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Mittwoch, 2. Januar 2019

Phantomfeind Islam (1)

Ist der Islam unser Feind? Die Debatte zwischen dem Historiker Karl-Heinz Weißmann und dem Publizisten Michael Stürzenberger behandelt diese Frage sehr kontroversiell. Einem historisch sehr weiten Blick steht ein recht aggressiver Aktivismus gegenüber, der Leser möge sich selber denken, welcher Argumentationsseite der VdZ zuneigt. Oder - eher zuneigt. Denn die Gretchenfrage ist, was Religion überhaupt ist. Und was sie sein muß, nämlich der Boden einer täglichen Lebensweise, oder eine Ideologie. Die sich aus jeder Religion machen läßt, ja zu der jede Religion wird, sobald sie nicht ... katholisch, also alles umfassend, das heißt: der gesamten Wirklichkeit gegenüber offen ist. 

Grundsätzlich ist Weißmann zuzustimmen, daß die Konfrontation mit dem Islam hierzulande (und weltweit) in erster Linie eine Frage der Kultur und Lebensweise ist, die erst in der Religion, die Islam (Unterwerfung) genannt wird, zu einem expliziten Thesengebäude wird. So ist er auch entstanden. Diesen ungemein pragmatischen Aspekt dieses Konglomerats aus Arianismus und heidnischen Nomadenreligionen darf man nie übersehen. Erst waren da politische Probleme, erst waren da zivilisatorische Probleme in einem geographischen Raum, der in ein Chaos mit vielen Neuordnungsparteien und -versuchen versank, nachdem sich Byzanz zurückgezogen hatte. 

Das bestätigt sich auch dadurch, daß der Islam interessanterweise überall dort so in den Vordergrund kommt, wie momentan bei vielen Migranten in Europa, wo die reale Lebenssituation als schwach und ungeordnet erfahren wird. Deshalb ist es eine zutreffende Beobachtung, daß es nirgendwo in einem muslimischen Land so viele verschleierte Frauen gibt wie in Wien oder Berlin oder Paris. Umgeben von einer fremden Umgebung, beginnt eine Weltsicht Gewicht zu erhalten, die die eigene Überlegenheit wie ein Etikett vor Augen stellt. Sich selbst gegenüber nicht weniger wie allen anderen gegenüber. Diese Fremdheit ist der entscheidende Punkt, Weißmann nennt sie die "ethnische" Natur des Konflikts. Sie ergibt sich aus einer im Natürlichen, also noch "vor-religiös" sehr verschiedenen Lebensweise. 

Wobei es natürlich eine "rein natürliche" Lebensweise gar nicht gibt, sie hat immer bereits eine genuin religiöse Haltung "dem Absoluten gegenüber" zur Grundlage. Die dann in der expliziten Religion zur Konkretisierung kommt. Insofern hat der Protestantismus (aller möglichen Denominationen), aber auch die individuelle, real gelebte Religion innerhalb des Katholizismus ein dem Islam praktisch gleiches Problem. Die Klammer bildet lediglich der tägliche Lebensvollzug. Er macht, daß sich Menschen eines Volkes, eines Kulturraumes weitestgehend "ohne Disput" begegnen können, ohne sich ständig mißzuverstehen. Sie können dem anderen vertrauen, ohne darüber zu sprechen. Weil die Wertecodices, die Verhaltensnormen relativ gleich sind. Das trifft auf einen Menschen aus dem arabischen oder afrikanischen Raum nicht in dem Maß zu. Er wird sich mit den europäischen Alltagsnormen in vielem nicht identifizieren können.

Auf dieser Verschiedenheit, also auf psycho-sozialen (bzw. kulturellen) Fragen, baut dann die Ebene des religiösen Konflikts auf. In dem der Islam in der heutigen Weltlage, wo er sich noch dazu durch die universalistischen Medien mit einem westlichen und "überlegenen" Alltag konfrontiert sieht, fast zwangsläufig zu einem "Islamismus" wird. Weißmann hat somit auch darin recht, wenn er darauf hinweist, daß man zur Beurteilung der realen Wirklichkeit einer Religion nicht einfach deren Bezugsschrift (also beim Islam den Koran, oder beim Christen die Bibel) heranziehen kann. Nicht in der Regel zumindest. Das wird für die meisten Mitglieder dieser Religion erst bedeutend, wenn der alltägliche Normalrahmen, die soziale Ordnung, die eigene Lebenserfülltheit bricht oder gestört ist.

Und nun kommen wir auch der Tatsache begreifend näher, warum es so viele "Islame" gibt. Ähnlich wie der Protestantismus ruht er nämlich auf Lebenswirklichkeiten auf. Und die sind verschieden. Also werden auch seine Inhalte verschieden gewichtet. "Den Islam" gibt es nicht. Alle Versuche, einen solchen zu konstruieren, so etwas wie allgemeine Lehrhoheit zu schaffen, sind bislang gescheitert. Er zerfällt in zahllose Richtungen und Parteien. Und jeder bezeichnet seinen Islam als den einzig wahren. "Den Islam" zum Feind zu erklären ist also, als würde man in einen Haufen Sand greifen. Zieht man die vermeintlich gefüllte Hand heraus und schaut nach, was man nun hat, zerrinnt alles zwischen den Fingern.

Aus einzelnen Suren läßt sich also nicht (zwingend) ableiten, daß jeder Muslim ein erklärter Todfeind ist. Das würde zudem die Schriftlichkeit (insgesamt, aber auch und gerade für diese Kulturkreise) gehörig mißverstehen. Auf diese schriftlichen Inhalte wird erst zurückgegriffen, wenn die Lebenswirklichkeit eine Verortung innerhalb eines sozialen Gefüges, das den eigenen Anlagen, Talenten, Wünschen nach Anerkennung, sozialer Stellung etc. entspräche, nicht mehr zuläßt.

Das zeigt sich auch historisch recht eindeutig, worauf Weißmann auch hinweist. Nicht der Islam hat den arabischen Raum geformt. Ein Islam entstand nur als Rückgriffs- und Rechtfertigungsmöglichkeit. Ebenso wie die Figur eines "idealen Muslim" namens "Mohammed der Prophet", deren historische Existenz alles andere als belegbar ist. Seine Biographie, auf die sich heute alle beziehen und die in den Hadithen als praktische Moralanweisung durch Ableitung von diesem Vorbild her existiert, entstand erst allmählich und über hunderte von Jahren, in denen sich (über viele Zufügungs-, aber vor allem auch Reinigungsprozesse) dieser "ideale Mensch" zu dem auswuchs, als was wir ihn heute kennen.

Zum Beleg: Im 9. Jhd. gab es über 1 Million Hadithe. Jeder hat sich eben - salopp formuliert - seine Religion gebastelt. Erst jetzt begannen Zentralisierungsversuche.* Wirklich erfolgreich für den islamischen Raum insgesamt waren die aber auch nicht. (Was den Wunsch nach einem einheitlichen Kalifat begreifbarer macht.) Und umso aussagestärker ist die Bedeutung des "Islam": Jede Variante verlangt unbedingte Unterwerfung. Und dieses autoritative Gebot spielt bei allen Varianten eine ganz gewichtige Rolle. Es ist vielleicht sogar das einendste Element.


Morgen Teil 2)




*Das macht einmal mehr die Bedeutung des von Gott gestifteten Petrusamtes deutlich. Wo immer das Papstamt abgelehnt wurde, geschah es erstens aus persönlichen Gründen, und zweitens zerfiel die Abspaltung weiter in immer mehr Varianten.






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