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Sonntag, 30. Dezember 2018

Wenn alle die Welt als wesensfremd erfahren

Wo sich die natürlichen Strukturen einer Gesellschaft (egal welcher konkreten Organisationsform, egal welcher Größenordnung) auflösen, also die Beziehungen der Menschen zueinander nicht mehr nach ontologischen Notwendigkeiten und Wesensmerkmalen Gestalt haben - unter dem absurden Versprechen und Gebot, "frei" gestaltbar sein zu sollen - geschieht etwas mit dem kaum jemand rechnet: Die Nachkommenden, die Kinder, die Jugendlichen erfahren sich in einer Welt, die ihren eigentlichsten Bedürfnissen und Antrieben nicht mehr entspricht. 

Sie erleben eine Welt, die scheinbar nie und in keinem Punkt so funktioniert, wie sie selbst es unbewußt fühlen. Ja, ihre geheimsten Antriebe (die zuerst und ausschließlich Antriebe zu natürlichen Orten sind, also zu vorgegeben und unveränderlich definierten Grundarchetypen, in die jeder Mensch eingebettet ist, vom ersten Moment seiner Empfängnis an) kommen nicht nur nicht zur Sprache, sondern werden sogar von dem, was ihnen als Gesellschaft begegnet, als falsch und feindlich definiert. 

Dadurch entsteht ein mittlerweile flächendeckend vorherrschendes Gefühl einer völligen Entfremdung. Das, was die Nachkommen als wahr und richtig empfinden, kommt gewissermaßen im Repertoire der Welt, in der sie überleben müssen und leben wollen, gar nicht vor.* So, wie allgemein gelebt, was verlangt, was gefordert und als "gut" dargestellt wird,  vermag sie nicht mehr zu fassen.

Damit setzt eine persönliche Strategie ein, die nur zu verständlich ist: Die Menschen beginnen, sich einerseits - völlig auf sich geworfen, das, ungeformt, wie ein "Nichts" droht - dem Allgemeinen durch Konformität und Vermassung anzupassen. Denn aus sich heraus erfolgt genau das nicht, was bei gesunden Kulturen (die es nur auf den Beinen der Tradition gibt) der Fall ist: jenes Korrektiv, das der eigentliche Individualisierungsprozeß beim Heranwachsenden ist. 

Diese eigenen Antriebe werden nur noch frustriert und entmutigt. Individualisierung gelingt nur noch durch Zerstörung und Willkür, sie verkommt also zum bloßen Abgrenzungsvorgang. Es geht nur noch darum, wie "man durchkommt".

Daraus folgt die zweite Facette dieser Strategie, und das ist die Verlogenheit. Der junge Mensch heute lernt von der Wiege an, daß er um durchzukommen lügen muß. Er muß das Vorgegebene der Allgemeinheit wie einen Schutzschild vor sich her tragen und durch Verstellung lernen, durch geschicktes Hantieren mit diesem Vorgegebenen über Umwege doch noch seine innersten Antriebe zu einer Gestalt zu bringen.** 

In einer Kultur, die sich selbst verfehlt, also zur Antikultur wird, bleibt dem Einzelnen nur noch Rückzug in Separatbezirke der Seele, die Umwege sucht, um zum Ausdruck zu kommen, während das Außen in Konformität aufgeht - und unwesentlich, unwichtig wird. So eine Kultur verliert also ihre innere Kraft und löst sich in Virtualität auf. Haben wir nicht heute genau das?***






*Darin übrigens gründet die heute so massiv auftretende Forderung, diese innersten Antriebe "in sich" zu suchen. Wie es sich in allen möglichen Pädagogiken ausdrückt, man denke an Montessori. Oder in Techniken der "Versenkung in sich selbst", mit Hilfsgriffen wie "Rebirthing", das genau diese vorgängigen Strukturen und Antriebe aufdecken soll, usw. usf. Dieses "in sich-Suchen" hat also interessanterweise etwas sehr Richtiges - aber nur als Hinweis, nicht als Weg. Als Weg begangen, drückt es nur die schmähliche Verlassenheit durch die Erwachsenen, die Tradition aus.

**Deshalb ist das meiste, was die Menschen unserer Länder heute machen, reine "Umwegtaktik". Und muß als solche gelesen und interpretiert werden. Beispiel: Man baut an einem falschen Turm, um dadurch zu zeigen, daß er zusammenstürzen muß. Was man zuvor aber nicht zu sagen wagt. Die Tragik dabei ist zu beobachten: Viele Menschen heute zerstören sich selbst, tun, was allgemeine Norm sein muß, um sich durch Selbstzerstörung dem Druck zu entziehen, in der Hoffnung, dann für ihre eigensten Antriebe noch Raum zu bekommen. Das bewirkt einen heute erschütternd oft zu beobachtenden Wunsch - den, alles zu zerstören. Was sich wie ein Generalwunsch nach Krieg zeigt, den man aber nur in Filmen und Videospielen Ausdruck zu verleihen wagt - UMWEG.

***Aus solch einer Situation müssen Erscheinungen wie Masturbation (Pornographie), ADHS, Autismus (als Wendung in sich), borderline, Drogengebrauch oder Burn-out notwendig erwachsen. Sie haben alle mit der Erfahrung zu tun, daß die begegnende Welt die eigenen, ontologischen Antriebe (nur aus dem Sein heraus gibt es "natürliche" Antriebe) der Welt nicht beantwortet, ja einem selbst somit feindlich, zumindest nicht bergend gegenübersteht.  

Wenn die Frage nach der Wurzel so vieler Irrtümer und Verwirrungen der Gegenwart gestellt wird, bleibt nämlich im Grunde nur eine Antwort: Mangel an Vertrauen in das Sein. Das Sein repräsentiert den Einzelnen nicht mehr. Damit aber fehlt der logos, der die Sprache noch ordnen könnte. Der Mensch fällt in Verwirrung, sobald er das "Denken" aus "eigenem" weil damit seinsfremdem Verstehen heraus zu ordnen versucht.

Was alles man durchaus nicht nur als "Gesamtkulturelles Phänomen" betrachten muß. Schon einzelne Familien und die Geschichten der Kinder daraus zeigen graduell dieselben Erscheinungen.





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