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Dienstag, 9. Oktober 2018

Staatsgründungsmythen können auch gelogen sein (2)

Teil 2)




So auch dieser Film. Der wie jeder Film die Literaturvorlage umbauen und dramaturgisch straffen muß. So daß ein Film herauskommt, der "das Heldentum" darstellt, wie man es sich eben so vorstellt. Und das anhand der nun endgültig zur Fiktion gewordenen Gestalt namens Chris Kyle tut. 

Der Film hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Kyle war sicher ein mutiger Mann, irgendwie. Aber er war sicher nicht "der beste aller Zeiten", wie der Film behauptet. Es gab auch andere, die ähnlich erfolgreich waren. Kyle hat sich nur besser verkauft - als US-Helden. Und die amerikanische Öffentlichkeit, vor allem aber die Medienlandschaft und die Politik, hat sich mit Begeisterung auf solche Weißwaschung gestürzt, die Kyle mit seinem Heldenarchetyp bot, das er ... geschaffen hat. 

Vor allem aber stellt Ventura die Frage, ob man so einen Mann überhaupt zum Helden erklären dürfte. Einen Heckenschützen (kann ein Heckenschütze "mutig" sein?), der dutzende, hunderte Menschen hinterrücks erschossen hat. Darunter Frauen, Kinder, Männer die möglicherweise nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Und der in seiner Biographie nachweislich und mehrmals gelogen hat. Nicht einmal die Zahl der Auszeichnungen kommt ohne gehörige Übertreibung aus. Der so abenteuerliche und höchst fragwürdige Geschichten erzählt hat - die in Wahrheit die US-Regierung schwer kompromittieren würden! - wie daß er zur Zeit des Hurricanes Katrina am Dach des "Dome" (mit anderen Kollegen) Stellung bezogen und allein 30 Plünderer aus der Ferne "erledigt" hatte.

Für die von Kyle selbst immer wieder kolportierte Geschichte gibt es überhaupt keinen Hinweis, daß er nämlich zwei Männer, die ihm seinen Truck stehlen wollten, in Selbstjustiz totgeschossen hat. Woraufhin ihn die Polizei zwar anhielt, aber nach einem Telephonat mit "Washington" und dem Pentagon sofort wieder freiließ. Als Reaktion habe Kyle angeblich viele Mails erhalten, in denen ihm sogar von Sherriffs Anerkennung ausgesprochen wurde: Richtig, sehr gut, so muß man mit dem Gesindel umgehen. Aber ob das so war? Wer weiß. Denn die ganze Geschichte scheint völlig erfunden.

Daß Kyle von manchen, nein, von gar nicht so wenigen als Soziopath, Waffenfanatiker, pathologisch überheblich, weil narzißtisch schwer gestört beurteilt wird, sollte halt seine Verehrer besser nicht stören. Denn da ist der Held Kyle, der sich in die Rolle eines gottähnlichen Richters versetzt sah, der die Welt zu retten hatte, ohne sich um Recht und Gesetz kümmern zu müssen - er entschied und alle dankten ihm. Als er durch einen in den Motiven bis heute nicht ganz klaren Akt eines Veteranen - ebenfalls psychisch gestört, dem Kyle, der sich für ziemlich gut hielt, einfach "zur Heilung" eine seiner Waffen in die Hand gedrückt hatte - zusammen mit einem Ex-Kameraden erschossen und an seine Begräbnisstätte gebracht wurde, standen auf der gesamten Highway-Strecke von 200 Meilen hunderte, tausende, abertausende Zivilisten, Veteranen und Patrioten Spalier, um diesem "Helden" mit Fahnen und Ehrenbezeugungen das letzte Geleit zu geben.

Kyle hat einen Mythos um sich selbst gebastelt, an den er von anderen geglaubt wissen wollte, ein Wahnbild seiner selbst, wie manche meinen. Sodaß er sich vermutlich einfach nicht viel dachte und aus simpler Eifersucht handelte (und darum geht es am Anfang dieser Geschichte), indem dem bekannten Frauenheld und hochdekorierten Vietnam-Veteranen (Kampfschwimmer, also einer der ganz Harten), Wrestler-Champion und Gouverneur eines Bundesstaates, Jesse Ventura, in einer völlig frei erfundenen Episode als Landesverräter und Schwächling darstellte. Den er, der Held und Patriot und Navy-Seals, mit einigen Faustschlägen locker zu Boden streckte, um ihn für die angeblich ausgestoßenen Beleidigungen gegen die USA und vor allem die Navy-Seals zu bestrafen.

Was nicht nur nicht stimmen dürfte, es gibt nur Gegenzeugen, niemand hat etwas von einer angeblichen Auseinandersetzung oder gar nur einem Gespräch bemerkt, sondern dem Beschuldigten nach eigener Behauptung die komplette Existenz zerstörte. Und das könnte in den USA möglich sein, wo "Patriotismus", "Seals" etc. eine Rolle spielen, in die wir uns kaum hineinversetzen können, weil wir weit mehr und immer noch von Realem, von wirklicher Wirklichkeit und nicht von Pseudologien und Positivismen gehalten werden. Ventura geht sogar so weit zu behaupten, daß dies - auch - ein Racheakt der Linken war, der Oligarchie, die ihn damit aus dem Weg räumten und Kyle dazu ermunterte, denn wie gesagt: Alles zahlt ja die Versicherung.

Denn natürlich hat Ventura geklagt, wir sind ja in den USA. Und hat auch vor Gericht Recht bekommen. Mit einem bitteren Salzkorn dabei, wie gesagt. Die Versicherung des Verlags von Kyle's Autobiographie deckte ohne mit der Wimper zu zucken alles ab. Man wird's ja noch versuchen dürfen? Immerhin waren die Umsätze hoch genug. Das hat zu einer nächsten Klage geführt, und hier ist das Ergebnis neuerlich zugunsten Venturas ausgegangen, aber mit nicht an die Öffentlichkeit gegebenen Konsequenzen. Bekannt ist nur, daß die Witwe von Chris Kyle einen Teil der Versicherungsleistung, wie man liest, offiziell zurückgezahlt hat. 

Die einzige Konsequenz die komplett wirksam blieb, war die Zerstörung von Venturas Ruf und Ansehen. Der als "Anti-Patriot und Seals-Entehrer" nun bei keinem Sender mehr seine Medienkarriere fortsetzen kann (außer bei Russia Today, wie er in einem Interview sagt), und vor allem bei keinem Veteranentreffen der Navy-Seals mehr teilnehmen kann, weil man ihn dort als Nestbeschmutzer haßt und mit Fäusten bedroht.

Während der Held neuen Typus - Chris Kyle, Sniper und Army-Held des Irakkrieges, ein wahrer Patriot und Amerikaner, der sein Recht auf ein Waffenlager im Keller mit der Waffe in der Hand verteidigen würde. Nun sind wir auch wieder am Anfangspunkt. Warum Clint Eastwood in diesem nicht unaufwendig gemachten, extrem "patriotischen" Film die Regie geführt hat. Clint Eastwood tritt auch öffentlich in Wahlgängen im Namen der American Rifle Association auf, also der Vereinigung der Waffenliebhaber und -produzenten. 

Allen, bis hin in die Politik, in die Armeeführung, das Verteidigungsministerium, die Veteranenvereine (und die sind in den USA nicht ohne Einfluß), kam ein Held gerade recht. Der die Sache Amerikas generell mit Heldentum reinwusch. Da es war nebensächlich, ob Chris Kyle gelogen hatte oder überhaupt eine fragwürdige, geltungsbesessene, narzißtisch schwer gestörte Erscheinung war. Die Folgen daraus konnte man mit Versicherungen geradebügeln. Wichtig war, daß sich hier der Archetyp eines Helden daraus fertigen ließ, der für so viele als Identifikationsfigur gerade rechtzeitig kam. Zu einem Zeitpunkt, wo so gar niemand mehr an die Heilige Mission der USA glauben will. 

Und das ist gelungen. Durch eindrucksvolle Einzelbilder. Denn der Film ist nicht gut - er ist dramaturgisch sogar an sehr vielen Stellen regelrecht desolat, eine bloße Aneinanderreihung von auspickenden Bilderfolgen. Was er alles mit diesen interessanten Bildern (da ist nicht einmal etwas spannend, das sicherste Zeichen für Dramaturgieschwäche) zuschmiert - gibt es keinen Inhalt, soll der Zuschauer durch zumindest interessante Details getäuscht werden.

Er ist deshalb von den Bildern etc. her sehr gut, technisch-methodisch überhaupt bestens, weil mit offensichtlich viel Geld (das Pentagon ist ein Hauptfinanzier von Hollywood) gemacht. In der Hauptrolle noch dazu und bestens gewählt: mit einem der sympathischsten US-Schauspieler der Gegenwart besetzt, mit Bradley Cooper.

Nur sollte man um Gottes Willen nicht meinen, daß diese Geschichte etwas mit der historischen Realität zu tun hat. Das hat sie weder mit der US-Intervention im Irak, noch mit der realen Person Chris Kyle. Alles ist ein abstraktes, reines Märchen, das aber genau deshalb das Zeug zu einem Staatsgründungsmythos hat, weil es universal verwendbar ist. Auch weil es in einem fernen Land und einer fernen Zeit spielt. "Es war einmal in einem Land hinter den sieben Bergen ...".

Das geht? Nein. Jein. Eher abzusehen ist, daß sich auch hier der amerikanische Behaviorismus wie immer über die Wirklichkeit als Ganzes täuscht. Wenn das scheinbar funktioniert dann nur bei einem ideologischen, voluntaristischen Konstrukt der Zweitwirklichkeit, wie es Amerika und sein Amerikanismus überhaupt darstellt. Was soll aus so einem Land anderes kommen? Wo der im bevölkernden Menschenbrei (ein Produkt des social engineering, keine ursprüngliche Logik) vorhandene, ständig wieder aufgezoschte Staatsgründungsmythos mit den realen, also ontologischen Grundlagen des realen Staates rein gar nix zu tun hat, sondern pure Erfindung ist? Die manche glatt eine Lüge nennen.









*010918*