Wenn im alten China - aber auch von sehr vielen anderen Völkern ist das oder sinngemäß das Gleiche bekannt, auch von den Germanenvölkern, auch von den deutschen Fürsten - das Volk unter Hunger und Mißgeschicken litt, wurde der Kaiser geopfert. Der machte auch gar nicht viel Aufhebens darum, sondern ging selbst auf die Schlachtbank. Dahinter steht der Begriff der "Stellvertretung", ohne den auch die Erlösertat Jesu Christi nicht verständlich wäre: Einer steht für alle. Und als König steht er für alle seine Untertanen. Aber auch in den zahllosen unteren gesellschaftlichen Verwobenheiten findet sich im Sinn Gleiches.
Der Leiter für das Ganze und die Untergebenen, der Vater für das Haus (als eigentlichere, umfassendere Form der "Familie"), der Mann für die Ehe, der Ältere für die Jüngeren, der Graf für sein Land und seine Bewohner, die Beispiele sind wahrlich unendlich. Denn die Welt ist in ihrem Wesen nicht einfach nur ein hierarchisches Geflecht, sondern sie ist vor allem und in allem ein unendlich fein gesponnenes Geflecht aus Organismen, die allesamt und untereinander, je nach Zugehörigkeiten, "pars pro toto" fungieren. Dasselbe gilt für alle Teile eines jeweiligen Ganzen, also auch für Teile eines Staates, einer Landschaftseinheit, einer Gemeinde, und es gilt auch für Teile einer Generation und damit für Generationsfolgen.
Wo immer jemand "zu" etwas gehört, und das tut er in hohem Maße schon durch Geburt. Nur verhältnismäßig wenig gibt es nämlich, das im späteren Leben noch als zusätzlich und willkürlich gewählt dazukommt. Das betrifft sogar solche scheinbar belanglosen Dinge wie eine "Nationalmannschaft" - auch hier steht eine Elf für ein Volk. Und das Zittern der Zuschauer ist keineswegs perverses Vergnügen dekadenter Konsummisten, sondern im heutigen Konsumismus noch ein Gruß aus dem "Land des Echten", des Ewigen, das ist das Schönste am Fußball.
Denn das Wesen der Dinge ist zuerst und in allem und vor allem definiert durch Beziehungen. Ja, man kann, nimmt man die Gedanken von John Zubiri auf, und der VdZ ist ihnen sofort beigetreten, denn sie waren auch die seinen, das Wesen aller Dinge insofern als "Ort" bezeichnen und sehen, als das Wesen aller Dinge in ihren Beziehungen gegründet ist, diese Beziehungen sogar ihr Wesen SIND. Sodaß es absurd ist, sich von Beziehungen "freisprechen" zu wollen. Und das betrifft auch Beziehungen der Schuld.
Das erneut anzuspielen scheint dem VdZ notwendig, nachdem er sich zuletzt an dieser Stelle so viel mit der Tatsache befaßte, daß es dennoch nur Schuld im Einzelnen gäbe. Und zwar als direkte Sünde, als direkte Abwendung von Gott und damit vom Wesen der Dinge. Denn jede Sünde ist ein Verstoß gegen die Natur - also gegen das, wozu ein Ding in die Welt kam.
Denn wenn etwas heute auffällt so ist es das Streben der jüngeren Generationen, sich aus diesen Zusammenhängen mit einem Ganzen herauszulösen. Zu behaupten, daß ihr Leben nicht in einer Schicksalsgemeinschaft mit der Geschichte ihrer Herkunft zu tun hätte, sondern quasi von Null beginnen könnte. Deshalb gibt es überall heute so viele Schuldige! Und niemand scheint ... selbst schuldig zu sein. Aber das kommt absolut und völlig einem Leugnen des eigenen Gutes gleich! Denn auch das haben sie von ihrem Herkommen erhalten. Nichts also, das sie sich selbst verdankten! Nicht im Guten- aber auch nicht in dem, wo sie in Schuld der Vorfahren und aller ihrer Schichten und Gruppen und Wesensgeflechte, denen sie zugehören, MIT verstrickt sind. Quasi "von selbst".
Nur - darin liegt eben gar kein Problem. Das löste sich zum einen auch sofort, wenn man davon ausgehen könnte, daß jeder sich seines eigenen Fehlens - sieben mal siebzig Mal am Tage! - bewußt würde und wäre. Bewußt wäre, wie leicht er selbst fehlt. Zum anderen aber gilt es zu unterscheiden zwischen individueller Sünde - das Fehlen, das Sündigen ist immer individuell verursacht, denn der Mensch ist prinzipiell frei geboren, und diese Freiheit erlischt nicht einfach, selbst wenn man sie "abgibt", und niemandem kann und darf sie abgesprochen werden! - und den Folgen der Sünde, also den Folgen der Schuld. Gibt es also immer nur individuelle "Schuld" als Folge eines Vergehens (und jedes Vergehen ist individuell), so gibt es sehr wohl (sic!) die Mitbetroffenheit jedes, wirklich jedes Kollektivs von eben dieser individuellen Schuld.
Wo deshalb einer sündigt, sündigt auch das Kollektiv mit ihm, und hat unter den Folgen der Tat des Einzelnen mit zu leiden. (Was natürlich auch für das Gute gilt.) Lustigerweise bedienen sich gerade atheistische Staaten am liebsten dieser Wirklichkeiten - kaum wo wurden und werden Einzelleistungen so sehr als Leistungen und Eigenschaften des Kollektivs dargestellt wie in totalitären Staaten.
Und dennoch ändert das nichts daran, daß es ... wahr ist. Im Gegenteil. Wo die Idee eine Lüge ist, braucht ein System umso mehr substantielle Wirklichkeitsstrukturen.
Das heißt wiederum, daß wir sehr wohl - als Deutsche - an den Taten unserer Väter mit zu sühnen und zu leiden haben! Genau so, wie wir darüber stolz sein dürfen und müssen, ja, müssen! Denn in ihnen sehen wir auch unsere Möglichkeiten, unser Wesen, denn sie standen am selben Ort wie wir. Das heißt nicht, daß wir individuell "gleichermaßen schuldig" sind, das gewiß nicht. Es heißt aber, daß wir mit allfälliger Schuld unserer Vorvorderen als Tatsache umgehen müssen. Sie gehört zu unserer Gegenwart, das ist außerhalb jeder Frage.
Und jede, wirklich jede Epoche, ja jeder Moment der Geschichte kann man nur in diesen Zusammenhängen verstehen. Keine Generation steht in einem Geschehen, das mit ihr nichts zu tun hat! Weil sie "keine Schuld" daran hätte. Individuell - vielleicht. Als Person aber - immer: ja.
Wenn also so manche sich deshalb "exkulpieren" wollen, indem sie diesen Wesens- weil Seinszusammenhang bestreiten und verleugnen, so tun sie etwas, das genau so furchtbar ist wie das, was ihnen ihre Gegner oder Feinde vorexerzieren: Sie lösen BEIDE die Gemeinschaftszusammenhänge auf. Solche Gesellschaften, in denen diese Generationenzusammenhänge etcetera geleugnet werden, atomisieren sich, ohne jeden Verzug. Dann gar noch von Volk zu sprechen, dessen Ehre in der Gegenwart zu retten sei, ist an der Grenze zur Lächerlichkeit.
Ja, wir - Du, geneigter Leser, und der VdZ - haben keine individuelle Schuld an so manchem. Wir haben auch so manche Großtat der Vergangenheit nicht selbst vollbracht, das gilt genau so. Dennoch stehen wir im Schatten dieser Taten unserer Vorvorderen. Und dürfen - im einen Fall - wie müssen - im anderen Fall - mit den Folgen dieser Taten, mit den Schatten und Lichtblitzen auf unseren kollektiven Zugehörigkeiten, leben. Heute. In der Gegenwart. Und deshalb, so wie der Sohn die Schulden des Vaters zahlt, während er gleichermaßen ja das positive Erbe zu seinem Nutzen zur Verfügung hat, sind wir immer in einem direkten Zusammenhang mit unserer Vergangenheit zu sehen. Und so, wie wir im Einzelfall an dieser oder jener Tat nicht teilgenommen haben, so tragen wir mit an der Schuld anderer, die - wie bei den 68ern vielfach geschehen - direkt böse Taten vollbracht haben, im Wahn, sie würden ein neues Menschsein erschaffen, fern von allen Generationenzusammenhängen.
WIR, Sie, geneigter Leser, und ICH, der VdZ, leiden an allem, was unsere Altersgenossen getan haben. WIR müssen auch deren Suppe auslöffeln, daran führt kein Weg vorbei. Unsere Sühne ist deshalb auch die Sühne unserer Generation. Und die der Vorfahren. Und deren Vorfahren. Bis zum Anfang der Zeiten steht deshalb der Mensch in einer Folge der Menschheit.
Diese Zusammenhänge aber zerreißen zu wollen, hat eine ganz andere Herkunft. Es hängt damit zusammen, daß wir nicht mehr wissen, und nicht mehr zu gebrauchen wissen, daß es ein einziges vor Gott (dem Sein selbst) legitimes Entschuldungsverfahren gibt - das ist das der Beichte! Und das sind die Instrumente des Ablasses, der uns von Schuldenstrafen befreit. Ohne daß uns eines dieser beiden Instrumente von den FOLGEN der Sünde befreien könnte. Wer getötet hat, hat nun keinen Nachbarn mehr, ob ihm nun seine Schuld samt der Strafe erlassen wurde oder nicht. Die Beichte produziert kein Utopia.
Nur eines kann und soll uns hier noch trösten: Daß Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreibt. Daß wir in der Hand Gottes einer Vorsehung ausgeliefert sind, die auch aus schlechtesten Voraussetzungen (unserer Ansicht nach) noch ein Gut drechseln kann. Und - das auch tut!
DAS dürfen wir niemals vergessen. Genau so wie wir um Gottes Willen nicht vergessen dürfen, wie viel Gutes wir von eben diesen selben erhalten, übernommen, ungeschuldet geschenkt bekommen haben.
Wenn wir aber - immer und ständig! - zu einem aufgerufen sind, dann ist es die Sühne. Und zwar die STELLVERTRETENDE SÜHNE. Denn in ihr heilen und sanieren wir alle jene Gemeinschaften, alle jenen unzähligen Gemeinschaften und Generationszusammenhänge, in denen wir stehen. Und zu diesem Dienst sind wir alle nicht nur gerufen, sondern sogar verpflichtet. In welchem wir diese Gemeinschaften (so vielfältiger Art!), in denen wir stehen, wieder in die Ordnung Gottes hineinheben. Uns wie der König für das Ganze opfern, auf daß es dem Ganzen - und damit wiederum uns! - wohl ergehe.
Denn kein Mensch ist nur für sich stehender Mensch, wenngleich er nur als für sich Stehender verantwortlich handeln kann, also verdienstlich handeln kann. Er ist aber Mensch, weil er immer und zu so vielem in niemals gleichgültiger, unwesentlicher Beziehung steht. Ja ERST DAS macht ihn zum Menschen.
*020518*