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Donnerstag, 21. Mai 2020

Leben als Prozeß eines Weges nach Hause (1)

Leser M - Dank dafür! - sandte dem VdZ das Link zu dem unten angefügten Video. Und fügte nur wenige Worte bei. "Eine bemerkenswert offene und ehrliche Dokumentation, die auf anderthalb Stunden so ziemlich alles zusammenfasst, was Beobachter des kulturellen Niedergangs bewegt."

Der VdZ gesteht ebenso offen, daß er nach diesen eineinhalb Stunden geweint hat. Auch er war zuerst sprachlos. Und er hat auch lange gerungen, ob und was überhaupt sich dazu noch sagen ließe.

Zuerst aber soll gesagt werden, daß der VdZ den Leser insofern vorbereiten möchte, als er, was nun folgt ohne jedes Ressentiment, sondern einfach mit ungeheurer, fast unmenschlicher Nüchternheit sagt. In Aspekten, die er sah, und auf die er hinweisen möchte, um das Gesehene zu ordnen.

M hat schon einmal in einem Punkt recht - so umfassend wird alles gezeigt, worüber hier seit Jahr und Tag geredet wird, daß man die Gedanken als reife Früchte ernten kann. Wer zu sehen vermag, sieht es.

Der Film geht chronologisch vor. Über fast zwanzig Jahre begleitet und erzählt er so den Weg einer Deutschen, die versucht hat, die Leere in ihrem Leben zu füllen.
Diese Leere ist aber eine Leere der Kultur. Erst einmal wird also ein Kulturzusammenbruch wie mit Händen zu fassen, der seit Jahrzehnten in einer sich selbst steigernden, also progressiven Dynamik Realität geworden ist.
Es gibt aber eben kein Vakuum. Menschsein ist Vollzug - also Existenz - und heißt immer und wesensbestimmt ein Dasein in Kultur. Wo keine Kultur, kein Mensch. Die Haltungen, Anschauungen, Reaktionen der Frau sind also völlig verständlich.

Denn der Mensch verschwindet nicht einfach, wenn eine Kultur sich auflöst weil aufgelöst wird (und eine Kultur wird immer aufgelöst, sie löst nicht "sich" wie von Geisterhand getrieben auf), nein. Denn wo keine Kultur ist, schreit die umgebende, ungesättigte Welt, die nun im Potens bleibt, nach einem Füllen dieses Lochs, in das hinein der Raum kollabieren möchte, um ins Nichts zu gehen.

Sofort füllt sich deshalb das Ungesättigte mit neuen Beziehungsorten, um im Sein zu bleiben, und das Zusammengebrochene lockt mit ungeheurem Eros, der in seiner Prostitution keine Scham mehr kennt weil verzweifelt ist, um dieses Begehren, das ein Hoffen auf Sein ist, erfüllt zu bekommen. Dieses Locken wird beantwortet. Ab nun entsteht eine neue Welt. Den Gekommenen steht alles, wirklich alles offen, denn die Hiesigen hoffen mit zitternden Herzen, daß etwas entstehe. Etwas, was auch immer, das Sein hat. Denn sie selbst kennen das Nichts, und es ist schrecklich.

Es kommen Menschen, die die herumstehenden Artefakte des Verwehten - denn die Dinge bleiben, sie sind die Ruinen einer verlassenen Welt - zu benutzen lernen, in ihre neue Kultur integrieren (oder eliminieren). Berührend die Szenen, wo der Vater die gerade aus Afrika eingelangten Kinder das Benützen einer Toilette lehrt. Bewegend, wie sie dann beim Essen am Boden sitzen, ein Tisch wird dieser Kultur wohl zukünftig fehlen.

Dabei sieht man auch, wie die geistigen Entwicklungen in Europa auf einen Zustand hingearbeitet haben, in dem eine wesentlich niedrigere und ärmere Kultur mit einem Male auf Augenhöhe mit der faktischen Kultur in Europa steht. Nichts, das in Afrika scheinbar "anders" ist, widerspricht mehr dem Wirklichkeitsempfinden der Europäer.
Aber dann meldete sich etwas, mit dem beide nicht gerechnet hatten. Eine Prägung, die sie niemals als existent anerkannt hätten. Sie entdeckten, daß sie von einer Kultur geprägt sind, die sie in ihrer Lebensumwelt gar nicht mehr finden. Die Frau beginnt, ihre Wurzeln in ihrem deutschen Geburtsland zu sehen, der Mann möchte nur eines: zurück nach Hause.
Nur die Kinder sind entwurzelt und verwirrt. Gefangen in einer Lebensweise, die im Technizismus, der auf den Vater faszinierend und nützlich gewirkt hatte, zu einer Scheinlebensweise wird. Die sich in Konsum und Oberflächengefühl äußert und praktisch über eine Verhaftung auf eine mediale Existenz abläuft.

Morgen Teil 2) 
Was man aber wirklich sehen kann