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Montag, 21. Mai 2018

Von der Austrocknung einer Religion

Dieser feine, furchterregende Kreislauf [...], der Lymphfluß einer Religion, blieb in Doktrin und Glaubenskult bestehen, doch die Ausbildung der Geistlichen entfernte sich durch einen langsamen Wandel in der Sprachmorphologie allmählich vom christlichen Leben und glitt hinter eine immer dichter werdende Glasscheibe. Die Wahrheiten blieben zwar sichtbar, wurden aber immer schwieriger zu fassen. 

[...] Aber die körperlichen Elemente des Ehrfurchtgebietenden schienen verschwunden aus den Predigten und Gedanken über die Heilige Messe. Selbst die alte Erklärung tremendum hoc mysterium war trotz ihres allein schon klangliche beeindruckenden Gewichts aus nahezu allen liturgischen Texten herausgefallen. Das Opfer, das man zu Seinem Gedächtnis stets treulich vollzog, verrauchte mehr und mehr im Geistigen. Wie viele Menschen wollten dem Priester noch die furchterregende Gestalt des Opferers zugestehen? [...] Wer war noch imstande, mehr darin zu sehen als äußere Zeichen eines Auserwähltseins, das nicht in des Menschen Macht stand?

[...] Weit mehr bewahrte sich etwas von der alten transzendenten Sinnlichkeit in gewissen, vorschnell als "abergläubisch" verrufenen Vorlieben des Volkes: In dessen Bedürfnis, Reliquien zu berühren, den Mund auf Bilder und Statuen zu drücken, auf Knien über die Fliesen heiliger Stätten zu rutschen (wie das blutflüssige Weib; Anm.), der Gottheit ein Stück von sich selbst zu opfern, zum Beispiel die abgeschnittenen Zöpfe.

Die Renaissance, die Reformation, die unaufhörliche Notwendigkeit theologischer Auseinandersetzungen, vor allem die Aufklärung: Jeder Gegenbeweis wurde zur rechten Zeit von der Lehre überwunden, schien jedoch einen Teil des glühenden Leibes, der flammenden Haut des alten christlichen Lebens mit sich fortzureißen: jenes Lebens, das in allen Bestandteilen seines göttlichen Leibes unendlich war.

[...] Das wahre Wunder - zweifellos nicht nur ein Wunder der Gnade, sondern auch eines der Treue - besteht darin, daß über fünfzehn Generationen von Männern und Frauen Heilige werden konnten, die sich in derlei Bilder versenkten oder sich mühten, "Kränzelein" zu winden, "Blümelein" zu pflücken, Gefühle und Empfindungen zu wecken für Bändchen, die heute mit einem Male anbetungswürdig und kostbar geworden sind, in Anbetracht dessen was nach ihnen kam und noch immer kommt; etwas, das nicht einmal der Erwähnung wert wäre, wenn man nicht wüßte, daß die Pest nur dort wüten kann, wo eine tödliche Magerkeit sie erwartet. Was der Leib seit Jahrhunderten vergessen hat, wird mühelos aus den Seelen geschwemmt.



Cristina Campo, in "Die Unverzeihlichen"






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