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Montag, 8. Oktober 2018

Aus den Höhlen heraus

Mit der Verstoßung aus dem Paradies war die Menschheit auf sich zurückgeworfen, mußte gewissermaßen bei Null anfangen. Nicht einmal Kleidung hatte sie, kein Werkzeug, nichts. Alles mußte neu eingerichtet und adaptiert werden, um in dem vorerst noch alles beherrschenden Chaos zu bestehen. Und alles ließ sich einrichten, wenigstens irgendwie, denn der Mensch hatte die Sprache, und damit den Verstand, jene Urmatrix der Schöpfung insgesamt, gegenwärtig und (anfänglich, vorgängig, nicht dazugekommen) in der Schrift. In ihr war die Schönheit gegenwärtig, wenn auch nur als Abglanz. Nur heilige Hände durften sie aber berühren, nur heilige Münder sie im Klang inkarnieren, nur gereinigte Ohren sie zur Speise nehmen.*

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So mußte der Mensch in mühevollen Lernprozessen schrittweise das aufbauen, was wir als Kultur und Kulturen der Vergangenheit, als Geschichte kennen. Ausgehend von den heiligen Schriften. Nur insofern kann man von einer historischen Entwicklung sprechen.

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Aber von allem Anfang an war sich der Mensch seines gebrochenen Verhältnisses zu Gott bewußt, von allem Anfang an gab es deshalb Religion mit ihrem Zentrum, der Heiligkeit der Schriften (deren Zeichen ja Symbole sind, als Ausgangspunkt aller menschlichen Weltbewohnung). In ihr lebte auch die Erinnerung an die anfänglichen Erfahrungen weiter, in denen sich auch noch Erinnerungen an das Verlorene, an das Paradies bewahrten. Als Sehnsuchtspunkt und Ziel. Das finden wir in Mythen und uralten Erzählungen, die die Qualitäten, Eigenschaftlichkeiten der Grundlagen der Welt nachvollziehbar machten.

Doch der Mensch war des Schauens verlustig gegangen, und so mußte er sich alles über deduktives Denken neu rekonstruieren. Mehr als eine Annäherung war hier nie möglich. Nur in einem Punkt wurde der Himmel wieder ahnbar: in der Kunst. Deshalb findet man in den finstersten Höhlen auch Zeugnisse von Kult und Riten. Die selbst die Quelle und der eigentliche Heimplatz aller Kunst sind. Nur dort lebt noch etwas vom Paradies fort.

Je mehr sich aber der Rang der ersten Schriften verringerte, je mehr diese verblaßten und ihre Bindungskraft weil Gegenwart weil Begriffensein verloren, durch den nunmehr zum Zergliedern gezwungenen menschlichen Verstand, den die sündliche Neigung weiter zerbrach, je mehr das nur noch nützliche Werkzeug seine Rolle übernahm, desto mehr wurde auch die Welt aus dem Einen ins Viele aufgespalten. Polytheismus war die Folge, Aufteilung der Wirklichkeiten als Beweger. Und in seiner Verlängerung entkomponierte sich das Weltganze in die Dekadenz der Magie, also der Technik, die das wirkliche Wirkliche ersetzte und scheinbar beherrschbar machte.

Sämtliche kulturellen Entwicklungen haben so begonnen und sind diesen Weg gegangen. Auf dem sie immer wieder und meist schon nach kurzer Zeit, wenigen Generationen, an der menschlichen Schwäche scheiterten. Deshalb kamen und gingen Kulturen, wie wir es kennen, Länder, Reiche. Kultur ist aber nicht etwas, das "auch" möglich ist, sondern das immanente Antlitz der Eigentlichwerdung aller Dinge der Welt, deshalb schon prinzipiell aus der Religion hervorgehend. Sie ist Farbe und Geschmack des Menschseins. Außerhalb von Kultur, außerhalb von Schönheit gibt es also nicht ein vermindertes Menschsein, sondern gar keines. Und außerhalb der Kultur fällt die (menschenleere) Welt in Chaos, Angst, Tod und Kampf, woraus zu befreien eben Aufgabe des Menschen (als Krone der Schöpfung, auf den alle Dinge ausgerichtet sind) ist.

Nur eine Kultur ist aber auf Dauer angelegt - und das ist es, was die Kirche ist. Denn nur sie ist jene Kultur, die (über die Sakramente) in Gott selbst gründet. In ihr erfüllt die Schöpfung wieder ihren ureigensten Sinn als Lobpreis Gottes, in ihr kommt alles zu sich, worin der Mensch die Welt hineinzuführen hat - zu seinem vollkommensten Selbstsein, das sein "sein für" ist. Und in ihr bekommt alles wieder seinen bestimmungsgemäßen Ort, als den Platz der Hereinnahme der Gnade. Erst in ihr hat die Welt ihren Charakter des gottlosen Schreckens wieder verloren, denn aus sich heraus war der Mensch nicht in der Lage, auch nicht in seinen Tempeln als Gott geweihte Stätten, jene Haine zu schaffen, in denen der Herr wandelte.

Denn alles Einzelne ist erst was es ist, in einer fortwährenden Aktualisierung, die es bedeutet zu sein, wenn es einen Platz in einem übergreifenden Sinngefüge hat, auf den hin es sich dann selbst überschreitet und aufgeht in der hingebenden Erfüllung seiner Aufgabe, in der es angesprochen wird. Die jedes Ding, jedes Lebewesen, jeden Menschen als ständige Anfrage umgibt wie den Fisch das Wasser.

So weist das Viele immer auf das Eine, ist das Eine abbildhaft im Vielen enthalten. Und wandelt Gott im Sakrament unter den Menschen, wie zu den Tagen des Paradieses. Denn in Jesus Christus kam sie zurück, die Urschrift als Wort, das nicht nur bei Gott war, sondern das Gott war.** Mehr als Symbol, sondern inkarniert und real. Denn Christus, das fleischgewordene Wort, ist die Schrift Gottes, aus dem jeder weitere Buchstabe als Welt-Vieles hervorgeht. Denn in ihm ist Schönheit selbst. Und damit die Welt.







*Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.

**Hierin gründet die wahre Bedeutung der Kalligraphie. Was wir heute als "Erfindung der Schrift" (Hethiter, Sumerer, Phönizier etc.) bezeichnen, ist in Wahrheit bereits deren Profanierung und ein Schritt der Degeneration. In dem Form und Inhalt bereits getrennt sind, und die Schrift zur technischen Funktion wird, zur bloßen Erinnerungshilfe. Kein Wunder also, daß diese "erfundenen Schriften" in ihren ältesten Zeugnissen kaufmännische Aufzeichnungen sind.






*190918*