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Donnerstag, 4. Oktober 2018

Wenn sich die Generationen die Hand reichen

Heuer wurden in der Elbe in Sachsen wieder viele der sogenannten "Hungersteine" sichtbar. Das sind Felsen oder große Steine, die am Grunde des Flusses liegen und immer dann auftauchen, wenn besonderes Niedrigwasser herrscht. Wie heuer im Sommer, wo es in weiten Teilen Deutschlands so trocken war. 

Seit dem frühen 16. Jahrhundert werden in diese Steine Nachrichten oder auch nur Jahreszahlen graviert. Den Namen "Hungersteine" erhielten sie deshalb, weil Trockenheit auch schlechte Ernten hieß, und Niedrigwasser eine ersatzweise Versorgung mit Lebensmitteln über die Flußschiffahrt erschwerte oder gar unterband.*

Nun sind sie wieder aufgetaucht, und "Experten" wollen das nützen, um sie endlich in Karten zu lokalisieren. Noch aber sind nicht alle sichtbar, einige Stellen vermutet man noch, bekannt aus Erzählungen.

Wetter war eben immer so eine Sache. Unvorhersehbar, immer schwankend, von einem Extrem ins andere fallend, ein Extrem das andere bedingend.

Solche Dinge berühren. Hier begegnen sich lange Generationsanreihen von Menschen eines Volkes, über viele Jahrhunderte, und berichten von ihren Erlebnissen und von ihren Nöten.  Hier in der Trockenheit, dort im Hochwasser, wie der VdZ fast täglich erleben kann, wenn er an Häusern an der "Ikva" in Sopron vorbeigeht, wo einen Meter über seinem Kopf die Marken mit den Jahreszahlen von vor hunderten von Jahren prangen. Nur einige Tage Regen, und dieser kleine Bach, der er heute ist, wird die Kais wieder überfluten, weil die Senke, in der Sopron (Ödenburg) liegt, übers Grundwasser sehr plötzlich Wasserhochstände in den wenigen Abflüssen bewirken kann.

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Wie viele Hochwasserkatastrophen hat der VdZ schon in seinen kaum 60 Jahren erlebt, wie viele staubtrockene Sommer, in denen die Getreideernte verdarb, die Flüsse austrockneten, aber die Weine süß und kostbar waren. Dank unserer Zivilisation können wir das alles aber schon ausgleichen, Hunger mußte hier bereits lange keiner leiden.

Die Lebensmittelgeschäfte am Várkerület, dem "Ring" von Ödenburg/Sopron, sind unverändert voll, und die alten Frauen auf den Wochenmärkten in der Lackner Kristof-Utca verkaufen nach wie vor den Überschuß aus ihren Hausgärten, der grün und duftend vor einem liegt. Heuer mit besonders viel Obst und Beeren, übrigens, und der Preis ist niedrig. Nebenan gibt es palettenweise angebotenen Gelierzucker, wie hier immer noch jeden Herbst. Denn viele Ungarn kochen noch selbst Marmelade ein, und machen Kompott für die kalte Jahreszeit.

Selbst hier im Innenhof des Hauses, den in jedem Stockwerk verglaste Balkone umlaufen, finden sich in manchen Fenstern um diese Zeit die großen Glasballons mit pikanten, selbst eingelegten, kleinen Gewürzgurken, die noch im März knacken werden, beißt man hinein. Und die kleinen Paprika, mit Kraut gefüllt, eine hiesige Spezialität (der VdZ mag sie freilich nicht so, vor allem beschäftigen sie seine Verdauung weit mehr, als guttut.) Im Fenster bleiben sie vermutlich kühler. Oder sollen sie gar im Sonnenlicht gären? Das wissen nur die ungarischen Frauen, die alles tun, wie sie es von ihren Müttern gelernt, im Tratsch am Gang oder unter der Kritik der Männer (deren Geschmack ja an den Gurken ihrer eigenen Mütter geformt ward) verfeinert haben. Finom, fragt Frau Torma ("Krenn", wie so viele Österreicher heißen, und schon vom Aussehen her ganz sicher deutschstämmig, wie so viele in Ungarn, ihr Name aber straff magyarisiert, denn der Druck spätestens 1946 war ja enorm, mit "Krenn" wäre sie bzw. ihre Familie sicher ausgewiesen worden, da haben auch die letzten nachgegeben, die Todesanzeigen gerade in diesen Jahren erzählen Geschichten der "Integration"), und fischt eine der Gurken mit ihren Fingern heraus? Igen, hmmm, jó finom, jó less! Ja, schmeckt wirklich gut, gut gemacht. Sie lacht glücklich.

Am Markt, am Stand zehn Meter weiter, werden wie seit je Kupferkessel angeboten, mit denen sich so mancher und immer noch - wie früher - seinen kleinen Vorrat an Schnaps brennt. Wie der VdZ aus manch weiterer netter Erfahrung weiß. (Jozsef, der pensionierte Lehrer, ist da Spezialist; ja, der mit dem Spezial-Letscho, für das er jedes Jahr den gesamten Innenhof seines Hauses mit seiner Tomatenaufzucht fast unbegehbar macht.) Viele, die noch ihren "Házás Palinka" haben, ihren Hausbrand, viele die einen köstlichen Sylvester-Fruchtlikör im Keller ansetzen.

Während in Bayern, wie der VdZ jüngst erst hörte, die Früchte an den Bäumen verfaulen, weil sie niemand pflückt, das Fallobst niemand aufklaubt und verarbeitet. Das macht traurig, es ist so undankbar.

Wir sind die gleichen Menschen, das gleiche Volk, mit demselben Erleben, am selben Ort, der selben Welt. Und auch weitgehend demselben Schicksal. Das Leben ist doch immer recht gleich, über all die Jahrhunderte. An solchen Dingen wird es greifbar. Und zum Leben gehören seit je die Unbill des Wetters. Mal so - mal so. Es war noch nie anders. Und es wird nie anders sein.




*Die Rolle der Schiffahrt gerade für den Getreidetransport kann man nicht überschätzen. Nicht heute, schon gar nicht in früheren Zeiten. Nur mit Schiffen war es möglich, so große und schwere Volumina, wie sie Getreide darstellen, effizient zu transportieren. Die Feldzüge der Kriege vor Napoleon waren nur möglich, weil und wenn man die Flüsse nützte, um die Heere zu versorgen. Wagen konnten das nicht in ausreichendem Maß. Napoleon hat für seine Soldatenmassen deshalb umgestellt, auf feste Lager, aber das ist eine andere Geschichte.




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