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Samstag, 13. Oktober 2018

Das Wichtige fliegt unter dem Radar

Man hört wenig über den Ukraine-Konflikt in diesen Tagen. Das heißt aber nicht, daß er nicht weiter voranschreitet. Er tut es. Er tut es nur an einer anderen Front, schreibt Ianto Watts, der die Situation der Orthodoxen Kirche analysiert und zu interessanten Schlüssen kommt. Denn wenn es bislang eher um Ortschaften, Gebiete, Panzer und Divisionen ging, so geht es nun um die Herzen der Menschen - als Vorzeichen wie Begleiterscheinung für ein handfestes Schisma in der Orthodoxie. Am 12. September d. J. hat die russische Orthodoxie beschlossen, den Patriarchen von Konstantinopel, Patriarch Bartholomäus I., nicht mehr im Hochgebet zu nennen. Damit bindet sie sich nicht mehr ihm an.

Anders als in der römischen Kirche, hat die Orthodoxie ja keinen Papst. Lediglich einen Vorsitzenden. Und dieser Vorsitzende der Kirche, der darin Garant der Einheit, ist dort einer der fünf Patriarchen (alle fassen gewissermaßen Teilbereiche zusammen, die wiederum in Diözesen aufgeteilt sind, was sich im übrigen mit der Struktur der römischen Kirche prinzipiell und bis heute deckt), der aber als Gleicher unter Gleichen nur einen Ehrenvorsitz hat.

Machen wir es kürzer, als es die schon bisher so gar nicht ruhig-eine orthodoxe Kirche verdiente. Seit dem 16. Jahrhundert hat Moskau als geistliches Zentrum Kiew den Rang abgelaufen. Das war allgemeiner Beschluß sämtlicher Patriarchen und gilt bis heute. Und bis heute hat Moskau auch den Ehrenvorsitzenden der gesamten Orthodoxie, den Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus I. finanziert und in seinem Titel ohne Mittel (viele Orthodoxe gibt es in Istanbul ja nicht mehr) gewissermaßen am Leben erhalten. 

Schon bisher haben aber die Patriarchen von Moskau, Patriarch Kyrill, Antiochien (auch diese Diözese gibt es nur noch auf dem Papier, sie lebt aber insofern, als sie im Nahen Osten und in den USA eine beträchtliche Gefolgschaft hat), Alexandria (dito), und Jerusalem (das viel orthodoxer bestimmt ist als wir uns gewöhnlich bewußt machen) Widerstand angekündigt. Und nun umgesetzt.

Es rumort in der Orthodoxie, meint Watts. 

Weil Bartholomäus I., Patriarch von Konstantinopel alias Istanbul, alle Anzeichen zeigte, sich "wie ein Papst" aufzuführen. Also einfach selbstherrlich zu bestimmen, wie der Kurs der Orthodoxie auszusehen habe. Und zwar vor allem politisch, disziplinär! Man wirft ihm ohnehin schon lange vor, sich dem römischen Papst allzu sehr anzunähern, ja diesem schon regelrecht zu "folgen". 

Nun hat eben dieser Patriarch von Konstantinopel angekündigt, die ukrainische orthodoxe Kirche, die bislang und unbestritten dem Patriarchat von Moskau zugeordnet war, "autokephal" zu stellen. Das heißt, sie insoweit auf sich zu stellen, als sie in Fragen der Bischofsernennungen und Aufgabenbestellungen aus Moskau herausgelöst wäre. Und das hätte ganz sicher gewaltige Auswirkungen auf die Gläubigen in der Ukraine. Die fortan geistig-geistlich also nach dem Westen orientiert wären, statt wie seit je nach Moskau.

Denn gleichzeitig hat sich Bartholomäus I. selbst als Oberhaupt dieser neuen Teilkirche der Orthodoxie angekündigt. Und der hängt immer mehr mit den orthodoxen Teilkirchen in den USA zusammen, das steht ziemlich außer Zweifel. Ihm würden dann auch die dortigen Teilkirchen weitgehend zufallen (auch dort ist die Orthodoxie ziemlich aufgespalten und zerstritten, ihre kleinste Teilkirche hat gar nur 50 Mitglieder.)

Aber das ist noch nicht alles an Indizien dafür, daß man hinter diesen Vorgängen das Handwerk des CIA klappern hören könnte. Oder sollte. Denn über die sittlichen Zustände der Kirche wird zwar in den amerikanischen Medien mit Donner und Pauken berichtet, wenn sie die römische Kirche betreffen. Doch auf ganz seltsame Weise wird über Gerüchte innerhalb der Orthodoxie, die recht ähnlich gelagert sind, von keinem der sonst so eifrigen Sittenwächter-Medien berichtet!

Und nun also der Coup mit der Ukraine? Hört sich das nicht nach einem ganz anderen Kampf an, nach einem Krieg um die Herzen und Seelen der Menschen, der den Krieg mit Kalaschnikows und MIGs vorerst einmal etwas verdrängt hat? Wo, nachdem die NATO bereits an den Grenzen Rußlands steht, gegen jede Zusage und Abmachung, nun auch die orthodoxe Kirche nachzieht? Westliche Werte - in russischem Gewand (denn Kiew ist ja die "Urmutter" aller Russen)? 

Bekommt die "Annäherung der Orthodoxie an die römischen Katholiken", von der bis vor kurzem so viele sprachen als stünde eine Reunion kurz bevor, und die Bartholomäus I. voranzutreiben wie zu repräsentieren schien, also einen ganz neuen Sinn? Denn mit seinen Schritten, und wie erst mit dem einer Erklärung der ukrainischen Orthodoxie zu einer eigenen Teilkirche, hat er sich (und das ist am erstaunlichsten) gegen das Konsilium der übrigen maßgeblichen orthodoxen Patriarchen gestellt. Also seinen Ehrenvorsitz in eine Art "Papalismus" umgewandelt. Aber er hätte dazu nie das Recht gehabt. Bartholomäus I. hat sich also - fast könnte man sagen - schismatisch verhalten. Anders gesagt zeigt sich hier (auch das spricht für die Handschrift des CIA) dieselbe Taktik, die die USA seit Jahrzehnten außenpolitisch anwendet: Die mit einer Spaltung der Feinde beginnt. Und nun die Axt an die geistlichen Wurzeln der orthodoxen Völker gelegt hat. 

Doch noch eine Frage könnte hier aufstehen. Nämlich die, ob die deutlich gezeigte Zuwendung Vladimir Putins zur Orthodoxie selbst nicht einen weit politischeren Hintergrund beweist, als manche wahrnehmen wollen. Denn bisher - und nur wir völlig ent-religiosierten Westler haben das nicht bemerkt, der VdZ jedenfalls kennt kein einziges westliches, europäisches Medium, das diese Zusammenhänge auch nur erwähnt hat - hatte er über das Patriarchat Moskau weit mehr Zugriff auf das ukrainische Volk, als man wahrhaben möchte.

***

Aber auf noch etwas weist Watts hin, und das macht die Suppe noch würziger, das verstärkt noch mehr die Geschmacksnoten USA-CIA-NATO und Rußland-Putin-Orthodoxie. Es ist die Situation der Türkei und vor allem Erdogans. Der sich politisch 2016 endgültig verhoben hatte, als er die russische Kampfmaschine über Nordsyrien abschießen ließ. Während nämlich der Türke mit seinen politischen Phantasien den US-Israel-Interessen im Nahen Osten immer mehr in die Quere kommt (der Putsch gegen ihn dürfte hier deutlich seine Quellen haben), geriet er in Gefahr, sich völlig zwischen alle Stühle zu schieben. Also hat er schleunigst umgelenkt.

Und pflegt seither engste Verbindungen mit Rußland. Die türkischen Exporte nach Moskau haben sich in den letzten beiden Jahren verdoppelt. Während die Armee zunehmend durch den Kauf russischer Militärtechnik ihre Einbindung in die NATO fast schon aufgegeben zu haben scheint. Da bereitet sich also einiges an explosivem Stoff vor. Ohne Rußland wäre Erdogan ohnehin bereits heute politisch tot, manche meinen das sogar buchstäblich (beim Putsch, bei dem er von Putin telephonisch gewarnt worden sei), weil Erdogan sich seit vielen Jahren (nicht nur) außenpolitisch lächerlich dilettantisch, ja kindisch (insofern wieder fast liebenswert) verhalten hat.

Der gelernte Imam (mit seinem wahrlich bewundernswerten Sinn für die Rolle von Gestalt und Form in der Politik, die man sich bei uns nur wünschen kann, und eine Echtheit seiner Religiosität anzeigen, vor der man seinen Hut ziehen muß) hat sich sogar so weit überhoben, daß sich im Osten (Kurdenstaat, beginnend in ... Kasachstan, mit amerikanischer Unterstützung, die Puffer, Einflußbereich und Machtraum zugleich damit schaffen) - auch das völlig unter dem Radar unserer Wahrnehmung! - ein Desaster für die Türkei vorbereitet. Erdogan war dem allen (bis in die höchsteigene Wirtschaftspolitik) nicht gewachsen, man muß es ganz nüchtern sehen. Ganz ehrlich: Macht nicht aber genau das die Orientalen so liebenswert? Der VdZ meint es jedenfalls. Sie sind und bleiben ... Poeten. Die freilich in der falschen Welt leben, weil mit allem Recht der Moderne den Rücken zuwenden und unausweichlich unter die Räder kommen. Ihr Denken vermag das, was heute vorgeht, gar nicht zu fassen.

Aber wo, um zu brutalen, ja, ja und noch einmal ja: verabscheuenswerten Realitäten zurückzukommen, sitzt Bartholomäus I.? Eben. In Istanbul. Wird er es dort leichter oder schwerer als bisher haben? Der Leser möge es sich selbst beantworten. Daß der ökumenische Patriarch der Orthodoxie so starke Anbindung an Rom und die USA sucht, sich daneben (fast möchte man sagen) sein "zukünftiges Land" vorbereitet, auf das er dann seinen Fuß setzen wird, könnte also recht handfeste Gründe haben. Denn schneller als ihm lieb sein könnte, könnte er am Bosporus vor die Tür gesetzt werden. Spätestens dann, wenn allen wieder klarer vor Augen steht, welch enorme strategische Bedeutung das Nadelöhr Istanbul für die NATO und Rußland wirklich hat.

Was Bartholomäus I. schon lange macht, steht in einer gewissen Tradition. Schon im 13. Jahrhundert und vor allem wenige Jahre vor dem finalen Angriff der Türken auf Konstantinopel im Jahre 1452, im Konzil von Florenz, haben die Patriarchen von Konstantinopel um Hilfe im Westen angesucht. Beide Male wurde diese verwehrt, weil man die Unterstellung unters römisch-päpstliche Primat als Forderungen der übrigen Patriarchate verweigerte.

Es ist schon erstaunlich, wie exakt sich die Geschichte manchmal wiederholt. Als ginge es doch wirklich nur um "Archetypen", um immer gleichbleibende Grundkonstellationen als ontologische Spannungen, die bei anderen Lösungen nicht nur nicht gelöst werden, sondern immer wieder neu an die Türe klopfen, als warteten sie nur auf eine nächste Gelegenheit, bis sie realisiert werden. Auch heute sucht Bartholomäus Hilfe im Westen. Aber diesmal spaltet er tatsächlich die Orthodoxie, macht sich gar zum "zweiten Papst", wie die russische Orthodoxie meinte.

Worum es heute geht, scheint aber schon lange nicht nur Putin* zu wissen. Sondern von beiden Kontrahenten in diesem neuen Kalten Krieg scheint es recht konzentriert das Ziel von Kämpfen um geopolitische (und das sind vor allem religiöse) Grundlagen zu sein. Denn wie man Ziele erringt, das wissen diese beiden Seiten wohl recht gut. 

Wie gesagt: Von der Trennung von Politik und Religion reden ja nur die völlig gehirnerweichten Westeuropäer. Die damit die diesen nützlichen Kommandos ihrer Herren immanentisiert, die sich in Wirklichkeit aber damit selbst als Gestalter ihrer Zukunft elegant ausgeschaltet und zum Abtransport auf die Müllhalde der Geschichte zugerüstet haben. Die schon lange sogar kategorial ganz woanders geschrieben wird.






*Noch einmal, und zum Mitschreiben: Der VdZ hat vor Vladimir Putin den allergrößten Respekt. Und immer gehabt. Aber deshalb, weil er PRÄSIDENT RUSSLANDS ist. Und zwar "so richtig". Es wäre aber lächerlich und dumm, von ihm zu erhoffen, er würde auch die Probleme Österreichs und Deutschlands lösen. Mehr helfen kann er uns nicht als uns - UNS - als klar zu erkennender Gegner gegenüberzustehen. Dafür muß man ihm sogar danken. Wobei sich der VdZ (und sicher nicht nur er) wünschte, wir hätten Politiker ähnlichen Kalibers, um adäquat und ohne Kriegsambitionen im Dienste einer friedlichen Zukunft gegenzuhalten. Wer lieben will, muß eben nicht nur Feinde haben, er muß sie vor allem KENNEN und BENENNEN. Das ist die großartige Lektion, die uns Putin lehrt. Wer ihn aber - weil wir lauter Schwachschädel in der Politik haben - zum Präsidenten wünschte, der würde damit sagen, er wünschte sich russische bzw. fremde Herrschaft. Bitte, geht's noch perverser?





*180918*