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Montag, 24. Dezember 2018

Sehnsucht nach dem Richtigen

Zwei Drittel der Europäer sehnen sich, so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, nach früheren Zeiten zurück. Zwei Drittel denken, daß früher "alles besser war". Und - sie haben wohl recht.

Denn man muß die Nostalgie als Sehnsucht nach dem Natürlichen verstehen. Nach jener Heimat, die nur im Sein, also jener Idee, aus der alles Reale hervorsprießt, sonst ist es nicht, zu finden ist. Sie hat damit immer auch etwas Kindliches - die eigene Kindheit steht wieder auf. Und niemand wehrt es einem. Das Natürliche ist aber das Gestrige, das Frühere, und es wird im Erinnern zum Morgigen, zum Gewollten, zum Gesollten. Und dieses Erinnern braucht das Dunkel des Vergessens.

Weihnachten, dieses Lichtfest mitten in dunkelster Jahreszeit, bietet durch seine enorme Gefühlsmacht, die sich institutionalisiert (und damit kulturalisiert) hat, einen leicht erreichbaren Durchgang zu diesem Sein. Gerade in seiner religiösen Notierung, die selbst heute noch von vielen nicht hinterfragt werden will - will! - so daß sich selbst der Fernste dem Wogen des Kultes ergibt. Der von den gestrigen, ewigen Gesetzen getragen wird, und sich wie ein Geheimnis aus dem Dunkel hebt, sobald wir die laute Gegenwartsbeleuchtung beiseite lassen, aus diesen Tagesgewändern schlüpfen, und in dieses schwarze Meer eintauchen.

In diesem Aufhören des Kampfes, in diesem Sich-Ergeben an das Dunkel, liegt auch das Geheimnis des Hohen Festes. So bricht sich eine Sehnsucht nach der Kindheit Bahn, und für ein paar Stunden wird Erinnerung zum Kinderraum, in den man sich begibt. Als Freiheit von im späteren Leben aufgerichteten, ach so fragilen, mühsam errichteten und gehaltenen Konstrukten, die sich so oft von der Natur, dem Guten, dem Schönen, dem Sein entfernt haben, in dem man in der Kindheit noch so ungebrochen geborgen war. Weihnachten soll jeder Kind sein dürfen.

Beim Schmücken der Festtagstanne, dem Trinken von Weihnachtspunsch, dem Naschen von Keksen, dem festlichen Miteinander um den Baum, bei Weihnachtsevangelium und den alten Liedern vom Tannenbaum", wo beim "Ihr Kinderlein kommet" die eigene Kindheit wieder aufsteht, wo es beim gemeinsamen Mahl gibt, was es jedes Jahr zu Weihnachten gab, weil jedes Jahr zu denselben Tiefen vordringt. "In jenen Tagen erging vom Kaiser Augustus der Befehl, ..."



Quelle und Brunnen, an dem zu trinken man sich heute erlaubt. Wo es niemand sieht, und niemand sehen will. Bis zum Besuch der Mitternachtsmette, die einfach dazugehört, und für heute soll nicht gefragt werden warum. So daß wenigstens für einige Stunden Friede einkehrt. Im Schutze eines Kultes, dem ein ganzes Volk nicht widerspricht, und den die, die nicht mitmachen, wenigstens respektieren, und gleichfalls die Waffen niederlegen. Und staunen, was die Christen da tun. Aber alle wissen, daß im seit je gepflegten Kult mehr Erinnerung kristallisiert ist, als jede menschliche Erinnerung es zu gewärtigen vermag. Das Fleisch hat mehr Wahrheit.

Und von der kosten die, die da verstehend sehen, daß eine Zeit dann gut ist, wenn sie sich selbst vergessen kann, um zum Grunde des Schwarzen Meeres ins Ewige zu tauchen. Das ein Früheres ist, das wir einst verlassen haben, um dahin einmal zurückzukehren. Im Festeskult wird es uns je neu übergeben. Eine Zeit ist hoch, die es schafft, das Frühere nicht verschwinden, sondern immer weiterleben, anwesend sein zu lassen. Eine Zeit ist nur gut, die alten, unhinterfragbaren Kult hat. So daß jeder Schritt durchwirkt ist von einem heiligen Mysterium des Gestern. Das Neue, das Heutige, das Gegenwärtige ist ohnehin selbstverständlich da. Aber es wird in diesem Gestern heilig.

Oh Stille Nacht, oh Heilige Nacht. Wo alles schläft, wo keiner wacht. Da wird die Neue Zeit geboren.








*121118*