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Freitag, 11. Mai 2018

Die unwiderstehliche Erotik des Möglichen (1)

Technik hat wie jede Möglichkeit einen Eros, hat innerhalb des Weltgefüges deshalb die Tendenz, auch real zu werden. Deshalb ist es nie ausreichend, Möglichkeiten zu schaffen, die man dann begrenzt, weil man sie so vermeintlich im Zaum halten kann. Es kommt vielmehr in diesem komplexen menschlichen Gefüge, das aufgrund seiner Schwäche zu Fehlern (das heißt: Sünden) neigt, die auch Realität werden, der Moment, wo jede Technik entgrenzt benützt und eingesetzt wird. Die gewaltige Menge an Daten, die heute über die Menschen gesammelt wird, hat deshalb ihre wahre Bedrohungsnatur nie darin gezeigt, was sie bereits tut, und wo man sie beschränken kann und meint zu müssen. Sie hat sie in den Möglichkeiten gezeigt, auch wenn diese noch nicht Realität wurden.

Es gäbe nur einen Meister aller dieser Fehlentwicklungen, und das ist Gott. Nur Menschen, die fest in Gott verankert sind, der das Maß und den Takt der Wirklichkeit bestimmt, sodaß also das Gute, Schöne, Wahre in den Dingen und deren Gebrauch selbst liegt, wären in der Lage, Technik so gemach einzusetzen, daß sie nicht durch Auswucherung jenen den Menschen in reines Nutzdenken verformenden Charakter annimmt, den sie tatsächlich in der Geschichte dann doch stets annahm. Und erst recht heute. 

Denn gleichzeitig bräuchte so eine Haltung vor Gott eine starke kulturelle Institutionalisierung, muß in der individuellen Haltung der Menschen verankert und getragen sein. So, wie die Griechen etwa mit der Technik umgingen. Die keine Technik auf Dauer einsetzten, sondern sie stets nur sehr begrenzt verwendeten, und sofort wieder von ihr abließen. Weil sie dem wahren Menschsein widersprach, ja es zerstörte. Die Größe und Lebensgeglücktheit in ganz anderen, geistigen Werten erfüllt sahen: Ehre, Geistigkeit generell, subsummiert unter dem Begriff der Freiheit, die weniger eine Freiheit von als eine Freiheit zu ist, die erst dann real und aktuell ist - deshalb in gewisser Weise flüchtig - wenn sie sich in einer Situation erheben kann. Der Mensch also dem Gesollten frei folgt. Das ist die Haltung des Spiels. In der es nicht auf den technischen Effekt, den Nutzen einer Tat ankommt, sondern auf die innere Haltung, das Wachstum der Seele zur Persönlichkeit.

Wobei wir uns nicht täuschen sollen: Diese Hochzeiten dauerten auch dort nur kurze Zeit, und bald begann auch dort die Technik vielfach das Leben umzuformen. Diese Hemmung, diese großartige menschliche Prägung besaßen bereits die Römer nicht mehr, speziell in der Zeit der Republik, endgültig nicht mehr in der Zeit der Kaiser.

Von alle dem sind wir nicht nur weit entfernt, sondern wir entfernen uns sogar in Riesenschritten weiter davon.

Und damit bekommen wir es so sicher wie das Amen im Gebet mit den schlimmsten Auswirkungen des heutigen Technikgebrauchs zu tun. Sämtliche unserer Lebensabläufe werden mehr und mehr zu Prozessen einer Maschine. Die der Welt überzustülpen und zu perfektionieren wiederum in der Natur der Technik bzw. des Menschen, der mit ihr zu tun hat, der sie kennt, der sie betreut, der sie schafft, liegt. 

Für den heutigen Weltbegriff wird damit das, was die Welt eigentlich ist - und zwar buchstäblich, nicht im übertragenen, verfrömmelten Sinn, nein, handfest, real! - völlig ausgeblendet. Was die Welt in Wirklichkeit ausmacht, trägt, vorantreibt, Herrschaften, ist (Trommelwirbel) .. das Wunder. Die Welt ist überhaupt nur, weil sie ein unausgesetztes Geschehen von Wundern ist! Was also krank daran ist, sich solche Systeme der Beherrschung auszudenken, ist, daß wir nicht mehr wissen, was Realität ist, weil wir nicht mehr wissen, was Wirklichkeit ist.

Bereits hier haben wir es mit einer Auswirkung der Technik zu tun, vor der sich die alten Griechen gehütet haben wie der Teufel das Weihwasser scheut: genau das wollten sie nicht. Wir aber haben durch unsere exzessive Nutzung von Technik in allen Bereichen - auch und gerade im Sozialen (durch den Sozialstaat heutiger Prägung, eine Technik) - eine Haltung verinnerlicht, in der uns die Welt ohne Wunder, als reines Ablaufschema erscheinen will. Dies wird gestützt von einer (aufklärerischen) Weltsicht des Materialismus, in der die Welt ohne Wunder auskommt. Eine solche Welt fällt (scheinbar, es ist ein Schein! es entspricht nicht der Wirklichkeit!) immer mehr auf uns zurück. In ihr bewegt sich nur noch, was wir in ihr als technischen Ablauf bewegen, und was immer uns begegnete wird ebenso gedeutet. Wunderlos. Als rein mechanischer, materieller Ablauf einer Welt, die nur Technik ist.

In diese sohin "falsche" Realität fällt auch die Rundumerfassung des Menschen, die Verquickung von Daten. Alles weil es vermeintlich positiven Zwecken dient - Sicherheit, Gesundheitsvorsorge, grob gesagt: Steigerung des Lebensglücks. Vor allem letzteres ein Begriff, der unter völliger Neudeutung verwendet wird. Das Wesentliche an der menschlichen Geglücktheit, die Freiheit, wird zum bloßen Schein.

Wohin das alles führt, exerziert uns nun China vor. Was 2017 als Experiment in einigen Großstädten begann, wird ab 2020 das gesamte Land erfaßt haben. Und erregt kaum Widerstand, denn immerhin ist China durch die Nutzenphilosophie des Konfuzianismus seit je dafür aufgeschlossen. Die Rede ist von einem "Anständigen-Index", unter dem jeder Bewohner erfaßt wird. Ausgehend von einer gewissen Punktezahl, werden die bereits jetzt bestehenden zahllosen Überwachungsinstrumente (von einem gewaltigen Netz von Kameras angefangen, bis über Gesundheitsdaten, Profilen von Internetaktivitäten, einfach alles, was sich in ein die Ja-Nein-Technologie des Computers umlegen läßt) laufend ausgewertet. Daraus ergeben sich Bewertungspunkte, die bei erwünschtem Verhalten zu einer Vermehrung, bei unerwünschtem Verhalten zu einer Reduktion der Punkte dieses Index führt.

Sich auszudenken, was das für Möglichkeiten der Disziplinierung mit sich bringt, können wir getrost dem Leser überlassen. Wer immer den Vorstellungen eines "guten=erwünschten Menschen" nicht entspricht, ist unzähligen Drangsalierungs=Erziehungs=Umformungsmöglichkeiten ausgesetzt, in denen er nach und nach von Leben und Gesellschaft ausgeschlossen werden kann und wird. Während umgekehrt das Leben und die Öffentlichkeit immer mehr in die Hände jener übergehen werden, die den Idealvorstellungen entsprechen. 


Morgen Teil 2) Eine verheerende Umdeutung von Freiheit zerstört sie





*040518*