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Donnerstag, 31. Januar 2019

Eine Aussage über unsere Zukunft (2)

Teil 2) Das Thema ist da, aber nur ableitbar



Der Film "Vor uns das Meer", der auf einer wahren Begebenheit im England des Jahres 1968 beruht, ist für ein wirkliches Erzählen der Geschichte zu kurz geraten. Seine Erzähltechnik geht nicht auf. Sie bräuchte um das wirkliche innere Elend darzustellen, in dem der Mann sich befindet, viel mehr Mut zur Länge. So hätte der Betrachter Zeit, die inneren Spannungen nachzuvollziehen, um die es geht. Stattdessen werden die eineinhalb Stunden von Ereignis zu Ereignis getrieben. Wenn nicht am Boot, dann in England. Das ist schade. Man kann sich also die Aussage nur "denken". Nacherleben kann man sie nicht. Nicht im Film. Nachher allenfalls.

Dennoch soll auf den Film hingewiesen werden. Denn er nimmt etwas auf seine Themenschaufel, das der VdZ als eines der oder vielleicht sogar DAS brennendste Problem der nächsten Jahre und Jahrzehnte bezeichnen würde. Es ist die Diskrepanz zwischen einer künstlich weil medial geschaffenen Identität und der Wirklichkeit. Die dem Täuschenden natürlich niemals verborgen bleibt. Das hat viel mit den neuen (social) Medien zu tun, in denen es heute obligatorisch ist, der Welt einen Schein vorzumachen. Ja, vielfach wird dieser Schein als das eigentliche Ich gesehen, weil ja angeblich alles volatil und rein auf der Ebene der Behauptung abläuft. 

Aber das ist ein folgenschwerer Irrtum. Und das würde der VdZ als die Aussage des Films bezeichnen. Denn es gibt die Wahrheit, in die alles eingebettet ist. Und der niemand entfliehen kann, schon gar nicht in seinem Gewissen. Einige Zeit halten die Versuche, den Schein für die Wirklichkeit zu erklären und vielleicht sogar selbst "zu glauben". Aber die Eisdecke, auf der solch' ein Mensch steht, wird immer dünner. Und sie bricht auch eines Tages, und zwar mit absoluter Sicherheit. Und dann wird das verlorene Gesicht zu einem so großen Problem, das es tatsächlich schwer zu ertragen ist, mit solcher als Lüge offenbar gewordener Scheinidentität wieder unter die Menschen zurückzukehren. Seinen Kindern wieder ins Gesicht zu blicken. Seiner Frau. Den echten Freunden. Dann kann der Weg zum Selbstmord tatsächlich kurz sein.

Was werden wir machen, in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren, wenn wir alle (gewissermaßen) vor der Situation stehen, daß wir uns nur in einem künstlichen Theater bewegt haben? Wenn die Leere unter unseren Füßen so groß und laut wird, daß sie nicht mehr übersehen und überhört werden kann? Wenn wir entdecken, daß wir zwanzig, dreißig Jahre ohne innere Sättigung, ohne wirkliche Bestätigung und damit Kenntnis unserer selbst gelebt haben? Weil in einem wie ein Kostüm vor uns hergetragenem Schein, mit dem wir dem Schmerz der Wirklichkeit ausweichen wollten, der uns aber mit tausendfacher Gewalt eines Tages einholt. Dann stehen wir noch dazu den Forderungen eines Scheins durch das Außen gegenüber, die wir nie erfüllen können.

Weil nur eines wahrhaftig zu sättigen, nur eines unsere wahrhafte Gestalt heraus zu meißeln und als Mensch Halt zu geben vermag: Die wirkliche Wirklichkeit. Und die ist keineswegs volatil, wählbar, zufällig, beliebig konstruierbar. Das Bild von uns, das wir der Welt bieten, ist nicht ein bloßes Phantasieprodukt, mit dem wir uns holen, was wir gerne hätten. Weil wir auch so und so in der Welt dastehen wollen. Sie ist der einzige Grund, auf dem die Welt überhaupt stehen kann. Sie ist objektiv. Nur darauf gibt es für uns Menschen das, wonach es ihn so verlangt: Liebe. Liebe gibt es aber nur zum Preis der Wahrheit.

Noch etwas muß angeführt werden, und das ist der Unterschied zwischen dem eigenen Anspruch, was eines Platz im Leben sei, und der Realität. Auch hier spielen die Medien ihre Rolle. Denn mittlerweile ist die zweite Genration vollgestopft mit Bildern von Glanz und Glamour, die den Jungen den Kopf verdrehen, was angeblich das Leben für sie beinhalten würde. Noch mehr aber, es sind ja nicht nur die Medien direkt, sondern indirekt. Über die Mütter. Vor allem jene Mütter, die als "emanzipierte Frauen" ihre Bilder aus eigenen Lebensgestaltungsvorstellungen - losgelöst vom Mann - definieren können sollen und meinen. Dementsprechend meinen heute je nach Umfrage bis zu 50 Prozent der jungen Menschen, daß sie zu Berühmtheit und Glanz und Gloria berufen seien. Etwas, das schon aus simpelsten Überlegungen heraus gar nicht möglich ist. Etwas, von dem aber nach wie vor der Mythos "liberaler Kapitalismus" gespeist wird und wo jeder sich selbst schuldig fühlt, der dieser Lüge auf den Leim geht.

Sei zum Abschluß aber noch eine Metapher erwähnt, sie findet sich gleichfalls im Film. Denn der Titel ist wohl nicht zufällig: "Das Meer vor uns". Der Segler im Film hat nichts um sich. Da ist nur Horizont und Himmel. Es ist nichts, das ihm Widerstand leisten würde. Alles unterliegt seiner Machbarkeit. So weicht er erst recht allem aus, wo ihn die Wirklichkeit zur Persönlichkeit (von Bedeutung, gewissermaßen) durch Widerstand meißeln könnte. Auch darin liegt eine der großen Parallelen zur Gegenwart. Wo alles, was als Widerstand erfahren wird, ausgeräumt wird. Und sei es, indem man ihm aus moralischen Gründen die Existenz abspricht. Wo alles, was an Widerstand auftritt, als "Angriff" und "Machtanspruch einem selbst gegenüber" aus dem Spiel genommen wird.

Zurück bleibt ein immer mehr ins Amorphe abtauchender, regredierender Mensch, dessen Grenzen immer enger, dessen Angreifbarkeit immer niedrigschwelliger wird. Daß das ein gewaltiges Zukunftsproblem wird, verspricht die Dimension, die es mittlerweile (im Gender) hat. Wie sie sich in der Volatilität der Geschlechtsbestimmung, dem Verfließen jeder Form von Zwischenmenschlichkeit ausdrückt. Wo alles nur ein Schritt auf einer immer gleichen Bahn ins Nichts wird. Wo wie im Film der Tod als folgerichtiger Punkt einer einzigen schiefen Ebene zu sehen ist.








*101218*