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Sonntag, 25. November 2018

Von der Wahrheit und dem Künstler (3)

Teil 3) Von der Rückversicherungsgarantie des Künstlers



Und doch, und doch haben Künstler gewissermaßen eine Rückversicherungsgarantie zur Wahrheit und zur Vernunft. Und diese liegt im Material, deshalb im Tun. Denn es ist eben die konkrete Welt als Gefüge der Dinge, die die Gesetze Gottes, den logos, in sich trägt. An dem er dann im Tun teilhat. Tut der Künstler nicht, fällt er buchstäblich ins Nichts. Tun ist seine einzige Chance zu sein. Denn Sein (als Analogie zu Gott) ist ein actu, ist Tätigkeit.

Diese Welt ist das Buch Gottes, in dem der Künstler, der um Wahrhaftigkeit ringt, liest, an dem er zu sich kommt. Wer deshalb dem Material, das er bearbeitet, treu bleibt, wirklich treu, daran geschmiedet wie Prometheus an die Felsen des Kaukasus, worin auch die Erfahrung seiner selbst enthalten ist, und zwar gerade in der Nichterfüllung dessen was "ein Leben des Alltags" ausmacht, geleitet von den im Material enthaltenen Eros der Formen (zu dem er sich aus seiner Natur heraus - wenn, dann kann man hier von Talent sprechen - hingezogen fühlt), wird auch über kurz oder lang zu Gott finden und an seine Türe klopfen. Es bleibt nur zu hoffen, daß er die richtige Tür findet. Und früh genug.

Weil er sich sonst der Gefahr aussetzt, seine einzige Inspirationsquelle zum Guten, Wahren, Schönen zu versäumen. Und die ist das Tun in der Teilhabe am Kult, an der konkreten, fleischlichen und lebendigen Schönheit, Wahrheit, Gutheit. Durch ein immer besseres Kennen geliebt, und damit auch im Opfer der Selbstüberschreitung von allen Schlacken gereinigt hergestellt. Denn im Entfernen des Unnötigen, nicht Dazugehörigen, wird das Geschaffene, das dann über sich hinausweist - auf die wirkliche Wirklichkeit, auf Gott. Aus ihm, aus dem unendlichen Geist an sich, kommt alle Form urbildhaft, wir bilden dann nur noch nach. Ohne Gehorsam kein Gelingen. Ohne Gehorsam kein Kunstwerk. Aus dem Nebel entreißen, aus dem diffusen, amorphen Stein meißeln.

So werden auch die künstlerischen Werke zu dem, was ein Kunstwerk ausmacht: Zu wirklich lebendigen - originären, einmaligen - Werken, wie alles Dingliche einmalig ist. Weil sie sind, also die unsichtbare Wirklichkeit zeigen weil aus diesem Weltgrund kommen, was sie darstellen. Am Kult als jener Quelle der Inspiration der Begegnung mit dem unendlichen Geist, aus der heraus dann auch eine Kultur alleine lebt weil Substanz zum schöpferischen, originären Tun hat. Und diese Substanz ist die lebendige Vernunft, als Einheit von Wahrheit (Verstand), Gutheit (Liebe) und Schönheit (Gefühl).

In diesem Sinn kann man erst davon sprechen, daß wirklich "jeder" zum Künstler berufen ist. Aber er ist es an seinem Ort. Deshalb sind Kunstformen, wie sie uns entgegentreten und die wir als "Kunst" bezeichnen - Literatur, Malerei, Architektur, Musik - in ihrer Form von der Kultur abhängig. Sie stehen aber zu deren funktionalem, zweckhaftem Gefüge "quer". Ihr Gesicht ist dem Universalen zugewendet. Sie werden aus einer Kultur damit geboren, weil sie diesen Platz freiräumen - konkret: Künstler sind Menschen, die man zweckhaft nicht "braucht", oder die nicht brauchbar sind, Kunst (in diesem eingeschränkten Sinn) als ultimo ratio ausüben, denn was sollten sie sonst machen?

Das unterscheidet damit auch den Künstler von allen anderen Teilnehmern am Gesellschaftsspiel (vereint sie aber mit dem Priester, dem Philosophen und dem König, die alle strukturell gleiche Probleme der Legitimität weil von der "Handauflegung abhängigen", also Gott verdankten Autorität haben): Die Existentialität seines Tuns. Erst wenn das der Fall ist, ist er in diesem engeren Sinn Künstler. Und das unterscheidet sein Tun von dem des Hobbys und der Muße, das ja auch keinen Zweck, wohl aber Sinn hat.

Dennoch ist es jedem Menschen aufgegeben, sein Tun an seinem Ort und in jedem Tun, also in jedem Beruf, zu jener Reinheit zu bringen, die in der Kunst und im Künstler ihre absolute Gestalt findet. Denn in der Grundbedingung - wenn auch nicht in der Gestalt - sind alle Menschen letztlich tatsächlich gleich.

Fazit

Fassen wir das nunmehr Gesagte zusammen, läßt sich eines sagen: Wenn es heute heißt, daß der Künstler (oder überhaupt der Mensch) "aus sich heraus" schaffe, so trifft genau das Gegenteil zu. Nicht aus sich heraus schafft er, sondern in etwas hinein! Alles, was er selbst dazu beiträgt ist nicht explizit, sondern allem seinem Tun immanent. Denn die Wahrheit liegt in der Sache, und um sie zu finden, muß er Urteile der Vernunft fällen. Tut er das nicht, glaubt er "aus sich heraus" schaffen und urteilen zu können, verliert er seine Freiheit, weil er sich Kräften ausliefert, die er nicht mehr kennt, weil ihm die Urteilsbasis des Ich fehlt.

Und deshalb erkennt er sich im Tun, aus der Wahrheit des Materials, und wird im Tun zu sich selbst. Im Gehorsam dem Material und der Sache gegenüber, die er darstellen möchte, weil er muß. Warum muß er? Weil er einen Auftrag dazu erhält. Erteilt eine Kultur den Künsten aber diese Aufträge nicht mehr (oder wie im 19. Jahrhundert, wo sie zwar Aufträge gab, aber diese nur noch die Wünsche des Funktionalen und Epigonalen waren), hat der Künstler in ihr keinen "Raum" mehr, keinen Ort, bricht die Kunst in sich zusammen, weil die Wahrheit zusammenbricht. (Auch dafür ist das 19. und dann das 20. Jahrhundert, dann so richtig Beleg.) So daß dann die Künstler in sich zusammenfallen, die diese Wahrheit nicht mehr verfleischlichen können. Ja, sie werden verdrängt von einer simulativen Pseudokunst, der es nicht mehr um Wahrheit geht, sondern darum, zu gefallen.





*181018*