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Montag, 15. Oktober 2018

Sprachraum als Seinssicherheit

Die Rolle der Medien in einer aufgelösten, atomisierten Gesellschaft als Medium eines Sprachraums ist kaum zu unterschätzen. Was dabei aber meist falsch eingeschätzt wird, ist die Rolle der Wahrheit darin. Denn der Grund, warum die Menschen Medien konsultieren, ist, ihre Wirklichkeitserfahrung (die immer die Erfahrung einer einen Wirklichkeit ist, die letztlich also allen gemeinsam ist) zur Sprache zu bringen. Über die Meinung (als Instrument der Welt der Menschen als Welt, das heißt in Identität und aus Identität) hinaus zu einem Sprachbild in sich zu gelangen, das wahr ist.

Erst in der Wahrheit kann der Mensch ruhen, erst in ihr und aus ihr steht er in seinem Sosein fest. Denn der Mensch ist im Wort gegründet (genauer sogar: im Namen, dem Urbild seiner selbst), und damit in der Wahrheit - damit im Sprachraum der Wahrheit. Der seine Beziehung definiert und ihn, weil er tragender Punkt einer Beziehung "ist" überhaupt erst (als Seiendes) sein läßt.

Also muß der Mensch im allgemeinsten Allgemeinen stehen, sonst steht er im Nichts (nicht nur über dessen Abgründen, über die ihn ja das Wort - der Name - hält). Das ist der wirkliche Grund, warum Menschen "Mehrheiten" und "Allgemeine Sichtweisen" ("Mainstream") nicht nur suchen, sondern brauchen. In diesem Streben drückt sich analog das absolute Sein selbst aus, das alles umfaßt. Und was absolut ist, ist allgemein, ist "Mehrheit". Deshalb sucht der Einzelne den gesamten Sprachraum. 

Fehlt dieser über fehlende zwischenmenschliche, persönliche Einbindungen und Verbindlichkeiten, treten die Medien ihre Funktion an. Je atomisierter also eine Gesellschaft, desto klarer wird die Rolle von iPhones, Facebook und Internet zur versuchten Rückbindung ins Allgemeine, um überhaupt bestehen zu können. Dem, dem Jesus Christus fehlt, ist das Handy der Versuch, diesen Schlußstein zu ersetzen, was natürlich immer unzulänglich bleibt, weil es nur hinweisen, nicht aber "sein" kann. Wozu es die Gestalt der Wahrheit selbst bräuchte, denn Wahrheit IST Gestalt. Nicht Meinung, nicht Richtigkeit an sich, nicht ein irgendwie zusammengeschustertes Sprechbild.*

Denn auch wenn der Weg zur Wahrheit immer subjektiv ist, so ist diese subjektive Wahrheit immer eine Facette eines Ganzen, in das alles eingebettet ist. Wahrheit ist somit die weltliche Gestalt des wirklichen Wirklichen, wo jeder seinen Aspekt hält, der in einer Gesamtkomposition aber ein widerspruchsloses Ganzes gibt. Deshalb ist sie sehr wohl objektiv und auch dem Einzelnen objektiv möglich.

Kein Mensch kann dauerhaft in Widersprüchen leben. Deshalb sucht tatsächlich jeder Mensch Wahrheit, die eine Wahrheit, die weit mehr ist als eine Komposition von Richtigkeiten. Der Zugang zu ihr geschieht über die Sittlichkeit im Öffnen dem Wirklichen hin, und ihre Gestalt wiederum ist getragen von subjektiver Sittlichkeit. Denn sie ist Begegnung mit dem wirklichsten Wirklichen, dem Sein selbst - Gott, der in der Wahrheit Jesus Christus inkarnieret ist.

Darin verschätzen sich praktisch alle Medien. Die bei der "Meinungsbildung" hängen bleiben und glauben, daß sich Meinungen aus Richtigkeiten zusammensetzen lassen. Aber sie kennen nicht den einen Grund aller Meinung - die Wahrheit. Sie bleiben also in einem technisch-funktionalen Verstehen von Sprachraum stecken. Das funktioniert über gewisse Zeiträume, das funktioniert vor allem in den "Nachdenk-Zeiträumen", wo also kolportierte, sprachlich gefaßte einzelne Richtigkeiten von den Menschen in die Wirklichkeit zurückgebogen und auf Wahrheit hin, vor allem aber auf das widerspruchslose Insgesamt des Wirklichen rezipiert werden (was in jedem Fall auch unbewußt geschieht), funktioniert aber nicht auf Dauer. Wenn nämlich beim Medienmacher selbst diese Rückerdung im Wirklichen fehlt.

Hier kommt die Weltanschauung, die Metaphysik also des Medienmachers ins Spiel. Denn sie ist es, die dieses Eine anspricht, oder nicht. Jedes Einzeldenken, das darüber nachdenkt, wie Medien besser angenommen werden könnten, bleibt so lange technisch und unzulänglich, so lange diese Anbindung an die Wahrheit aus persönlichem Ethos, als Haltung, als Sittlichkeitsstreben eben fehlt. So lange sind Medien lediglich Instrumente von Weltanschauungen (der Medienmacher) und ihren praktischen Umlegungen, den Ideologien. Und so lange deformieren sie einen Sprachraum als Raum des Denkens, als Zugang zum Wirklichen, dem jeder Einzelne unvermeidbar und zuerst gegenübersteht.

Deshalb wird kein Geldvermögen der Welt dauerhaft Medien schaffen können, die die Menschen dauerhaft über die Wahrheit täuschen kann. Es wird ihnen aber möglich sein, diesen Zugang zur Wahrheit zu erschweren. 

Der Bedeutungsverlust so vieler Medien, die vor Jahrzehnten noch Träger unseres Sprachraums waren und in einer komplexen Struktur hohe gesellschaftliche Bedeutung als Institutionen hatten, ist also weder eine Frage der "Konkurrenz" noch der technischen Änderungen. Es ist eine Frage des Wahrheitsverlusts. Es ist eine Frage des Verlusts des verantworteten Gottesbezugs. Es ist damit vor allem eine Frage des Verlusts des Sprachraums als Atem und Hauch der Wahrheit.

Woran die Alternativmedien aber scheitern, die diesen Bedeutungsverlust als Notlösung zu ersetzen versuchen, ist, daß ihnen die Institutionalisierung als Teil einer Gesamtgesellschaft fehlt. Ihnen fehlt also die offizielle Einbindung in die Strukturen eines Insgesamt eines Sprachraums. Es geht also in der Reaktion der "etablierten Medien" auf Alternativmedien um die Verweigerung eines Ortes im Gesamtgefüge. Und der Politik um Verweigerung der Autorisierung als Institutionalisierung im Sprachraum. Denn ihnen allen ist die Wahrheit zur Gefahr geworden, die ihre Interessen gefährdet. Lieber schädigen sie ein Volk und seine Kultur als davon zu lassen.**

Wir stehen deshalb heute in der großen Gefahr, ja wir sind hier bereits einige Schritte weit gegangen, unseren Sprachraum zu verlieren.  Aber damit als ganze Völker unsere Fähigkeit zu denken.*





*Vieles Sprechen der Menschen ist deshalb eine oft genug magisch-technisch zu verstehende Beschwörung an die Sprache selbst, jene Wirklichkeitsschwere zu erhalten, die erst Wahrheit und damit Sein ermöglichen würde. Gerade der Lügner, gerade der, dem die Wahrheit (praktisch immer aus sittlichen Gründen) verschlossen bleibt, "behauptet" deshalb umso vehementer.

**Damit zielen sie auf eine Ausgliederung vieler Menschen ab, die fast gezwungen werden (sollen), ein "anderes, ein neues Volk" zu gründen. Aber das ist eine Aporie. Deshalb wird Totalzerstörung folgen.

*Vielleicht sollten wir unter diesem Aspekt den Film "Fahrenheit 451" neu durchdenken. Der große Feind der Lüge ist nämlich gar nicht der Einzelne. Dessen Suche nach Wahrheit kann man nie dauerhaft unterdrücken. Es sind aber seine Quellen: Es ist gar nicht der Disput, die "Meinungsfreiheit", um die es scheinbar heute geht. Der konkrete Kampf wird über die Bibliotheken, die Riten, die Symbole, die kulturellen Verhaltensformen (bis hin zu Benimmregeln) geführt - es sind grob gesprochen die Gestalten einer Kultur. Fehlen sie, kann die Wahrheitssehnsucht nicht mehr ins Fleisch und damit zur Realität gelangen.




*210918*