaus ist. Die häufig nur "gelernte Anwender eines technizistischen Gesetzesbegriffs" sind, für die die Gesetze also eine Art Bedienungshandbuch, technische Beschreibung sind, was zwar auf eine Weise auch mitspielen muß, aber absolut genommen absolut tödlich für die jedem Recht zugrundeliegenden Gerechtigkeitsforderung ist. Wir erleben das ja heute. 

Morgen Teil 2) Warum Bürger zu sein bedeutet, Sklave zu sein



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