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Samstag, 5. Januar 2019

Warum keiner was hat vom Sozialstaat

Eine recht kompakte, gut lesbare und übersichtsartige Analyse des Sozialstaates findet sich auf den Seiten der liberalen Seite Achgut. Titus Gebel geht darin vor allem der Frage nach, ob der Sozialstaat überhaupt überleben kann. Und kommt zu dem Schluß: Nein. Weil seine Voraussetzungen falsch, seine Auswirkungen verheerend sind. Auch wenn man seinen Schlüssen noch weit mehr hinzufügen müßte, denn es ist sogar noch schlimmer, als hier vor Augen gestellt wird, bleibt eine Schlußfolgerung auf jeden Fall stehen: Von diesem Sozialstaat hat überhaupt niemand etwas. Er ist vielmehr eine gigantische Illusion, die von politischen Motiven getrieben wird, und sich verheerend auswirkt. Im übrigen ist aber sein Ende ohnehin absehbar.

Gebel führt vor allem die entsittlichende Wirkung als Argument an. Im Sozialstaat heutiger Prägung - der im übrigen eine Erfindung von Bismarck war, die Sozialdemokraten hatten 1880 zum Gegenteil sogar ein eigenes, auf Wechselseitigkeit weil Solidarität beruhendes Solidarsystem aufgebaut - wird das Ergattern von Sozialleistungen zum regelrechten Einkommensbestandteil. In diesem Kampf aller um Anteile am Sozialbudget des Staates ist gar nicht mehr auszumachen, wer letztendlich überhaupt noch profitiert. Was der Angelegenheit aber ein gewisses Ende bereiten wird ist, daß er dadurch auf lange Sicht überall in gewaltige Schulden mündet. Die irgendwann einmal bezahlt werden müssen, das steht außer Frage. Und wenn sie nicht bezahlt werden, wird irgendjemand das Geld verlieren. Und dieser Irgendwer ist wiederum der vormalige Empfänger sozialer Wohltaten. Deshalb "sind die Tage des Sozialstaates gezählt." Der von Anfang an kein System war, in dem es darum ging, "von reich zu arm" umzuschichten, sondern wo generell "umverteilt" wurde.

Zumal von Anfang an der Grund für einen staatlich alimentierten Sozialstaat politisch war. Er hatte zum Ziel, die Arbeiter an sich zu binden, sie dem Staat gegenüber loyal zu machen, und die Loyalität zu den Gewerkschaften (und den kirchlichen Sozialeinrichtungen, das vergißt Gebel seltsamerweise zu erwähnen, so wie er die aller-verheerendste Folge des Sozialstaates, die Verdunstung der Religion, nicht sieht) aufzulösen. Diese politische Absicht hat er nie mehr verloren. Seit seiner Einführung hat keine Politik darauf verzichten wollen, über soziale Wohltaten Wähler an sich zu binden. Das hat speziell nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt, ehe es in den 1970er Jahren eskalierte. Wer bei Wahlen mehr Spenden aus dem Füllhorn versprach, erhielt regelmäßig auch mehr Stimmen. Manche Parteiungen binden ihre Wähler regelrecht an sich, indem sie sie süchtig und abhängig von staatlicher Intervention und Förderung machen.

Das vorgebliche Prinzip, in Not geratenen Menschen zu helfen, wurde mehr und mehr marginalisiert. Heute wird Gesellschaftspolitik, Gesellschaftsumbau damit betrieben. Bald breitete sich in der Bevölkerung noch dazu das Gefühl aus, daß der andere mehr erhalten könnte. Alle schrien bald nur noch nach staatlichem Geld. Ein Wettrennen um Sozialleistungen setzte ein, wo sich keiner mehr fragt, ob er es wirklich braucht. Der Lebensstandard richtet sich nicht mehr nach dem, was man zu erarbeiten vermag, sondern der Bedarf, den zu finanzieren der Staat gebraucht, richtet sich nach Ansprüchen. 

Mittlerweile stehen unsere Länder vor der Tatsache, daß so viel versprochen wurde (man denke nur an die Renten, die sich allein in Deutschland bereits auf sechs Billionen Euro zukünftige Leistungen summiert haben, die sich zu den heutigen zwei Billionen Schulden, die im Grunde nur dem Sozialstaat zuzuschreiben sind, dazukommen), daß niemand mehr weiß, wie das alles einmal zu bezahlen sein soll. Man verschiebt die Antwort stattdessen von Wahl zu Wahl und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Und steht zudem vor der Situation, daß immer mehr Leistungsempfänger (auch durch die Zuwanderung) immer weniger echten Steuerzahlern gegenüberstehen. 

Ob dabei überhaupt noch jemand vom Sozialstaat profitiert, gar mehr bekommt, als er sich sonst erarbeiten könnte, wird kaum je aber hinterfragt. Stattdessen sieht sich jeder in einer Hängemattensituation mit doppeltem Sicherheitsnetz. Das führt zu einem Abbau der Eigenverantwortung, während jene Risikobereitschaft steigt, die einer "catch as catch can"-Mentalität gleicht. Was immer passiert - es wird keine gravierenden Folgen haben. Dadurch fallen Entscheidungen immer ausschließlicher falsch, oberflächlich, nicht mehr wirklich durchgedacht. Alles ist ja "korrigierbar".

Der Bauch wird gefüllt bleiben, was immer schief geht. Denn es wird nicht einfach Hilfe versprochen, sondern ein gewisser garantierter allgemeiner Lebensstandard. Weil das nur durch Steuern finanzierbar ist, zahlt aber auch jeder mehr, als er ohne Sozialstaat zahlen würde. Was zu einer Verschleierung von gesellschaftlichen Zusammenhängen führt. Alle haben nur noch Rechte und Ansprüche, so meinen sie zumindest. Und niemand aus der Politik wagt das in Frage zu stellen, denn dieses Anspruchsdenken ist beim überwiegenden Teil der Bevölkerung zur Haltung geworden. Es ist nur als dramatisch zu bezeichnen, daß dadurch die meisten Menschen kaum noch in der Lage sind, Situationen realistisch einzuschätzen. Denn sie kennen die grundlegendsten Zusammenhänge von Ursache und Wirkung nicht mehr.

Regelrecht verheerend wirkt dabei das durch den Sozialstaat gesetzte Anreizsystem. Wer keine Leistungen beansprucht ist "der Blöde". Und er wird kaum mehr Wohlstand generieren können als jener, der sich gleich auf Sozialleistungen als Einkommensbestandteil verläßt. Dafür erfährt sich der Tüchtige, der Verantwortungsbewußte, der Bescheidene immer klarer als "Zahler der Zeche der anderen".

Die verheerendste Folge ist aber, daß der Staat zum zentralistischen Apparat wurde, dem aber die Vehikel fehlen, um die angeblichen Ziele - Hilfe in Notlagen - zu erreichen. Der sich in jeden Lebensbereich regulierend und umverteilend einmischt, aber damit die Bürger entmündigt, ja zum Funktionieren alle entmündigen muß. So wird jeder vom Staat abhängig und erwartet nun von der Politik eben diese Regulierung, die er selbst nicht mehr leisten kann und will. Denn tatsächlich laufen alle Fäden bei ihm zusammen. Die Leistungskraft kleinerer, untergeordneter Ebenen wird damit zerstört. So wie sich die Solidarität innerhalb aller sozialen Gefüge auflöst. Alle verlassen sich stattdessen auf den anonymen Mechanismus des Staates. Dessen Reden von "Gerechtigkeit" zur diffusen, vernebelten Worthülse wird.

Aber wie immer man es auch sieht - der Sozialstaat wird nicht mehr lange aufrechtzuhalten sein. Es fehlt nur der Mut, rechtzeitig zu reagieren. Denn wie Suchtkranke sind unsere Gesellschaften kaum noch von der Mutterbrust zu entwöhnen. Der eine Grund für diesen absehbaren Zusammenbruch ist, daß irgendwann die Wohltaten auch formal nicht mehr zu finanzieren sind. Der andere der, daß bei näherem Hinsehen gar nicht mehr auszumachen ist, wo sein Vorteil liegen soll. Ja, daß man sogar sagen muß, daß er eine neue Form von Armut geschaffen hat, die zu beseitigen er zwar vorgibt, die ihn aber jetzt schon überfordert. Weil seine psycho-sozialen Folgen jene Leistungskraft aufgezehrt haben, von der alleine er zu leisten wäre.






*201118*