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Freitag, 16. November 2018

Die Schatten des Wirklichen in der deutschen Gegenwart (1)

Die meisten Monographien zum 30jährigen Krieg 1618 bis 1648 machen den Fehler, daß sie der Versuchung unterliegen, sich den zahllosen Details und Einzelgeschehen zu sehr zu widmen. So daß es schwierig ist, sich daraus so etwas wie ein "Verstehen des Ganzen" zu bilden. Man sieht meist den Wald vor lauter Bäumen nicht, und kaum jemand vermag jene tiefsten Kräfte zu orten, die das Ganze dennoch bestimmen. 

Herfried Münkler macht diesen Fehler in diesem Vortrag nicht.* Stattdessen wählt er vier große Hintergrundlinien, aus welcher Beschränkung heraus vieles Einzelne verstehbar wird. Und darin verdient er Anerkennung - denn er schafft es durch seine Auswahl bis zu einer gewissen Tiefe der Gesamtgeschehnisse. Es geht freilich noch tiefer, Münklers Funde lassen sich in einen noch größeren Rahmen stellen, dazu später.

In einem Krieg, den Münkler in zwei Phasen teilt, wo die eine Strategie (die Suche nach Entscheidungsschlachten) versagte, woraufhin der maßlose und erst wirklich verheerende Krieg anschloß, wie er unser Bild davon bestimmt. In dem eine marodierende Soldateska, der Krieg einziger Erwerbszweig war, zu überleben suchte und aus einem politischen Krieg ein Krieg gegen die Bevölkerung wurde. Denn spätestens nach dem Tod von Wallenstein und Gustav Adolf 1634 löste sich die Ordnung der militärischen Operationen weil Heere weitgehend auf, und diese zerfielen. Größere Schlachten gab es dann kaum noch. Aber dazu trugen auch die taktischen Entwicklungen bei. Wie gesagt - die Ebenen hängen alle eng zusammen.

Genau in diesem Punkt zieht Münkler eine wirklich interessante Parallele. Denn darin zeigt er indirekt, daß die Entwicklung seither (um die sich der Wiener Kongress 1814/15 noch einmal so intensiv bemüht hatte, so daß er sie längere Zeit aufhalten konnte) ein grundsätzlicher Irrtum war. Denn genau das hat sich 1943 vollendet, das man deshalb als das Ende dieser Art von Kriegsauffassung bezeichnen kann, die 1648 formiert wurde. Da war Stalingrad einerseits als das Ende des Glaubens an Entscheidungsschlachten (in Kursk 1944 noch einmal versucht, aber das war nur noch ein verzweifelter Versuch), und mit dem Beginn des Bombenterrors der Alliierten anderseits. Seither herrscht so etwas wie Schockstarre.

Diese mittlerweile allen bewußte Tatsache - daß sich jeder Krieg unter Staaten zum Krieg einer marodierenden Soldateska gegen die Bevölkerungen ausweitet - bestimmte allmählich das politische Denken seither. Und in der Gegenwart werden bereits gar keine Kriege mehr gefochten. Stattdessen findet ein Kampf gegen bestimmte Personen und Gruppen statt. Siehe Cyberwar. Siehe Drohnen. Siehe die immer noch nicht ausreichend rezipierte psychologische Kriegsführung, die den "harten Krieg" weitgehend schon völlig ersetzt hat. Denn heute fallen Staaten und entscheiden sich Kriege durch gezielte Zersetzung ihrer inneren Ordnung, und werden durch den Selbstmord der Feinde gewonnen.



 Morgen Teil 2)




*Was umso erstaunlicher ist, als so mancher Herfried Münkler nicht so sehr unter die großen "Deuter", sondern eher unter die "Vielwisser" eingeordnet haben mag. Darin dem österreichischen Historiker Manfred Rauchensteiner recht ähnlich - und das scheint überhaupt eine Tendenz der gegenwärtigen Historischen Wissenschaft zu sein - der in seinem Monumentalwerk zum Ersten Weltkrieg Detail um Detail aneinanderreiht, 1300 Seiten lang, um nur in einem einzigen Kapitel - dem über den Ostkrieg mit Rußland - zu einem Punkt zu kommen, der ordnet. Sonst nur archivarisch tätig ist. 

Diese reine Aneinanderreihung von (immer damit willkürlich sein müssenden) Tatsachen hat zwar auch seinen Wert, aber sie ist in den Augen des VdZ für einen Historiker - und schon gar für einen Leser - nicht ausreichend und eine rationalistische Berufsverfehlung. Der VdZ kannte Münkler bisher nur unter dergestalten Herangehensweisen, und dessen Aussagen zum Ersten Weltkrieg, die der VdZ kennt, sind entsprechend aussagelos. Aussagelos wie die Bücher von Rauchensteiner. Aber gut, das ist ein Merkmal des heutigen Mißverständnisses von Wissenschaften: Viel - von nichts. Münkler hat diese Impotenz aber in diesem Vortrag durchbrochen. Wenn auch nicht zu Ende geführt.

Es zeigt sich hier wohl, was jedem einsichtig ist: WAS man tut, hängt direkt mit den Anforderungen zusammen, also mit dem Beziehungsfeld, dem Rahmen. Er erst gibt das Wesen vor, er erst (im Faktischen) bedingt seine Wirklichung und damit WELT. Eine derart lächerliche, kastrierte Gesellschaft, wie wir es in allen Bereichen sind, wird deshalb nur Kiki und Lulus zur Antwort bekommen. Der Spiegel wirft diesmal wirklich nur das Gespiegelte zurück. Münkler hatte hier offenbar Glück, der Vortrag ist in den Augen des VdZ seine bislang beste Leistung. Die vielen sonstigen seiner Äußerungen, wie sie in Buchform oder im Netz abzurufen sind, sind belanglos und irrelevant, sind nur Datumfülle, ohne je zum Faktum zu werden. Denn das wird ein Datum nur durch Sinn.





*161018*