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Freitag, 18. Januar 2019

Menschsein gibt es nur im Nationalen

Einen sehr klugen Aufsatz gab es in diesen Wochen in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen. Der Romanist Hans Ulrich Gumbrecht bringt darin seine Erfahrungen zu Papier, die er rund ums Jahr 1970 mit zwei sogenannten "faschistischen" Diktaturen auf der iberischen Halbinsel gemacht hat, wo er sich jeweils als Student aufhielt.  Die eine war Portugal mit Salazar, die andere Spanien mit Franco. Dabei ist ihm aufgefallen, daß es deutliche Unterschiede zwischen diesen beiden Völkern gab, die formell gerne über einen Kamm geschert werden. 

Und diese Unterschiede, die er als nationale Kultur wahrnahm, drückten sich nicht in den großen Sprüchen und Programmen aus. Im normalen Alltag war da nichts von einem expliziten "Faschismus" zu sehen. Sondern diese Unterschiede (als jeweilige Eigenheiten) waren Tatsachen aus dem alltäglichsten Leben. Die Art des Umgangs miteinander, der in Portugal deutlich auf der "Diskretheit" beruhte, während die Spanier weit "großzügiger", formloser, eigentlich muß man sagen: funktionalistischer waren. Die Art die Häuser zu streichen, öffentliche Räume zu gestalten, das Miteinander zu zelebrieren. Von einer großen faschistischen Diktatur nahm man nur darin etwas war, daß in beiden Ländern Kommunisten streng verfolgt waren.  

Naja, und nicht ohne Grund, will der VdZ da einschieben. Der Kommunismus ist eben tatsächlich eine Subversionsideologie. Er macht alle Menschen "gleich" (wobei das nicht einmal im Kommunismus stimmt, wie die Geschichte zeigt), indem er ihre Spezifika auslöscht, den Menschen in eine Liste technischer Funktionen herunterbricht, und dem Individuum damit sein Gesicht nimmt. Aber damit wird das Menschsein überhaupt ausgelöscht. Denn erst und nur (sic!) im Konkreten, im Spezifischen kann der Mensch sich überhaupt wirklichen. Das heißt somit, daß es ohne regionale, ohne damit auch nationale Kultur gar keinen Menschen gibt, buchstäblich. Menschen in solchen gleichmacherischen Regimen werden tagtäglich um ihr Dasein ringen, um ihre Selbstbehauptung, um ihre Unterscheidung, um ihre Individualisierung. 

Das zeigt sich in den psychischen Strukturen und natürlich in der Art zu denken. Der Kommunismus wendet sich dabei nicht alleine auf die großen Strukturen, sondern er greift eben in diese alltäglichste Kultur des Miteinander ein. Damit wirkt er wirklich kulturzerstörend. Selbst wenn sich auch in den kommunistischen Diktaturen, die Europa im 20. Jahrhundert erlebt hat, überall eine "Bückwaren-Kultur" entwickelt, hat, ein eigentliches Leben neben dem öffentlichen Leben, das eben als Privates, eigentlich Menschliches gar nie zu unterdrücken ist. 

Die Portugiesen, so Gumbholz, gingen dabei mit der Salazar-Diktatur auf eine Weise um, die die offiziellen Abläufe deshalb ungemein komplizierte. Denn jeder, bis hin zum einfachen Grenzbeamten, versuchte, seine persönliche Art, seine portugiesische Art zu bewahren, ohne dabei offizielle Vorschriften zu verletzen. Das machte viele Prozeduren umständlich und langwierig, selbst die einfache Einreise war eine solche langwierige Prozedur. Ganz anders die Spanier, die sich schon der Touristen wegen, die ihnen Devisen brachten, sehr formlos und unkompliziert verhielten. Selbst auf offene Provokationen reagierte die Polizei recht zurückhaltend.

Das für Gumbholz aber so frappierende war eben die Entdeckung, daß selbst in einem vermeintlich einheitlichen Raum - Iberien - so unterschiedliche Kulturen bestehen konnten, die tatsächlich durch eine Landesgrenze getrennt waren. Und wo sich innerhalb weniger Meter eine ganz andere menschliche Alltäglichkeit zeigte. Die sich tatsächlich mit dem einen selbst definierenden Begriff "Portugiese" und "Spanier" änderte. Hat es also mit dem Nationalen doch mehr auf sich als leere Begrifflichkeit, die mühelos zu entsorgen wäre?

Und ist es nicht das, was den Kosmopoliten ausmacht? Nicht, daß das Nationale wegfällt kennzeichnet nämlich diesen. Sondern daß er zu allem Nationalen, auch zu dem eigenen, eine innere Distanz wahrt. Die ihn erst in die Lage versetzt, das "andere" auch zu respektieren, zu achten - und damit sogar zu genießen. Umgekehrt, findet sich auch in den Bewohnern eines solcherart national definierten Staates der Respekt dem "anderen" gegenüber, der eben "anders" ist.

Es braucht Grenzen, schreibt auch Navid Kermani einmal. Es braucht diese Initiation des Übergangs vom Eigenen ins Fremde. Zwar müssen diese Grenzen offen. also überschreitbar sein. Aber es muß sie geben, damit das Andere anders. und somit (sic!) das Eigene eigen bleibt. Erst so macht ein solches Anderssein die Erfahrung des Eigenen möglich. Um das man dann keine Angst mehr hat, weil man fürchtet, es sei verschwunden weil nicht erfahrbar, vor allem aber aus dem Blick. So, wie nämlich immer und überall das Allernächste, das Eigene nicht sichtbar, nicht fühlbar ist - als erst im Gegensatz des anderen.

Was den Kosmopoliten und Anti-Nationalen ganz deutlich vom heutigen "Universalisten" unterscheidet. Der nämlich, in egal welches Land er kommt dort verlangt, daß man sich wie er benimmt - formlos, respektlos, und in überall gleichen Umgangsformen und Indiskretheiten. Der noch dazu von allen die Aufgabe aller Eigenheiten verlangt, im Namen einer globalen Gleichheit. Ja, der selbst gar keine Eigenheiten an sich selber mehr sieht, sondern sie als universal und damit allein rechtens voraussetzt. Der zwar nirgends aneckt (oder das für sich reklamiert), der aber jeden Unterschied neutralisiert und damit den Menschen auflöst, weil er ihn aus den ihn bestimmenden Universalia - die ganz konkret sind: Volk, Nation, Region, Familie etc. - herauslösen möchte.





*011218*